In der Einsatzstelle der Brieftaubentransportgemeinschaft Rhön e.V. (BTG) im Gewerbegebiet Niederlauer geht es gerade hoch her, alle sind ein wenig aufgeregt. "Heute ist der erste Preisflug der Saison. Da ist es klar, dass man etwas kribbelig ist", sagt der Auflassleiter der BTG, Karl Braungart. Er ist dafür verantwortlich, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, an dem die Tauben in die Lüfte entlassen werden.
Bis es aber soweit ist, dauert es noch etwas, schließlich muss zuerst einmal alles für den Flug vorbereitet werden. "Der erste Flug nach Bruchsal ist mit rund 210 Kilometern eigentlich noch recht kurz", meint Braungart. Doch da die Saison gerade erst beginnt, ist das für die Tauben günstig. Wie Hochleistungssportler steigern sie ihre Leistungen im Laufe des Jahres. Bei drei Vorflügen, die von Karlstadt, Tauberbischofsheim und Mosbach in die Heimat führten, konnten sich die Tiere schon ein wenig auf die Saison vorbereiten, in der sie wieder sportliche Höchstleistungen erbringen werden. Nicht umsonst werden die Brieftauben im Volksmund "Rennpferde des kleinen Mannes" genannt, wobei die Geschwindigkeiten eines Pferdes verglichen mit denen einer Taube fast lächerlich gering sind. "Im Schnitt schaffen die trainierten Tiere rund 80 km/h", sagt Auflassleiter Braungart. Mit Rückenwind kommen die behänden Tiere sogar auf 100 bis 120 Sachen, eine schier unglaubliche Leistung, wenn man die leichten Tiere vor sich sitzen sieht. "Bei Gegenwind kommen sie immer noch auf rund 60 km/h, natürlich sind die Flüge dann für die Brieftauben um einiges anstrengender", sagt der Auflassleiter.
Wichtig sei immer, dass die Thermik stimmt. "Meist ist diese eine bis eineinhalb Stunden nach Sonnenaufgang schon recht gut", weiß er aus Erfahrung. Unter zehn Grad Außentemperatur gibt er den Flug nicht frei, bei geschlossener Wolkendecke können sich die Brieftauben nicht orientieren. Wenn diese nicht aufreißt, dann kann es sogar passieren, dass ein Preisflug abgesagt werden muss. "Das Wohl der Tiere geht über alles", so das Credo der Taubenliebhaber. Lieber ein Flug weniger als den Verlust der Tauben zu riskieren. Akribisch prüft Braungart deshalb die Wetterlagen, wobei er die ganze Reisestrecke im Blick hat. Schließlich obliegt es ihm, die Freigabe für den Flug zu erteilen. Hierbei muss er ein großes Gebiet im Blick haben, die weitesten Flugstrecken in diesem Jahr gehen von Auxerre und Gien in Frankreich in die Heimat, wobei die Brieftauben rund 550 bis 630 Kilometer zurücklegen müssen.
Der Flug nach Bruchsal, der die Saison einläutet, fällt von der Wegstrecke her um einiges geringer aus. Doch zuerst müssen die Tauben gesetzt werden. Hierzu sind die Brieftaubenzüchter nach Niederlauer gekommen. Denn jede Taube muss für den Flug registriert werden, mit einem speziellen Ring am Fuß kann jede eindeutig zugeordnet werden. Dies geht sehr schnell. Die Taube wird über ein Lesegerät gehalten, das mit einem kleinen Kästchen verbunden ist, welches jeder Züchter hat. Ein kurzes Piepen und die Taube ist für den Preisflug registriert.
Dann wird sie in eine große luftige Transportbox verbracht, von wo aus sie auf den Lkw geladen wird, der sie zum so genannten Auflassort fährt. Den Brieftaubenzüchter liegen ihre Tiere sehr am Herzen: so werden sie gleich nach dem Verladen in die Boxen getränkt, damit es ihnen an nichts mangelt. 24 Tauben werden in jeweils eine Transportbox gebracht, hier haben sie ausreichend Platz.
Ein leicht aufgeregtes Gurren zeigt die Vorfreude der Tiere auf den Flug, man merkt, dass sie das Prozedere schon kennen. Nach dem Transport und dem Auflassen kommen sie schnell wieder in der Heimat an, wo die heimischen Züchter bereits auf sie warten. "Auch wenn alles vollautomatisch abläuft: Die Tauben bei ihrem Einflug zu sehen, wie sie von einem kleinen Pünktchen im Himmel immer größer werden und dann mit großer Geschwindigkeit in den Schlag fliegen, ist auch nach vielen Jahrzehnten Taubensport für mich immer noch ein Highlight", sagt Braungart.
Automatisch registriert die ausgefeilte Elektronik die Ankunft der Tiere und speichert das Ergebnis auf ein kleines Kästchen, das zur Auswertung wieder zur Einsatzstelle gebracht wird. Hierfür ist Lars Zirkelbach verantwortlich, der sie an den Laptop anschließt, wo in Windeseile das Ergebnis ausgerechnet wird. Dies ist ein kompliziertes Verfahren, neben der Schlagentfernung, die auf den Meter genau per GPS ausgemessen ist, gibt es für die vorn platzierten As-Punkte. "Als noch alles von Hand ausgerechnet wurde, dauerte es Tage, bis das Ergebnis feststand. Mit der heutigen Technik geht dies innerhalb weniger Minuten", sagt Braungart.
Überhaupt habe sich im Brieftaubensport in den vergangenen Jahrzehnten vieles professionalisiert: die einzelnen Futterkomponenten sind genau aufeinander abgestimmt, je nach Flug wird den Tieren mehr oder weniger eiweiß- beziehungsweise kohlenhydrathaltiges Futter gegeben, nach der Ankunft im heimischen Schlag werden ihnen bestimmte elektrolythaltige Nahrung vorgesetzt, damit sie sich schnell wieder von den Anstrengungen erholen. Selbst eine Doping-Kommission gibt es in den höheren Klassen, ähnlich wie im professionellen Sport. Dennoch ist es für die Brieftaubenfreunde, die sich in Niederlauer versammelt haben, die Liebe zu ihren Tieren, die ihnen über alles geht.
Und auch für den guten Zweck ist man unterwegs. So beispielsweise bei der "Aktion Mensch", ein bundesweiter Flug, bei dem der Erlös einem wohltätigen Zweck zugute kommt. "Hier kamen in den vergangenen Jahren bereits neun Millionen Euro zusammen", berichtet Braungart.
Jetzt sind die Teilnehmer erst einmal gespannt, wer beim Preisflug aus Bruchsal die Nase vorn hat. Denn auch das Hinfiebern auf den Einflug der Brieftauben in die heimischen Schläge macht die Faszination für diesen ganz besonderen Sport aus.