Weit mehr als 100 Zuhörer hatten sich im Saal des Hauses St. Michael eingefunden, in dem die Veranstaltungen des Erzähl-Cafés im Juliusspital zukünftig immer stattfinden sollen. Erzähler war Dr. Norbert Gräber mit dem Motto: 33 Jahre in China – persönliche Erlebnisse und Erfahrungen.
Moderator Leo Pfennig stellte Gräbers Werdegang vor. Geboren wurde er 1946 in Münnerstadt als eines von fünf Geschwistern, fünf Jahre verbrachte der Oberst der Reserve bei der Bundeswehr mit Tätigkeiten im Verteidigungsministerium. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und Sinologie in Würzburg erhielt er ein Stipendium bei den Jesuiten in Taiwan.
Seit 1978 war Gräber als Repräsentant großer Konzerne in China tätig. (Glöckner, Thyssen, MBB, Deutsche Aerospace, für Daimler in Nordostasien und China). Seit 2002 ist er offiziell im Ruhestand, als Inhaber einer eigenen Investment- und Beraterfirma mit Sitz in Taiwan als geschäftiger Weltenbummler aber immer noch ständig zwischen den Kontinenten unterwegs.
Gräber machte es sichtlich Spaß, ein wenig aus seinem abenteuerlich anmutenden Leben zu erzählen, zumal unter den Zuhörern auch eine Reihe ehemaliger Mitschüler saßen, die ihn sogar schon mal in seiner zweiten Heimat besucht hatten. „Ich bin nun 66 Jahre alt, lebe seit 33 Jahren in China, bin also halb Mürschter, halb Chinese.“ Dann stellte er sich seinen Zuhörern auf Chinesisch vor, schrieb seinen Namen und sein Lebensmotto (Actio ist besser als Reactio) in chinesischen Schriftzeichen an die Tafel – und wusste dann sehr unterhaltsam aus seinem Leben zu berichten. Etwa von seinem Studium bei den Jesuiten in Taiwan unter einfachsten Verhältnissen. Das erst halbe Jahr gab es keinen Ausgang und nur wer die Sprachprüfung bestand, durfte auf die Uni.
Einundzwanzig Kollegiaten waren es, alle hätten es zu etwas gebracht, seien weltweit tätig. Zwanzig von ihnen haben ehemalige Mitschülerinnen aus dem asiatischen Raum als Ehefrauen, auch Norbert Gräber. Und schmunzelnd berichtet er vom mühevollen Werben um das schöne, aber widerspenstige Fräulein, das er endlich durch Äpfel als Werbegeschenke – dort kaum bekannt und sündhaft teuer – für sich gewinnen konnte. Zwei Söhne gingen aus dieser Verbindung hervor.
Gerne erinnert sich Gräber an seine Einsätze als Dolmetscher und Begleiter bei höchsten politischen Treffen mit Staatsmännern. Anfangs standen seine Wohnungen in besten Hotels stets im Visier des Geheimdienstes. Um 22 Uhr war dort „der Ofen aus“, es gab weder Getränke noch Speisen, sogar das Hauptportal blieb bis zum nächsten Morgen verschlossen. Nur durch persönliche Verbindungen war es möglich, sich Erleichterungen zu verschaffen. Dienstreisen im Lande bedurften langfristiger Vorbereitungen; Telefonieren war oft nicht möglich.
Gräber ist in China auch als der „Surfer von Peking“ bekannt, denn er hatte sich in einer Flugzeugfirma ein Surfbrett bauen lassen und damit auf einem Trinkwasserspeichersee der Millionenstadt den Surfsport in China eingeführt. Als erster Deutscher baute er sich ein eigenes Wohnhaus, 60 Kilometer vor Peking; heute befindet es sich mitten in der Stadt. Die Einführung von PCs, Druckern und Kopierern brachte ihn verstärkt ins Visier der Geheimpolizei. Sein späterer Fahrer wurde eines Tage verhaftet, nur weil er sich verfahren hatte und in die Nähe der Wohnanlage des Staatsoberhauptes geraten war. Er blieb bis heute verschwunden.
Mit dem Beginn des Wirtschaftsbooms in China 1989/90 änderte sich einiges, manches wurde leichter und besser. Beruflich war Gräber unter anderem beteiligt an Entwicklung und Testversuchen für Satelliten, die MBB und andere deutsche Firmen in Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen dort entwickelt hatten. Bei Daimler war er gleichzeitig für vier Konzerne zuständig, wirkte mit bei der Elektrifizierung großer Metropolen und dem Ausbau von U-Bahnen.
Nachdem die Söhne in die Schule kamen, gründeten mehrere einflussreiche Väter eine private deutsche Schule. Gräber übernahm die Aufgabe des Schulvorstandes. Mittlerweile besuchen diese Schule, die jetzt staatlich anerkannt ist und bis zum Abitur führt, 700 Schüler. Kurzerhand wurden auch drei bayerische Lokale gegründet, an zweien davon ist Gräber noch heute beteiligt. Gern gab er noch Antworten auf Fragen zu Themen wie Lebenserwartung, Umwelt, Menschenrechte, Energieversorgung, Landwirtschaft und die Mao-Bibel. „Die ist auch heute noch bei der Jugend sehr beliebt, schmunzelte Gräber: „Als Witzbuch.“