Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bad Kissingen
Icon Pfeil nach unten
Bad Brückenau
Icon Pfeil nach unten

BAD BRÜCKENAU: Schwestern zwischen G9 und G8

BAD BRÜCKENAU

Schwestern zwischen G9 und G8

    • |
    • |

    Morgens, 6.30 Uhr: Bei Valerie und Annabell Möller im Motten klingelt der Wecker. Früh aufstehen heißt es für die beiden Schwestern, die das Bad Brückenauer Franz-Miltenberger-Gymnasium besuchen.

    Auch wenn deren Schultag zur gleichen Zeit beginnt und im gleichen Gebäude stattfindet, so bekommen die beiden Mädchen doch eine unterschiedliche Ausbildung: während die 18-jährige Valerie nach neun Jahren Gymnasium in wenigen Wochen ihr Abitur absolvieren wird, durchläuft Schwester Annabell bereits das neue G8-System.

    Sie ist inzwischen in der zehnten Klasse und gerade von einem dreimonatigen Auslandsaufenthalt in Kanada zurückgekommen: „Ich habe lange überlegt, ob es überhaupt möglich ist, den verpassten Stoff nachzuholen“, erzählt Annabell.

    Auch Schwester Valerie hatte das Gymnasium in der zehnten Klasse für drei Monate gegen eine Schule in Neuseeland eingetauscht. „Sicher war es auch für mich anstrengend, aber ich denke, das G8 macht das Erwerben solcher Extra-Qualifikationen noch um einiges schwieriger“, schätzt Valerie, die auch in ihrer Funktion als Schülersprecher mit dem Thema G8 immer wieder zu tun hat.

    Täglich erleben die beiden Schwestern den direkten Vergleich zwischen dem alten und dem neuen, häufig kritisierten System. Überforderte Schüler, zu viel Nachmittagsunterricht, der doppelte Abiturjahrgang 2011: Kultusminister Ludwig Spaenle muss sich wie schon sein Vorgänger Siegfried Schneider nicht selten Beschwerden anhören.

    Im Landtag wird auch jetzt noch, sechs Jahre nach der hastigen Einführung des G8, noch über Reformen der Reform diskutiert. Erst vor wenigen Wochen hat sich die Kritik der Betroffenen wieder einmal deutlich entladen: Dem Protestaufruf der Schülerinitiative Q11 waren in Bayern am 12. Februar insgesamt rund 3500 Jugendliche gefolgt. 500 nahmen an der Kundgebung in Würzburg teil, darunter einige aus Bad Brückenau.

    Unter ihnen war auch der Elftklässler Philipp Jung, stellvertretender Schülersprecher des Brückenauer Gymnasiums. Sein Jahrgang ist der erste Oberstufen-Jahrgang im neuen System. „Die Idee des G8 ist auf jeden Fall sinnvoll, aber die Umsetzung ist an vielen Stellen noch verbesserungswürdig,“ resümiert der 17-Jährige aus Speicherz.

    Mittag, 13 Uhr: Mittagspause am Brückenauer Franz-Miltenberger-Gymnasium. Viele der älteren Schüler hat die Sonne aus ihrem Aufenthaltsraum nach draußen gelockt. Sie verbringen die freie Zeit bis zum Nachmittagsunterricht vor dem Schulgebäude. Seit der Einführung des G8 ist es hier um die Mittagszeit deutlich lebhafter geworden.

    Bereits in der Unterstufe haben die Gymnasiasten an einem Nachmittag pro Woche Unterricht. „In der 8. und 9 Klasse sind es in der Regel zwei Nachmittage“, erklärt Direktor Stefan Bub. Philipp Jung und seine Mitschüler aus der neuen „Q11“ – das Q steht für Qualifikationsphase – sind zum Teil an bis zu vier Nachmittagen in der Woche bis 15.30 Uhr oder aber sogar bis 17 Uhr am Gymnasium.

    Insgesamt 66 Wochenstunden muss die neue G8-Oberstufe in den zwei Jahren bis zum Abitur belegen. „Im Vergleich zu unseren Vorgängern sind es sechs Wochenstunden mehr“, erklärt Philipp. Auch wenn er die Herausforderung G8 als machbar ansieht, ist er doch froh über die zwei Wochen Verschnaufpause, die ihm die Osterferien bescherten: „Vor den Ferien merken auch unsere Lehrer meistens schon, dass bei vielen einfach die Luft raus ist.“

    Die Lehrkräfte in Bad Brückenau haben Verständnis für ihre Schüler und versuchen, die Belastung möglichst gering zu halten, „aber sie müssen natürlich trotzdem ihren Stoff durchbekommen“, so Philipp Jung. Das zählt auch für die neu eingeführten P- und W-Seminare in der Oberstufe.

    In den P-Seminaren werden Praxisprojekte durchgeführt, in den W-Seminaren erfolgt eine Heranführung an das wissenschaftliche Arbeiten. Die Vorbereitung auf die Universität und das Berufsleben soll durch die Kurse verbessert werden. „Die Berufsorientierung ist auf jeden Fall ein positives Element des G8“, sagt Annabell Möller.

    Während sie das Praxisseminar als sinnvoll erachtet, ist Philipp Jung vor allem von seinem W-Seminar mit dem Thema „Kommunikation“ angetan. Denn Ausdrucksfähigkeit hat im G8 in Sachen Notengebung mehr Gewicht: Mündliche und schriftliche Noten zählen in der Q-Phase im Verhältnis 50:50. Jung ist davon nicht unbedingt begeistert. „Eine einzige unglückliche Abfrage kann eine gute Klausur-Leistung, für die man lange gelernt hat, schnell verhauen.“

    Mit Skepsis sieht er auch das kommende Schuljahr mit dem doppelten Abiturjahrgang. Das Kultusministerium hat zu diesem Zweck bereits landesweit Infoveranstaltungen abgehalten: „Den Engpässen möchte man durch zusätzliche Studienplätze begegnen und man hat eine Regelung eingeführt, nach der die letzten G9-Schüler ihr Abi bereits einige Wochen vor den G8-Abiturienten machen, so dass sie sich ausnahmsweise schon zum Sommersemester einschreiben können“, erklärt Bub.

    Einen Ansturm auf die Studienplätze wird es sehr wahrscheinlich trotzdem geben: insgesamt 70 000 Schüler werden in Bayern im Frühjahr 2011 nahezu zeitgleich fertig, rund 80 davon in Bad Brückenau. Die Problematik betrifft nicht nur die künftigen Abiturienten. Auch Valerie Möller, die ihr Abitur dann bereits in der Tasche hat, muss diese Situation bei ihrer Zukunftsplanung im Blick behalten: „Ich wollte eigentlich nach dem Abschluss noch ein halbes Jahr ins Ausland, aber das lasse ich jetzt bleiben, sonst rutsche ich in den doppelten Jahrgang rein.“

    Abends, gegen 17.45 Uhr: Während Valerie Möller seit Mittag zuhause ist und in den Abitur-Vorbereitungen steckt, ist für Annabell Möller jetzt erst Feierabend. Und dann sind da ja eigentlich auch noch die Hausaufgaben, der Tennisclub, ihre Freunde. Eines lernt man im G8 auf jeden Fall schon früh: Zeit- und Selbstmanagement.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden