Die Fastenzeit ist für viele Menschen Anlass zu allerlei Verzicht – und Alkohol steht häufig bei Fastenden bis Ostern ganz oben auf der Streichliste. Das mag ein sinnvoller Selbsttest sein, wie gut man ohne Bier, Wein oder Schnaps auskommt. Doch Andreas Waldenmeier von der Suchtberatung der Caritas, Berthold Schmitt vom Kreuzbund (siehe Interview unten) und Eva Pfeil von der Kommunalen Jugendarbeit wünschten sich generell einen viel kritischeren Umgang mit der Gesellschaftsdroge Nummer eins – auch im Heimatkreis, in dem Bierprinzen oder Weinprinzessinnen wie selbstverständlich für den Genuss berauschender Getränke werben.
Wann ein Betroffener die Grenze zwischen kritischem Alkoholkonsum und Sucht überschreitet, ist oft schwer zu definieren; in jedem Falle aber gelten je nach Quelle in Deutschland 1,5 bis 2 Millionen Männer und Frauen als alkoholabhängig. Auf den Heimatkreis umgerechnet, wären das rein rechnerisch ohne Weiteres 2000 Betroffene – wobei Berthold Schmitt, Regionssprecher Main-Rhön der Selbsthilfeorganisation Kreuzbund, die Zahl höher ansetzen würde. Dazu komme mindestens die gleiche Anzahl von Personen, die als gefährdet eingestuft werden müssten, sagt der Experte aus Ebern.
Wie sehr die Öffentlichkeit den Glücklichmacher Alkohol unterschätzt, zeigt auch die Zahl, die Andreas Waldenmeier als Leiter der Psychosozialen Beratungsstelle des Caritasverbandes für den Landkreis Haßberge („Suchtberatung“) im Landkreis vorlegt: Etwa 350 Klienten suchen seine Beratungsstelle pro Jahr auf, „und bei zwei Dritteln der Betroffenen oder ihrer Angehörigen sind die Alkoholprobleme der Anlass, zu uns zu kommen“, klärt der Sozialpädagoge auf.
Aktionswoche Alkohol im Mai
Die Verharmlosung von Alkohol werde der Gesellschaft regelrecht anerzogen, meint Eva Pfeil, das beginne schon in jungen Jahren, etwa „wenn im Sportverein oder bei der Feuerwehr für die jungen Leute wie selbstverständlich ein Kasten Bier hingestellt wird“. Deshalb beteiligen sich die Caritas-Suchtberatung, der Kreuzbund und die Kommunale Jugendarbeit des Landkreises Haßberge an der deutschlandweiten „Aktionswoche Alkohol 2017“ vom 13. bis 21. Mai und planen hierfür diverse Aktionen. Höhepunkt soll die Informations- und Diskussionsrunde am Mittwoch, 17. Mai, mit Betroffenen, Suchtberatern und Vertretern von Polizei und BRK im Zeiler Kino sein. Dass die Polizei mitwirkt, ergibt sich schon aus dem diesjährigen Schwerpunktthema: „Kein Alkohol unterwegs“, es geht um Trunkenheit im Verkehr, nicht nur auf der Straße, sondern zum Beispiel auch in Bus und Bahn.
Wie sehr auch diese Problematik, zumindest beim Individualverkehr, dem Heimatkreis auf den Nägeln brennt, verrät allein der Blick auf den werktäglichen Polizeibericht der Inspektionen in Haßfurt und Ebern: Obwohl der Spielraum der Ordnungshüter für Verkehrskontrollen zweifelsohne Grenzen hat, ziehen sie praktisch täglich Promillesünder aus dem Verkehr. Allein das wirft die Frage auf, wie viele Haßbergler eigentlich ständig betrunken unterwegs sind.
Laut Marlene Mortler, der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, sterben hierzulande jährlich 74 000 Menschen allein durch Alkohol oder den kombinierten Konsum mit Tabak (das Rauchen alleine verursacht 120 000 Tote pro Jahr): Zusammengenommen seien Alkohol und Nikotin für über 100 Mal mehr Todesfälle verantwortlich als alle illegale Drogen zusammengenommen.
Der Unterschied zu Marihuana oder Ecstasy: Das Seidla Bier oder der Schoppen Wein gehörten zu unserer Kultur dazu – und seien zunächst einmal Genussmittel, sagen Eva Pfeil und Andreas Waldenmeier. Allerdings sie wissen auch, wo das „Gläschen in Ehren“ zur Gefahr wird: Dann, wenn Bier, Wein, Schnaps oder Sekt das anfangs häufige und dann das ständige Mittel zum Abbau von Stress werden, zur Bewältigung von Konflikten dienen; wenn der Schluck aus der Pulle beim Einschlafen helfen muss oder umgekehrt den Konsumenten aufputschen und locker und lässig erscheinen lassen soll. „Der Alkohol, der dann als Lösung des Problems angesehen wird, wird schnell Teil des Problems – und im schlimmsten Fall das Hauptproblem“, erklärt Suchtexperte Waldenmeier.
In der Aktionswoche im Mai geht es Waldenmeier, Pfeil und ihren Mitstreitern in erster Linie um Aufklärung, um die Bewusstseinsbildung für die große Problematik hinter dem Thema Alkohol. Genussfeindlich wollen sie nicht rüberkommen, sie wollen Bier und Wein aus der Region nicht verteufeln, aber für den verantwortungsvollen Umgang damit werben. Kreisjugendpflegerin Eva Pfeil weiß, dass sie mit ihrer Präventionsarbeit schon bei Kindern und Jugendlichen ansetzen muss: „Es ist klar, dass sich Heranwachsende ausprobieren wollen und dass sie dabei Grenzen überschreiten“, meint die Sozialpädagogin bezüglich des Alkohols ebenso wie aller anderen Drogen. Sie sieht es als ihre Aufgabe, die jungen Menschen darüber aufzuklären, welche Süchte es gibt und welche Konsequenzen sie haben können – und dass es immer die Alternative zum Griff zur Droge gibt. Was für Menschen allen Alters gilt, es sei denn, es ist irgendwann einfach zu spät.