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BAD BRÜCKENAU: Wohnen mit Herz scheitert an Gesetzen

BAD BRÜCKENAU

Wohnen mit Herz scheitert an Gesetzen

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    Können trotzdem noch lachen: Die beiden letzten Bewohner des AWO-Seniorenhauses, Eugen Habermehl und Heidemarie Eiche (rechts) mit der Hausleiterin Sabine Preisendörfer.
    Können trotzdem noch lachen: Die beiden letzten Bewohner des AWO-Seniorenhauses, Eugen Habermehl und Heidemarie Eiche (rechts) mit der Hausleiterin Sabine Preisendörfer. Foto: Montage: Steffen Bischoff, Fotos: Steffen Standke

    Der 31. Dezember wird für Sabine Preisendörfer, Leiterin des Willy-Brandt-Hauses in Bad Brückenau, ein trauriger Tag werden. Dann muss sie die Tür des „Wohnens mit Herz“ im Kalkgrund endgültig zuschließen. Ein wegweisendes Projekt mit Senioren-Wohngemeinschaften, an das viele Hoffnungen geknüpft waren, ist Geschichte.

    Die Enttäuschung ist Sabine Preisendörfer anzumerken. Muss sie doch gerade eine Sache organisatorisch abwickeln, die sie überhaupt nicht gewollt hat. Bis auf zwei sind die meisten Mieter des ambulant betreuten „Wohnens mit Herz“ ausgezogen. Ab 1. Januar steht das Mehrfamilienhaus, in dem einst 22 Menschen lebten, leer.

    Ein schwerer Schlag für Preisendörfer und die AWO deswegen, weil viel Herzblut investiert wurde.

    Begonnen hatte es im Juni 2003. Da startete das Projekt als vollstationäre Hausgemeinschaft. Ruheständler, die entweder keine oder geringe Pflege benötigten, bekamen unter Aufsicht eigene vier Wände. Sie hielten ihren Haushalt selbst in Ordnung. Pfleger kümmerten sich rund um die Uhr um sie; es wurde gemeinsam gekocht, geputzt, gewaschen.

    Natürlich ging das nur für Senioren, die Pflegestufe null bis zwei hatten, also nur geringe Betreuung brauchten, ansonsten selbstständig waren. Man ging nach dem Motto: Lieber sollen die Senioren gemeinschaftlich in einem Pflegeheim leben, als daheim zu vereinsamen.

    Laut Preisendörfer kam diese neue, individuelle Betreuungsform bei Bewohnern, Angehörigen und Aufsichtsbehörden bestens an. Alle seien zufrieden gewesen.

    Zwar unterlagen die Senioren-WGs dem Heimgesetz, das ein gewisses Betreuungspersonal vorschreibt. Man fand aber gemeinsam mit der Heimaufsicht beim Landratsamt einen Kompromiss.

    Die geforderten Auflagen in Bezug auf das Personal konnten jedoch nicht voll umgesetzt werden. Tagsüber und wochentags war eine Pflegefachkraft für die Senioren da, nachts und am Wochenende eine Pflegehelferin.

    Dann kam der Tag, an dem die Heimaufsicht erneut beim Wohnen mit Herz anklopfte. Plötzlich ging insbesondere der Kompromiss mit den Betreuungskräften nicht mehr tragbar. Ein Versuch, das WG-Modell über eine Erprobungsregelung weiterlaufen zu lassen, scheiterte nach intensiven Gesprächen mit Medizinischem Dienst der Krankenkassen (MDK), Heimaufsicht und Regierung von Unterfranken.

    Von MDK und Heimaufsicht kam ein Vorschlag, die Hausgemeinschaft in eine ambulant betreute Wohnform umwandeln. Das heißt, die Senioren wohnen bei der AWO zur Miete. Darüber hinaus können sie wenn nötig bei einem ambulanten – also nicht ständig präsenten – Pflegedienst gewisse Pflegeangebote hinzubuchen, ebenso Hilfe im Haushalt. Eine ständige Aufsicht gibt es nicht.

    Hoffnungsvolle Experiment

    Für Sabine Preisendörfer und ihre Kollegen war das Neuland. So viel Eigenverantwortung der Senioren hatte man noch nie.

    Man entschloss sich, den mutigen Schritt zu gehen. Weil die Politik den Grundsatz ambulant vor stationär ausgegeben hat. Und weil die AWO laut ihren Leitsätzen Menschen unterstützt, die eigenständig und verantwortlich leben, und alternative Lebenskonzepte fördert.

    Zum Jahreswechsel 2008/2009 bekamen die 22 Bewohner ihre Mietverträge. Damit sie nicht allein wären, wurde „SOPHIA – Soziale Personenbetreuung – Hilfen im Alltag“ gegründet. Bei dieser Art von Hausnotruf genügte ein Knopfdruck an einem Armband, und der sozialpflegerische Dienst der AWO oder die Rettungsleitstelle wurde verständigt.

    Es herrschte Hoffnung, erinnert sich Preisendörfer. Hoffnung, dass das Experiment gelingt. Dass innerhalb sozialgesetzlicher Vorgaben seniorenpolitisch Neues entsteht.

    Doch das erwies sich als trügerisch. Allmählich wurden die Bewohner weniger. Einige verstarben, andere zogen aus. Neue Mieter kamen trotz Werbung kaum. Das Risiko, die Senioren weitgehend sich selbst zu überlassen, war wohl ihnen und ihren Angehörigen zu groß.

    Immer weniger Mieter

    „Vielleicht war die Zeit in Bad Brückenau noch nicht reif für solche ambulant betreuten Wohnformen. In größeren Städten wie Hamburg und im Mittelfränkischen funktionieren sie sehr gut“, sagt die Leiterin des Willy-Brandt-Hauses.

    Zum Schluss wohnten nur noch fünf bis sechs Senioren im Mehrfamilienhaus. Wirtschaftlich zu betreiben war es damit laut Preisendörfer nicht mehr. Das endgültige Aus kam, als der Angehörigenrat, eine Interessenvertretung aus Bewohnern und ihren Betreuern, nicht mehr zustande kam: „Dann haben wir das Projekt aufgegeben.“

    Jetzt sitzt Preisendörfer mit Eugen Habermehl und Heidemarie Eiche – den letzten beiden Bewohnern – in einer der Gemeinschaftsküchen. „Wir haben hier gern gewohnt“, sagt Habermehl. Für die Senioren wird es weitergehen. Sie sind ins Willy-Brandt-Haus, andere Pflegeheime oder eigene Wohnungen umgezogen beziehungsweise tun es im Fall von Habermehl und Eiche noch.

    Preisendörfer ist enttäuscht über die Politik: „Die schafft Gesetze, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben.“ Hätte man die bis Ende 2008 praktizierte Wohnform beibehalten, hätte sie eine vielversprechende Zukunft gehabt. Doch so schließt sie mit den Türen des ambulant betreuten Wohnens ein hoffnungsvolles Projekt endgültig ab.

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