Die Versorgung von geflüchteten Menschen stößt zunehmend an Kapazitätsgrenzen. Laut dem bayerischen Städtetag, dem bayerischen Landkreistag und auch unterfränkischen Politikern wie dem grünen Miltenberger Landrat Jens Marco Scherf betrifft dies nicht nur Unterkünfte oder Kitaplätze, sondern besonders auch Sprach- und Integrationskurse.
1308 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hat in solchen Kursen für den Februar 2023 etwa die Arbeitsagentur Würzburg verzeichnet. "Ein Rekordhoch", sagt Sprecher Wolfgang Albert, ,"eine solch starke Teilnehmerzahl hatten wir nicht mal in den Jahren 2015/16." Für ganz Unterfranken beträgt im Februar 2023 allein die Zahl jener Geflüchteten, die auf Betreiben der Arbeitsagenturen in zertifizierten Sprachkursen sitzen, 3369 Personen. Im Februar 2022 waren es zwei Drittel weniger - nämlich 1284 Personen.
Weil an Sprachkursen aber auch Menschen teilnehmen dürfen, die die Berechtigung von anderen Behörden bekommen, dürfte die Zahl der Teilnehmer unterfrankenweit deutlich höher liegen. Vor allem aber ist die Zahl derer, die noch auf einen Kurs warten, Experten zufolge "extrem hoch". Sie wird aber nirgends erfasst.
Thema im Integrationskurs: Wie ticken die Deutschen?
Allein in Würzburg gibt es laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) fünf zugelassene Träger von Integrationskursen. Ein großer Träger ist die Volkshochschule (Vhs), die in Würzburg 13 Integrationskurse parallel anbietet, viele davon in Räumen der Schillerschule.

Dort lernen an einem Märzvormittag 15 fortgeschrittene Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Syrien, der Ukraine, aus Armenien und Somalia, Kasachstan und Tschetschenien zum Beispiel, wie die Deutschen ticken: Dass sie eher distanziert sind und aufs Siezen Wert legen. Dass sie, laut Deutschbuch, sauber und ordentlich sind und "unordentliches Aussehen negativ bewerten". Dass Frauen und Männer gleiche Rechte haben. Und auch, dass Deutsche "Weltmeister in der Mülltrennung" sind.
Das Wort "Mülltrennung" kennen die Kursteilnehmer überraschenderweise schon, über den "Weltmeister" stolpern sie. "Ist das wie Hausmeister?", rät eine Teilnehmerin.
Zehn Monate dauert der Integrationskurs
Was hier gerade unterrichtet wird, ist Teil eines vom BAMF zertifizierten und rund zehn Monate dauernden Programms, das die Teilnehmenden befähigen soll, die deutsche Sprache und die Deutschen zu verstehen: Wenn sie die sechs Module sowie den Orientierungskurs bewältigt haben, sollen die Teilnehmer Deutsch auf "Sprachniveau B1" beherrschen und damit in Alltagssituationen – und im Arbeitsumfeld – selbständig anwenden können.
Was ist der Unterschied zwischen "Handy" und "Hände"? Ist "altes Papier" das gleiche wie "Altpapier"? Lehrerin Angela Radatti-Böhmer, selbst vor Jahrzehnten aus Rom zugewandert, erklärt, hilft, verdeutlich, fragt nach, lässt vorlesen, verbessert – und dies fünf Unterrichtsstunden pro Werktag. Sie nimmt nicht nur durch, was für Deutsche laut Buch zum "guten Ton" gehört. Sondern bespricht zum Beispiel auch ein kurzes Brecht-Gedicht und klärt mit den engagierten Schülerinnen und Schülern: Was ist die DDR? Gibt es dieses Land noch? Und was ist ein Nazi?
