Schon bei der Anfahrt ist am Samstagmorgen zu sehen, dass im Wald bei Stettfeld etwas Besonderes los sein muss. Den ganzen Waldweg entlang sind Autos am Wegrand geparkt. Auf einer Wegkreuzung zwischen den hohen Bäumen steht, trotz des leichten Regens, eine große Traube von Menschen. Um sie herum sind mehrere Traktoren abgestellt, mit dabei sind außerdem einige Medienvertreter – neben Zeitungsreportern sind auch Filmteams verschiedener Fernsehsender vor Ort.
Der Grund für die Ansammlung ist die Verteilung des Holzes aus dem Gemeindewald. Denn in Stettfeld gibt es 104 Rechtler, also Bürger, die ein Anrecht auf das Holz aus diesem Wald haben. Kurz gesagt bedeutet das: Die Bäume, die in diesem Wald stehen, gehören der Gemeinde, doch sobald einer davon umstürzt – egal, ob er gefällt wurde oder beispielsweise durch einen Sturm umgekippt ist – geht das Holz in das Eigentum der Rechtler über. Rechtsgrundlage hierfür ist ein Vergleich aus dem Jahr 1901 beziehungsweise ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs von 1912, das diesen bestätigt. Die Holzrechte sind dabei an bestimmte Grundstücke gebunden. Werden diese also verkauft oder vererbt, wird das Nutzungsrecht auf den neuen Eigentümer übertragen.
Bei der Verteilung des Brennholzes am Samstagvormittag sollte es sich also eigentlich um einen normalen, unspektakulären Verwaltungsakt handeln. Doch es gibt eine Vorgeschichte. Ein Streit um die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Holzrechte endete vor Gericht und hat in den vergangenen Jahren das Dorf immer mehr gespalten. Deshalb sind bei der Verteilung schließlich nicht nur die 104 Rechtler anwesend, sondern auch Reporter von regionalen und überregionalen Medien.
Angefangen hatte die Auseinandersetzung mit der letzten Kommunalwahl. Wer als Gemeinderat selbst Rechtler oder ein naher Verwandter eines Rechtlers ist, darf in Angelegenheiten, die die Holzrechte betreffen, nicht mit abstimmen. Da mehr als die Hälfte der Ratsmitglieder davon betroffen sind, gilt der Gemeinderat in dieser Sache als nicht beschlussfähig. In solchen Fällen kann das Landratsamt ein einzelnes, nichtbetroffenes Ratsmitglied zum Beauftragten für dieses Thema ernennen. Diese Person darf dann praktisch im Alleingang die Entscheidungen zu diesem Thema treffen.
Da sowohl der 1. Bürgermeister als auch die 2. Bürgermeisterin von Stettfeld zu den Rechtlern und ihren Verwandten gehören, fiel die Wahl des Landratsamts auf die 3. Bürgermeisterin Nicole Meyer. Die stellte allerdings in Frage, ob die Holzrechte überhaupt noch gültig seien, immerhin stammten die entsprechenden Verträge und Urteile noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg – seitdem haben Deutschland und Bayern mehrfach die Staats- und Regierungsform gewechselt.
Mittlerweile hat das Verwaltungsgericht klar entschieden, dass die Rechtler weiterhin Anspruch auf das Holz haben. Eigentlich könnte die Auseinandersetzung damit beendet sein, doch der Rechtsstreit hat seine Spuren hinterlassen. So war in der Zeit, in der die Angelegenheit vor Gericht verhandelt wurde, kein Holzeinschlag möglich. Die Rechtler beklagten, dass ihnen dadurch Holz verloren gegangen sei, das ihnen eigentlich zugestanden hätte. Außerdem hat die Auseinandersetzung vor Gericht zu einigen persönlichen Anfeindungen geführt. Besonders auf die 3. Bürgermeisterin Nicole Meyer sind viele Rechtler sauer. Auch Bürgermeister Alfons Hartlieb, der selbst Rechtler ist, wird von den anderen Inhabern von Holzrechten verbal teilweise heftig attackiert. Denn immer wieder hatte er Nicole Meyer in ihrer Rolle als Staatsbeauftragte verteidigt und sich damit selbst zur Zielscheibe gemacht. Einige Rechtler werfen dem Bürgermeister sogar vor, er selbst ziehe im Hintergrund die Fäden, Meyer hätte nur ihre Unterschrift unter seine Entscheidungen gesetzt.
