Seit etwas mehr als drei Jahren sitzt Tina im Rollstuhl. Doch das ist nur ein Symptom der Krankheit, an der sie leidet. Sie kann nicht sprechen und teilt sich lediglich über Schrei-Laute oder Gestik mit. "Im Händewaschen ist unsere Tina Weltmeister", weist Jutta Hähnlein auf eine typische Auffälligkeit der Krankheit hin. Tina reibt sich dabei ständig die Hände, so als ob sie sie wäscht. Passt ihr irgend etwas nicht oder möchte sie auf etwas hinweisen wird sie unruhig und beißt sich dabei auch in die Hand. Entdeckt wurde das Rett-Syndrom von Professor Dr. Andreas Rett, einem Wiener Kinder- und Jugendpsychiater.
Anfangs alles normal
Die Schwangerschaft und Geburt bei Tinas Mutter verliefen normal. Auch anfangs bemerkten Jutta Hähnlein und ihr Mann Kurt bei der Entwicklung ihres Babys keine Auffälligkeiten. "Sitzen konnte sie erst später und auch gekrabbelt ist sie nicht. Anfangs hat man sich nicht verrückt gemacht und gedacht, das kommt schon noch", erinnert sich Hähnlein.
Relativ früh habe der Kinderarzt reagiert. Er verschrieb Gymnastik und empfahl den Eltern, Tina zur Frühdiagnose in Würzburg anzumelden. "Gelaufen ist Tina etwa mit 20 Monaten. Ich habe immer gedacht, sie muss es doch einfach lernen." Wegen der langen Wartezeiten war Tina bereits zwei Jahre alt, bis sie bei der Frühdiagnose an der Uniklinik Würzburg untersucht wurde. Dort wurde durch eine Reihe von Untersuchungen eine organische Erkrankung ausgeschlossen. Die Uniklinik empfahl den Eltern eine Untersuchung im Kinderzentrum Maulbronn.
"Da war sie zweieinhalb Jahre alt. Hier wurde zum ersten Mal das Rett-Syndrom erwähnt", erzählt Hähnlein. Es war zwar noch zu früh, die Diagnose zu stellen, aber gewisse Merkmale waren schon vorhanden: Hände waschen, Zähne knirschen, die Luft lang einziehen und stoßweise ausatmen.
Es hieß: abwarten, Gymnastik und Frühförderung. Mit vier Jahren besuchte Tina die Katharinenschule für individuelle Lebensbewältigung in Fuchsstadt. Hier erfuhr Jutta Hähnlein von einem Kinderzentrum in München zu dem sie ihre Tochter anmeldet.
"Hier hat man unendlich Zeit für uns gehabt", beschreibt sie die gute Betreuung durch Kinderarzt und Psychologen. "Der Psychologe hat sofort gesehen: Das ist ein Rett-Mädchen." Das war für Tinas Eltern wichtig: Zu wissen was mit ihrem Kind los ist. "Seit die Diagnose feststeht weiß ich, dass Tina viele Sachen einfach nicht kann."
Epileptische Anfälle
So war es dann auch mit dem Laufen. Mit zehn Jahren fiel Tina ständig hin und wollte nicht mehr alleine laufen. Seit etwa drei Jahren bekommt Tina außerdem epileptische Anfälle. "Sie wird zwar nicht bewusstlos. Aber man schläft sehr unruhig und ist ständig dabei, nach ihr zu schauen", so Hähnlein. "Nach der Pubertät soll sich der Zustand stabilisieren", hofft Tinas Mutter, dass es nicht noch mehr Rückschritte gibt.
Tina, die beim Gespräch dabei sitzt, sich ständig die "Hände wäscht", knetet und schlägt, wird unruhig. Ihre Schreie werden lauter und sie fängt an, sich in die Hand zu beißen. "Du hast Hunger. Ich mach dir ein Brot", weiß die Mutter die Zeichen zu deuten. Da Jutta Hähnlein aufsteht und in die Küche geht, scheint Tina zu wissen, dass ihre Mutter sie verstanden hat und wird ruhiger.
In der Fuchsstädter Schule fühlt sich Tina wohl. "Sie wird in ihrer Gruppe von den anderen Kindern bemuttert", erzählt die 41-Jährige. Samstags steht für Tina therapeutisches Reiten in Mitgenfeld auf dem Plan. Trotz ihrer schlechten Möglichkeiten sich mitzuteilen, hat Tina zu erkennen gegeben, dass sie Joschi als ihr Lieblingspferd erkoren hat. "Wenn ich ihr sage, dass wir zum Reiten fahren, weiß ich nicht, ob sie das aufnimmt", so die Mutter.
Medikamente machen müde
Tina lässt den Kopf auf die Brust sinken und verharrt ganz ruhig. "Jetzt wird sie müde", weiß Hähnlein. Tina ist schließlich auch schon seit 630 Uhr auf. Eine Stunde für Anziehen und Frühstück bis sie der Bus nach Fuchsstadt abholt. Zuhause ist sie dann wieder um 1630 Uhr. "Und auch die Medikamente, die sie einnehmen, muss machen müde", erklärt ihre Mutter.
Auch wenn die Familie in ihren Freizeitaktivitäten eingeschränkt ist, ist sie dennoch mit Tina und ihrem sechsjährigen Bruder Pascal viel unterwegs. Über die Elternhilfe Rett-Syndrom haben die Hähnleins Familien mit den gleichen Problemen kennen gelernt. "Die besten Tipps erhält man von betroffenen Familien", freut sich Jutta Hähnlein auf die Treffen mit anderen Familien.
Das letzte Sommertreffen der Gruppen hat sie in Detter organisiert. "Es gibt kein Programm. Wir kommen zusammen, quatschen, spielen Fußball, gehen spazieren, was eben so kommt." Damit sie sich auch mal ausschließlich mit ihrem Sohn Pascal befassen können, ist die Familie auch schon mal ohne Tina in Urlaub gefahren. Da wusste sie Tina im Kurzzeit-Internat in Würzburg gut aufgehoben. Oder bei Oma Annelore und Opa Otto, die beide im Haus einen Stock tiefer wohnen.
Kaum Zeit für Hobbys
Lesen - das wäre ein Hobby von Jutta Hähnlein. Wenn sie die Zeit hätte. Die Tage sind ausgefüllt, erklärt sie. Ständig ist etwas, das neben dem täglichen Allerlei erledigt werden muss. Sei es der regelmäßige Besuch beim Neurologen oder beim Zahnarzt, der mit Tina wesentlich mehr Zeit in Anspruch nimmt als mit einem gesunden Kind, oder Anschaffungen wie ein neuer Rollstuhl oder der Treppenlift. "Es findet nie ein Ende."