Alle paar Wochen geht Romy Weigand (60) an ihre private Schatztruhe, holt drei vergilbte Bücher heraus und schwelgt beim Blättern in längst vergangenen Zeiten. Seit 1999 hütet sie diesen heimatgeschichtlichen Schatz, der fast in den Müll gekommen wäre. Es sind Gästebücher aus dem ehemaligen Privatsanatorium des Medizinalprofessors Carl von Dapper (1863-1937) mit Eintragungen seiner Kurgäste von 1901 bis 1925.
Sie interessierte sich schon immer für Heimatgeschichte, erzählt die frühere Pflegedienstleiterin der DRV-Rehaklinik Rudolf Wissell, in die des Dapper-Sanatorium in der Menzelstraße im Jahr 1959 umgewandelt wurde. Eher zufällig stieß sie dort im Archiv auf den kostbaren Fund, für den sich niemand interessierte. Zusammen mit medizinischem Gerät aus alter Zeit beschriftete sie alles sauber und stellte es in einer Glasvitrine vor dem Büro aus.
Nachdem die Deutsche Rentenversicherung sich Ende 2008 aus dem Betrieb zurückgezogen hatte und das Haus von privaten Betreibern als Medis Vitalis Klinik weitergeführt, dann aber doch nach einer Insolvenz im März 2012 geschlossen wurde, sollte auch die Glasvitrine wegkommen.
Weigand brachte die Dapper-Gästebücher vorsichtshalber zu Hause in Sicherheit: „Ich war todtraurig.“ Denn die darin enthaltenen Einträge geben einen interessanten Einblick in die glanzvolle Zeit der Jahrhundertwende, als sich die Berühmtheiten des europäischen Hochadels im Dapper noch die Klinke in die Hand gaben. Die Bücher sind Geschichte zum Anfassen.
Prinzenbrüder und Herzogin
Großfürst Michail Michailowitsch Romanow (1861-1929) hat sich gleich dreimal dort verewigt. Fürstin Elisabeth Koslovsky aus Sankt Petersburg und die Prinzenbrüder Erich (1876-1952) und Alexander (Sascha) von Thurn und Taxis (1881-1937) aus Böhmen kamen hierher zur Kur. Auch Herzogin Sophie Charlotte von Oldenburg (1879-1964), nach ihrer Hochzeit 1906 bekannt als Prinzessin Eitel Friedrich, und Reichsinnenminister Theobald von Bethmann-Hollweg (1856-1921), später deutscher Reichskanzler, begegneten sich hier im Dapper.
Etwa tausend Unterschriften von Gästen aus New York über Buenos Aires bis Santiago de Chile, aus London und Madrid über Prag bis Sankt Petersburg sowie allen Teilen Deutschlands finden sich nach Weigands Schätzung in den Büchern. Manche Gäste beließen es nicht beim Namenszug, sondern schrieben Widmungen oder Gedichte.
So reimten Graf Adolf von Bassewitz (1849-1915) und seine Frau Dorothea, die ihr mecklenburgisches Schloss Lützow für einen Monat gegen das Kissinger Sanatorium getauscht hatten, wohlgemut: „Wollt Kräfte Ihr sammeln und frischen Mut, kommt eilends zu Dapper, dort geht's Euch gut!“
Der königlich bayerische Hofrat und großherzoglich oldenburgische Medizinalrat Professor Carl Dapper, 1913 in den Adelsstand erhoben, hatte sich zwischen 1894 und 1904 vom Kissinger Baumeister Carl Krampf (1863-1910) auf einem einen Hektar großen Grundstück (damals Pfaffstraße 19) eine repräsentative Anlage bauen lassen, die aus fünf durch Arkaden verbundenen Buntsandsteinhäusern bestand.
Durch moderne Kurklinik ersetzt
1959 erwarb die LVA Berlin das Gelände und nutzte die Anlage als Sanatorium Rudolf Wissell, in dem Romy Weigand 1973 als frisch examinierte Krankenschwester Arbeit fand. 1979 wurde das denkmalgeschützte Haupthaus, das heutige Hotel „Residenz von Dapper“, verkauft. Alle anderen Häuser wurden abgerissen und durch eine moderne Kurklinik ersetzt. Nach einem dreijährigen Zwischenspiel als Medis Vitalis Klinik erwarb Mitte August ein Bremer Wellnessreisen-Veranstalter das Haus, um es als Hotel zu nutzen.
Heute erinnert nur noch das Hotel an der Menzelstraße an den Mediziner Carl von Dapper. Das international bekannte Sanatorium und dessen adlige Gäste sind längst vergessen. Nur hin und wieder erwachen Prinzessinnen, Fürsten und Grafen für einen kurzen Moment zum Leben: Wenn Romy Weigand in den vergilbten Seiten der Gästebücher blättert.