Extrem hoher Bedarf bei Trägern: Sprachlehrkräfte verzweifelt gesucht
Radatti-Böhmer sagt, sie sei von anderen Sprachkurs-Trägern schon angefragt worden, ob sie auch anderswo unterrichten wolle – der Bedarf an Lehrkräften sei extrem hoch. "Es ist natürlich gerade ein Problem, Leute zu finden, die unterrichten können und dürfen", bestätigt Saskia Mahlstede, die an der Vhs Würzburg für Sprachkurse zuständig ist. Bei der Anwerbung neuer Lehrkräfte muss sich die Vhs als Kursträger nämlich an die Zulassungskriterien des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge halten – und da liegt die Latte hoch: Integrationslehrer brauchen für eine Direktzulassung einen Hochschulabschluss in Deutsch als Fremdsprache oder mindestens das erste oder zweite Staatsexamen in Germanistik oder einer modernen Fremdsprache.
Bundesamt für Migration erlässt Ausnahmeregelungen zur Lehrkräfte-Gewinnung
Damit zielt das BAMF auch auf jene Pädagogen ab, um die in dieser Zeit des Lehrermangels aktuell auch die Kultusminister aller Bundesländer und viele Nachhilfeinstitute wetteifern. Um die "Lehrkräftekapazitäten zu erhöhen", hat das Bundesamt zum Februar 2023 Ausnahmeregelungen erlassen, nach denen sich jetzt auch Masterstudierende im Fach Deutsch als Fremdsprache als Integrationslehrer bewerben dürfen; außerdem erfahrene Lehrkräfte ab 60 Jahren, die einen Lehramtsabschluss für andere Fächer als Sprachen haben.

Dass es trotz dieser Änderungen schwierig bleibt, Integrationslehrer zu finden, bestätigt Dr. Christine Burck, die die Sprachschule Inlingua in Schweinfurt leitet. Zwar bekomme sie noch Bewerbungen von Sprachlehrern, sagt sie. "Aber die gehen so: 'Hallo, ich lebe gerade auf Mallorca und könnte Online-Sprachkurse an den Nachmittagen ab 15 Uhr anbieten'." Jedoch brauche die zertifizierte Schule Leute in Präsenz - "die nicht nur vor Ort unterrichten, sondern auch Prüfungen abnehmen können".
"Chancen-Aufenthaltsrecht" berechtigt auch Menschen mit Duldung zum Kursbesuch
Dass der Andrang auf die Sprach- und Integrationskurse derzeit extrem hoch ist, liegt nicht nur an den vielen Geflüchteten aus der Ukraine. Es liegt auch daran, dass seit Januar das sogenannte "Chancen-Aufenthaltsrecht" wirksam ist. Nach diesem Gesetz haben Menschen, deren Asylantrag nicht anerkannt wurde, die aber seit über fünf Jahren mit einer Duldung in Deutschland leben, ein 18-monatiges Aufenthaltsrecht. "In dieser Zeit haben sie eine faire Chance, die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen. Dazu gehören ... gute Kenntnisse der deutschen Sprache", teilt die Bundesregierung mit.
Das heißt, dass geduldete Migranten den Integrationskurs brauchen, um weiter in Deutschland zu bleiben und gut daran tun, sich schnell anzumelden: So wie die mehrfache Mutter aus Tschetschenien, die in Radatti-Böhmers Kurs in Würzburg lernt und sich mündlich gut auf Deutsch ausdrücken kann –obwohl sie noch Angst hat, mit Deutschen in der Öffentlichkeit zu reden. "Ich bin seit elf Jahren in Deutschland. Meine Kinder gehen hier in die Schule", sagt sie. "Ich war vorher nicht berechtigt. Ich bin jetzt berechtigt. Bin glücklich."
Bundesregierung öffnet Integrationskurse für ein noch größeres Klientel
Während nicht nur in Unterfranken laut den Trägern Lehrkräfte, Räume und Verwaltungskräfte für die Integrationskurse extrem knapp werden, hat die Bundesregierung die Integrationskurse zum Januar 2023 aber noch weiter geöffnet – nämlich für alle Asylbewerberinnen und Asylbewerber und zwar "von Anfang an". Der Integretions- und der Berufssprachkurs werden künftig "grundsätzlich im Rahmen verfügbarer Plätze zugänglich sein", so die Erklärung, "unabhängig vom Herkunftsland oder Einreisedatum der betroffenen Personen".
Die Integrations-Experten in Unterfranken fragen sich, wie das gehen soll. Woher die Leute und Räume dafür nehmen?