Unerträglich findet Winfried Sauer den Lärm der Reichenbacher Feuerwehrsirene im Haus und im Hof seiner verstorbenen Schwiegereltern am Anton-Seith-Platz 1. Er selbst habe schon miterlebt, wie in der Scheune Kühe verkalbten und eine anschließend sogar verendete, weil sich die Tiere durch die nahe Sirene erschrocken hätten. „Das grenzt an Körperverletzung“, schimpft er. Die Sirene, die mit 140 Dezibel die Reichenbacher Wehr zusammenruft, befindet sich auf dem ehemaligen Gemeindehaus, nur sechs Meter neben dem inzwischen verkauften Haus.
„Ich habe es mir nicht so schlimm vorgestellt“, sagt der neue Eigentümer. „Wenn das Ding da losgeht, wackelt die ganze Bude, da springt man freiwillig aus dem Fenster.“ Der gebürtige Nüdlinger hat das Haus neben dem ehemaligen Gemeindehaus vor rund zwei Monaten gekauft und möchte mit seiner jungen Familie einziehen. Er sei wirklich ein toleranter Mensch, aber das sei alles andere als zumutbar. Er fordert, dass die Sirene umgesetzt wird. Ursprünglich wollte er das sogar notariell in den Kaufvertrag schreiben lassen, aber hat dann doch davon abgesehen.
Winfried Sauers Sohn Heiko hatte die Problematik in der letzten Sitzung des Münnerstädter Stadtrats angesprochen. Die Sirene, sei ursprünglich zu einem akuten Problemfall geworden, als man noch versuchte das Haus zu verkaufen. Mehrere Interessenten seien wegen des Krachmachers abgesprungen. Seine Eltern hatten deshalb bereits 2009 einen Antrag auf Umsetzung der Sirene gestellt.
Bürgermeister Helmut Blank sagte auf Nachfrage, dass der Antrag zunächst „in der Bearbeitung hängen geblieben“ sei, ob bei der Feuerwehr oder in der Stadtverwaltung, könne er nicht sagen. Schließlich sei der Punkt sogar Thema einer Bauausschusssitzung gewesen, aber von der Tagesordnung geflogen, als bekannt wurde, dass das Haus verkauft ist. Jetzt müsse der neue Eigentümer wieder einen Antrag stellen.
Als besonders krass habe Heiko Sauer es empfunden, als die Sirene beim Brand vor zwei Wochen in einer Nacht gleich dreimal losging. Er verwies außerdem auf den Fall der schwangeren Kissinger Orchesterchefin, die derzeit aufgrund eines Geräuschpegels von über 80 Dezibel nicht mehr arbeiten darf. Sauer sieht eine Versetzung zum Beispiel auf die nahe gelegene alte Schule als Lösung.
Die alte Schule als Standort sei Quatsch, findet hingegen Ortsreferent Fabian Nöth. Da säße die Sirene nur ein paar Meter weiter und auch nur fünf Meter höher. Überhaupt kann er die ganze plötzliche Verärgerung nicht nachvollziehen. Wie oft gehe denn die Sirene schon? Zwölf mal im Jahr bei Probealarm und dann noch ein paar Mal bei Einsätzen. Der Kirchturm sei auch nicht weit und der schlage ja auch viertelstündlich. Außerdem würde eine Versetzung 10 000 Euro kosten. Nur hätte die Sirene dann eben jemand anderes vor der Nase.
Manuel Gessner, Kommandant der Reichenbacher Feuerwehr, zeigt sich ob der erneuten Diskussion verwundert. „Auf mich persönlich ist niemand zugegangen“, sagt er. Eine Versetzung auf die alte Schule – „keine zehn Meter Luftlinie“ – würde aus seiner Sicht für die Betroffenen gar nichts bringen. Dort müsste dann obendrein eventuell sogar der Dachstuhl erneuert werden. Bei einer Versetzung aufs rund 300 Meter entfernt gelegene Gerätehaus würde man mit der Sirene vielleicht nicht mehr alle erreichen. Er sehe zum jetzigen Standort keine Alternative.
Bürgermeister Helmut Blank hat sich in der letzten Stadtratssitzung bereiterklärt, mit der Feuerwehr über das Problem zu reden. Allerdings sehe er wie Ortsreferent Nöth die enormen Kosten von 5000 bis 10 000 Euro und das Problem, dass bei einer Versetzung dann andere betroffen wären. „Das Floriansprinzip kann ich nicht machen“, sagt er. Außerdem müsse die Sirene überall zu hören sein. Hier sei im Zweifelsfall das „Wohl der Allgemeinheit“ höher anzusetzen als die Interessen einzelner.
Helmut Wischang von der Unteren Immissionsschutzbehörde am Landratsamt hat schon einen ähnlichen Fall in Obererthal erlebt. Dort war eine 140-Dezibel-Sirene ähnlich nah an einem Wohnhaus wie in Reichenbach. In sechs Meter Entfernung betrage die Lärmbelästigung noch rund 110 Dezibel, so Wischang. „Da muss sich die Stadt Münnerstadt was überlegen, dass die da wegkommt“, findet er. Er könne außer Messungen nichts unternehmen, die Sirene sei Sache der Stadt. Er empfiehlt Hörner statt einer Rundumsirene. Die seien für Anwohner leiser und hätten zudem eine größere Reichweite.
Im Fall Obererthal entschied der Hammelburger Stadtrat 2004, für rund 16 000 Euro Hörner anstelle der Sirene anzuschaffen. Betroffene hatten damals einen Anwalt eingeschaltet, der auf eine Grundsatzentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in Sachen Sirenenalarmierung pochte. Nach dem Urteil liegt die Zumutbarkeitsschwelle für Lärmbelästigungen bei 97 Dezibel. Die Richter waren der Auffassung, dass Anwohnern bei zu hoher Lärmbelästigung ein finanzieller Ausgleich für den Einbau von Schallschutzfenstern gewährt werden müsste.