Seitdem das Landgericht Köln im Juni die Beschneidung von Jungen in einem Urteil als strafbare Körperverletzung gewertet hat, sind Ärzte verunsichert.
Dürfen sie Beschneidungen bei Kindern künftig überhaupt noch durchführen, ohne straffällig zu werden? Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer warnte jüngst Mediziner davor, den umstrittenen Eingriff vorzunehmen, solange die rechtliche Lage unklar sei. Während der oberste deutsche Mediziner das Gerichtsurteil das Urteil gegenüber Medien als „sehr kulturunsensibel und falsch“ bezeichnete, sehen Ärzte im Landkreis Haßberge dies zum Teil ganz anders.
„Ich begrüße das Urteil voll und ganz“, sagt Dr. Christian Rein. Die Beschneidung eines Jungen sei in jedem Fall ein Akt von Körperverletzung, so die Ansicht des Haßfurter Kinder- und Jugendarztes. „Wenn ich etwas abschneide, das nicht mehr nachwächst“, dann sei die körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt. Allein medizinische Gründe, vor allem eine Phimose (Vorhautverengung), die in akuter Form (Paraphimose) gar ein medizinischer Notfall ist, würden einen solchen Eingriff laut Rein rechtfertigen. Ausnahmen für Beschneidungen aus religiösen Gründen, wie für Juden oder Muslime, dürfe es nicht geben.
Als Kinder- und Jugendarzt führt Rein den operativen Eingriff einer Beschneidung nicht selbst durch. In Fällen, in denen er die Beschneidung eines Jungen für medizinisch notwendig hält, überweist er seine Patienten an ein Krankenhaus. Auch urologische Praxen führen solche Operationen ambulant durch. Die nächstgelegenen solcher Fachpraxen sind in Schweinfurt, Würzburg oder Bamberg. Im Haßfurter Krankenhaus wird nach Auskunft von Dr. Yury Hancharonak pro Jahr bei zwei bis drei Jungen die Vorhaut operativ entfernt, meist ambulant. Die Jungen sind dann meist zwischen acht und zehn Jahre alt. Die Beschneidung eines Erwachsenen, so berichtet der Arzt, der seit einem Jahr im Krankenhaus Haßfurt arbeitet, habe er während seiner Zeit an den Haßberg-Kliniken noch nicht erlebt.
Sein Kollege Dr. Mohammad Dawud, der erst vor einigen Monaten vom Krankenhaus in Haßfurt ans Haus Ebern gewechselt ist, bestätigt, dass es sich lediglich um „ein paar Fälle pro Jahr“ handelt. Für ihn ist klar: Falls eine Beschneidung nicht aus medizinischem Grund notwendig ist, dann greift er nicht zum Skalpell. Diese Einstellung habe er schon immer vertreten. Das Kölner Gerichtsurteil hätte darauf keinen Einfluss gehabt. Dass Eltern das Krankenhaus aus religiösen Gründen bitten, ihre Kinder zu beschneiden, das komme ab und zu vor, doch würden solche Anfragen generell abgelehnt – auch, wenn das Angebot gemacht wird, die Operation privat zu bezahlen. Sicherlich könne es in solchen Fällen manchmal vorkommen, meint Dr. Dawud, dass beispielsweise muslimische Familien mit ihren Kindern ins Ausland, in ihre Heimatländer fahren, um die Jungen dort beschneiden zu lassen.
Von entsprechenden Anfragen muslimischer Familien kann auch Kinderarzt Rein berichten. Aber nachdem es im Landkreis Haßberge überhaupt nur wenige Muslime gibt – ebenso wie jüdische Familien – seien dies Ausnahmen. Nachdem in den USA die Beschneidung von Jungen deutlich weiter verbreitet ist als in Europa, allerdings vornehmlich aus hygienischen Gründen (Rein: „Es gibt kein eindeutiges medizinisches Argument, das das belegt“), erlebe er es zudem ab und zu, dass Familien von US-Amerikanern um eine Beschneidung ihrer Jungen bitten. „Ich rate auch hier generell davon ab, eine Beschneidung ohne medizinischen Grund durchzuführen“, sagt Rein. Er plädiert dafür, Kinder selbst darüber entscheiden zu lassen, ob sie sich beschneiden lassen möchten. Eltern sollten hier nicht über den Kopf ihrer Kinder hinweg entscheiden.
Auch unter Juden, berichtet Rein, gebe es Gläubige, die anstelle einer tatsächlichen Beschneidung eine symbolische Beschneidungsfeier befürworten und damit ihren Bund mit Abraham als gefestigt ansehen. Für einen jüdischen Mann sei ein religiöses Leben also durchaus auch mit Vorhaut vertretbar, meint der Haßfurter Kinderarzt. Aber dies seien religiöse, keine medizinischen Aspekte, stellt er fest. Und dafür sei er nicht zuständig.