Wie tief die Gräben mittlerweile sind, wird auch am Samstagvormittag im Wald deutlich. Als Nicole Meyer einem Fernsehteam ein Interview gibt, stehen einige Rechtler im Hintergrund und kommentieren ihre Worte mit Zwischenrufen. „Wir greifen nicht das Holzrecht an. Aber wir wollen die Verteilung neu organisieren“, sagt die 3. Bürgermeisterin in diesem Gespräch. Als sie betont: „Wir hoffen auf eine Einigung“, kommentieren das die Umstehenden mit lautem Gelächter.
Auch zwischen dem Rechtlervorsitzenden Werner Rümer und Bürgermeister Hartlieb gibt es am Rande der Veranstaltung einen Schlagabtausch. Nachdem einige Rechtler dem Bürgermeister vorgeworfen haben, das Dorf zu spalten, entgegnet der an Rümer gerichtet: „Ich weiß, du versuchst mich immer zu provozieren, aber das gelingt dir nicht.“ Als die Fernsehreporter Alfons Hartlieb auf seinen Umgang mit persönlichen Anfeindungen ansprechen, sagt dieser in die Kamera: „Es geht so. Man hält sich.“
Streitpunkt ist nun vor allem der Hauerlohn, also die Bezahlung der Mitarbeiter, die die Bäume gefällt haben. Dass die Rechtler diesen für das Holz, das sie bekommen, zu bezahlen haben, sei eine Selbstverständlichkeit, betont Werner Rümer. Allerdings finden die Rechtler die Kosten von 25 Euro pro Festmeter Holz recht hoch. In den Jahren, in denen sie den Holzeinschlag selbst organisiert haben, sei das um einiges kostengünstiger gewesen. „Wir bezahlen unter Vorbehalt“, kündigt Rümer an, fordert aber einen genauen Nachweis darüber, wie die Kosten zustande gekommen sind.
Auch die Organisation lasse zu wünschen übrig. Früher hatten die Rechtler die Verteilung des Holzes selbst organisiert, das sei recht unkompliziert gelaufen. Diesmal erhielten die Rechtler eine Einladung zur Holzverteilung, die vermuten ließ, dass sie den Hauerlohn mitbringen sollten, um ihn vor Ort zu bezahlen. Doch vor Ort heißt es jetzt, es sei aufgrund des Regens nicht möglich, das Geld abzukassieren, sie sollten es dann bei Gelegenheit ins Rathaus bringen. „Das ist wieder typisch“, ist von mehreren Rechtlern zu hören, denn Nicole Meyer scheint für sie mittlerweile zum Inbegriff der Unfähigkeit geworden zu sein.
Auch vor Gericht ist noch nicht alles ausgestanden. Zwar ist mittlerweile klar, dass die Rechtler Anspruch auf das Holz haben, doch in einigen Fällen stellt die Gemeinde die Frage, ob die Holzrechte überhaupt wirksam übertragen wurden. So will sie in Einzelfällen überprüfen lassen, ob das betreffende Nutzungsrecht überhaupt noch gültig ist. Einer davon soll am Mittwoch vor dem Verwaltungsgericht verhandelt werden.
Was die Gemeinde mit dieser Überprüfung bezweckt, ist allerdings unklar. Denn selbst wenn sich herausstellen würde, dass einer der Rechtler gar kein Rechtler mehr ist, würde dessen Holz nicht an die Gemeinde zurückfallen, sondern den anderen Rechtlern.
„Mir ist es egal. Wenn ich es nicht bin, dann ist es halt ein anderer Rechtler“, sagt ein Betroffener, dessen Fall noch überprüft wird. So entsteht der Eindruck, dass es auf beiden Seiten mittlerweile mehr ums Prinzip geht, als um Geld, das Rechtler und Gemeinde von einander bekommen könnten.