Bei dem vergnüglichen Abend erinnerte Guhling im Sitzungssaal des Rathauses an die Zeit im 19. Jahrhundert, als es eine besondere Spezies von Herrenzirkeln auch in Münnerstadt gab. Seit mehreren Jahren befindet sich im Rathaus ein großes Bild, das die Mitglieder dieser Reichstruppen zeigt. Gemalt wurde es von Ignaz Bals, Turn- und Zeichenlehrer am hiesigen Gymnasium und Mitglied dieser Vereinigung.
1852 zeigte ein Dr. August Schmitt der Stadt die Gründung des Vereins an, der den Namen Reichstruppen tragen sollte. In Münnerstadt gab es im Henneberger Hof (dem heutigen Anwesen Lochner, Jörgentorgasse 1) einen Wirt namens Johann Sprung. Er erhielt, wegen der Gleichheit des Vornamens mit dem habsburgischem Erzherzog Johann, der 1848 von der Nationalversammlung in Frankfurt als Reichsverweser bestellt wurde, eben diesen Titel als scherzhaften Beinamen. Das Wirtshaus selbst wurde Lager genannt. Die Leute, die in diesem Gasthaus verkehrten, betitelten sich selbst als Reichstruppen. Auch wenn es die Namensgebung vermuten ließ, lagen bei der Gründung des Vereins, der Reichstruppe, keinerlei national-politische Absichten vor.
In drei Paragraphen, die den Zweck des Vereins betreffen, wird formuliert, dass Geselligkeit mit dem Motto Hungrig, durstig und fidel im Mittelpunkt stehen sollte, außerdem musikalische Unterhaltung, über Politik durfte nicht gesprochen werden. Um innerhalb des Vereins dem öffentlichen Leben den Rücken kehren zu können, erhielt jedes Mitglied einen Fantasienamen. Der Gründer Dr. Schmitt etwa, nannte sich fortan Oberst der Reichstruppen Herzog Huno von Haunstein.
Seine Schreiben an die Mitglieder bezeichnete er als Armeebefehle, die nach der Anzahl der Treffen, die Lager hießen, durchnumeriert wurden. Man hatte somit eine eigene Zeitrechnung, die noch mit dem Zusatz im Jahr des Friedens ergänzt wurde. Friedenszeit war eine unabdingbare Voraussetzung, um unbeschwerter Geselligkeit nachgehen zu können.
Innerhalb der Reichstruppen gab es viele weitere Rangbezeichnungen, wie Reichsverweser (der Gastwirt Johann Sprung) Reichsauditor als Oberster Gerichtsherr der Reichstruppen, Reichsadmiral oder Reichssiegelbewahrer. Jedes Mitglied der Reichsgruppen hatte ein oder zwei Posten. Klaus Dieter Guhling versuchte mit Dias des Bildes im Rathaus und überlieferter Einzelportraits verschiedene Mitglieder der Reichstruppen mit ihrem bürgerlichen Namen zu indentifizieren.
Die Mitglieder der Reichstruppen kamen vor allem aus Jungakademikerkreisen. Wenn sie nach kurzer Zeit Münnerstadt verlassen mussten, wurde von Versetzung auf vorgeschobene Wachtposten-Stationen gesprochen.
Für verdiente Mitglieder gab es auch eigene Orden, die Reichswackern, die Reichslumpen und die Reichsschweine. Disziplinarvergehen gegen die ausgeklügelte Satzung wurden vor dem Kriegsgericht behandelt. Wollte ein Mitglied in Urlaub, musste es sich erst einen Urlaubsschein vom Oberst ausstellen lassen.
Klaus Dieter Guhling gab mit seiner packenden Rezitationsweise auch Einblick in Ausschnitte der Reichszeitung. Die gewählte Sprache der Herren des 19. Jahrhunderts lies er zur Geltung kommen. Die letzte Schrift von der von der Existenz der Reichstruppen, Guhling liegt aus dem Jahre 1864 vor.
Wegen der starken Fluktuation der Mitglieder auf Grund von Versetzungen in entferntere Orte und durch Familiengründungen wurde das starre Reglement aufgehoben und die Reichstruppen-Herrlichkeit hatte sich überlebt.