Was brauchen die Kinder?“ Das ist die Frage, die sich Claudia Röhner wieder und wieder stellt. Auch nach vierzig Dienstjahren noch, in denen sie als Leiterin eines Kindergartens arbeitet – vier davon in Üchtelhausen, 36 in ihrem Heimatort Aidhausen. Respektvolles Miteinander, Wertschätzung des Nächsten und der Umwelt, Zuversicht und Gottvertrauen versucht Claudia Röhner seit vier Jahrzehnten dem ihr anvertrauten Nachwuchs zu vermitteln. Unzählige Male hat sie in dieser Zeit Tränen getrocknet, Trost gespendet, mit den Kindern gebetet und gelacht. Inzwischen betreut sie bereits die Nachkommen jener Eltern, bei denen sie schon früher versuchte, ihren Teil zu einem tragfähigen Fundament für das spätere Leben beizutragen.
Ziel war es immer, Erzieherin zu werden
„Mein großes Ziel war es immer, Erzieherin zu werden“, wusste Claudia Röhner schon während der Schulzeit ihren Traumberuf. Nach der Ausbildung zur Kinderpflegerin ging es deshalb gleich in Münnerstadt an der Fachakademie für Sozialpädagogik weiter. Noch während des Anerkennungsjahres im Kindergarten Aidhausen kam im März 1977 Sohn Christian zur Welt. Gleich nach dem Mutterschutzes kehrte die frisch gebackene Mutter wieder an ihren Arbeitsplatz zurück.
Das verpasste Kolloquium holte sie an einem Extratermin am 1. November 1977 nach. „Das war eines meiner härtesten Jahre – mitten in der Ausbildung, frisch verheiratet und ein kleines Baby“, blickt Röhner auf diese Zeit zurück. Einen Tag nach der Abschlussprüfung trat Claudia Röhner ihre neue Stelle als Kindergartenleitung in Üchtelhausen an. Eine Herausforderung: Alleine mit 35 Kindern und kaum Erfahrung.
Angst vor dem ersten Elternabend
„Vor dem ersten Elternabend hatte ich eine Heidenangst.“ Röhner biss sich durch. Von den Schwestern im Kindergarten Aidhausen hatte Röhner gelernt, mit Ordnung und System zu arbeiten. Hilfreich waren auch die klaren Regeln und Konsequenzen, die ihre Vorgängerin in Üchtelhausen bereits eingeführt hatte. „Die Regeln galten ohne Wenn und Aber. Das sparte viel Aufregung und Stress.“ Gerne erinnert sich Röhner an ihre erste Stelle. „Das ist wie die erste Liebe. Damit sind unvergessliche und gute Erinnerungen verbunden.“
Seit 1982 Kindergartenleiterin
Als die Ordensschwestern vier Jahre später von Aidhausen abgezogen wurden, übernahm Claudia Röhner am 1. August 1982 die Leitung des Aidhäuser Kindergarten. Bis heute hält sie dort die Fäden in der Hand. Vieles hat sich inzwischen verändert. Leitung früher, das hieß: Geld einsammeln. „Die Leute brachten die Beiträge mit, ich hackte es auf einer Liste ab und trug es zur Bank.“ Heute werde auch im Kindergarten Bürokratie großgeschrieben und schlucke einen großen Anteil ihrer Zeit, bedauert Röhner.
Ihr Arbeitsmotto hat sich in all den Jahren für Claudia Röhner nicht verändert: „Man muss darauf achten, was die Kinder brauchen.“ Das sei nicht immer das, was gerade im Trend sei oder von den Eltern gefordert werde. „Man muss nicht auf jedes vorbeireitende Pferd aufspringen.“
Kinder brauchen Zeit für die Entwicklung
Kinder bräuchten Zeit für ihre Entwicklung, ein jedes müsse in seinem eigenen Tempo lernen können. Röhners Umgang mit den Kindern ist geprägt von der Montessori-Pädagogik. Nach zahlreichen Kursen machte die Erzieherin 2001 ihr Montessori-Diplom und arbeitet seit dem nach den Prinzipien der Reformpädagogin. Jedes Kind habe seine eigenen Talente, die es zu erkennen und zu fördern gelte. „Leider werden die Eltern schnell nervös, wenn ein anderes Kind schon lesen oder schreiben kann, und das eigene gleichaltrige Kind noch nicht.“
Kognitive Bildung sei heute viel zu sehr in den Mittelpunkt gerückt. „Die Entwicklung aller Sinne und die soziale und emotionale Bildung bleiben auf der Strecke.“ Ein Kind zu fördern, bedeute allerdings nicht, alles und jedes was das Kind mache, zu loben. „Die Kinder werden nie kritisiert und sind dann schnell beleidigt, wenn man sie mal verbessert.“
Klare Ansagen
Klare Ansagen und konsequentes Verhalten liegen Röhner besonders am Herzen. „Wortreiche Erklärungen kommen beim Kind meist gar nicht an. 'Ja' und 'Nein' sind die wichtigsten Worte in der Erziehung.“ Sie beobachte oft, dass Eltern angedrohte Maßnahmen letztlich nicht anwenden. Aber,„von Prinzen und Prinzessinnen hat niemand was“, weiß die 61-Jährige aus Erfahrung. Zu viele Wünsche würden allzu schnell erfüllt. Vom Überfluss im Elternhaus seien viele Kinder überfordert. Dabei gehe oft die Wertschätzung für Dinge, für Nahrung und auch für den Nächsten verloren, beobachtet die Erzieherin. „Wir steuern dagegen, indem wir viele Spielsachen im Keller lagern und immer wieder austauschen. Es ist nicht alles immer gleichzeitig verfügbar.“ Ständig neue Angebote, das sei gar nicht nötig, ist Röhner überzeugt. Erst durch stetiges Wiederholen bleibe auch etwas hängen. Wiederkehrende Rituale und feste Abläufe gäben zudem Halt und Sicherheit.
Standfestigkeit erforderlich
„Als Leitung braucht man Rückgrat, Standfestigkeit und einen starken Willen – sonst fällst du um“, sagt Röhner. Nicht stehen zu bleiben, sondern sich stets von Neuem zu fordern und weiterzubilden, sei ihr all die Jahre wichtig gewesen.
An die Montessori-Ausbildung schloss Röhner eine Ausbildung in Psychomotorik an. Allerdings machen Ausbildung und Fortbildungen in Röhners Augen noch keine gute Erzieherin aus. „Du kannst alles lernen, aber wenn du nicht zu diesem Beruf berufen bist und dein Herz nicht dabei ist, kannst du es vergessen.“
Das Ende ihrer Kindergartenzeit hat Claudia Röhner schon vor Augen: Am 1. April 2019 ist Schluss. „Schade, dass ich schon so alt bin. Ich würde gerne noch schaffen - aber ich schaffe es nicht mehr.“ Spürbar ist schon heute, dass Claudia Röhner der Abschied in knapp zwei Jahren nicht leicht fallen wird. „Der eingruppige Landkindergarten ist ein Paradies für Kinder und mit unserem Konzept macht das Arbeiten hier richtig Spaß.“
„Die Regeln galten ohne Wenn und Aber. Das sparte viel Aufregung und Stress.“
Claudia Röhner, erinnert sich an ihre erste Stelle