Der atomare Super-Gau vom 26. April 1986 im ukrainischen Tschernobyl ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Andere globale Katastrophen haben die Meldungen vom Reaktorunglück und dessen Folgen verdrängt. Dabei hat die Strahlung, die damals die Menschen in der Ukraine und in Weißrussland getroffen hat, bis heute massive Auswirkungen: „In den am stärksten betroffenen Gebieten findet man stark gehäufte Geburtsschäden, Hirntumore bei Kleinkindern, Nervenschäden, Krebsarten und allgemeine Immunschwäche“, weiß Professor Karl-Heinz Deeg. Überall dort, wo der radioaktive Fallout niedergegangen sei, „ist das Land für Jahrhunderte verstrahlt, sind Nahrungsquellen der Menschen radioaktiv belastet“.
Den langjährigen Chefarzt der Kinderklinik am Klinikum Bamberg und jetzigen Leiter der Kinderkardiologie lässt das Schicksal gerade der betroffenen Buben und Mädchen nicht gleichgültig. „Ich helfe gern“, sagt der 66-Jährige schlicht zu seinem Einsatz, den er seit zehn Jahren unentgeltlich in der Ukraine leistet, im Auftrag der niedersächsischen Landesstiftung „Kinder von Tschernobyl“, die sich medizinische Hilfe für strahlengeschädigte Kinder aus den Ukraine, Weißrussland sowie den anliegenden Gebieten Russlands zum Ziel gesetzt hat. Die Stiftung stellte bisher flächendeckend an Krankenhäuser beider Länder Ultraschallgeräte zur Verfügung, lieferte Medikamente oder finanzierte Erholungsaufenthalte für geschädigte Kinder.
Zwei Mal im Jahr vor Ort
Ein weiterer Schwerpunkt sind die Sonographie-Fortbildungskurse in Kiew und Minsk mit inzwischen mehr als 5000 Ärzten. Und gerade für diese Schulungen hat die Landesstiftung den renommierten Facharzt Deeg eingespannt. Zwei Mal im Jahr gehört der Bamberger zu einer Ärzte-Delegation aus Internisten, Chirurgen, Gynäkologen, die mehrere Tage lang in einem großen Hörsaal zu medizinischen Themen Vorträge halten.
Deeg nennt dies „Wissenstransfer“, der von den ukrainischen und weißrussischen Kollegen hoch geschätzt werde. Der medizinische Standard in den dortigen Ländern sei „nicht schlecht“, doch nicht vergleichbar mit dem in Deutschland. Er bringt noch einen anderen Vergleich: „Ein Arzt in der Ukraine verdient 200 Euro im Monat.“
Der Kinderarzt berichtet über den Verlauf seiner jüngsten Reise nach Kiew. Über seine simultan übersetzten Vorträge zu Themen wie „Ultraschalluntersuchung des Herzens bei Neugeborenen“ oder „Dopplersonographie im Kindesalter“. Er habe auch einige Fallbeispiele aus der Kinderheilkunde dargelegt und die Fragen wissbegieriger Doktoren beantwortet. Und in freien Stunden die Großstadt Kiew und ihre Kirchen mit den goldenen Dächern erkundet, eine Bootsfahrt auf dem Dnepr gemacht und sich darüber gefreut, dass das ukrainische Gesundheitsministerium die deutsche Ärztedelegation mit einem Empfang geehrt hat.
Auch wenn Professor Deeg im September 2018 offiziell in den Ruhestand geht, will er seine Touren für die „Kinder von Tschernobyl“ weiterführen. Ein nächster Einsatz im Dienst für kranke Kinder ist im westafrikanischen Senegal geplant. Dort war der rührige Arzt bereits im Januar 2018, um erste Pflöcke in die Kooperation zwischen dem Klinikum Bamberg und dem Krankenhaus St. Jean de Dieu in Thies zu schlagen. „Ich verdiene nichts dabei, weder in Kiew noch in Thies“, lächelt Deeg.
Fit wie er ist, will Karl-Heinz Deeg trotz Rentenalter als Kinderarzt weiterarbeiten. Im Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin Haßberge in Haßfurt betreut er im Rahmen einer Viertelarztstelle kinderkardiologische Patienten und solche mit Verdacht auf eine Herz- beziehungsweise Herz-Kreislauf-Erkrankung.