Der Anblick lässt einen kalt schaudern, unwillkürlich zuckt man zusammen, die Fingernägel wollen sich wölben: In Carina Beutels rechtem Unterarm steckt ein zentimetergroßer, scharfkantiger Glassplitter. Blut quillt aus den Wundrändern und läuft in kleinen Rinnsalen ihren Arm hinab. Das Gesicht der 15-Jährigen aus Untertheres ist schneeweiß – sie steht unter Schock.
Tina Stühler (17) und Franziska Göb (23) kümmern sich um die Verletzte. Die beiden sind Feuerwehrsanitäterinnen in Untertheres. „Was ist passiert?“, fragen sie Carina, während sie die Wunde versorgen. Carina liegt auf einer Trage: „Ich bin gestolpert und in eine Glasscherbe gefallen.“ – „Hast du Schmerzen?“ – „Natürlich!“, sagt Carina in einem Tonfall, der nicht ganz ernst gemeint klingt.
Kein Spiel
Das muss auch nicht sein, denn die Jugendliche mimt nur eine Verletzte. Sie spielt ihre Rolle allerdings derart überzeugend, dass einem Zuschauer auch so schon mulmig genug zumute ist. Die blutende Wunde ist ebenfalls nicht echt. Dennoch ist das Ganze kein Spiel: Die Mitwirkenden proben den Ernstfall. Es ist eine Szene, die jederzeit zur blutigen Realität werden kann.
Dass es Zartbesaiteten beim Anblick von Carinas Arm flau in der Magengegend wird, dafür sind zwei junge Männer und eine junge Dame verantwortlich: Carina Hartmann (21), Daniel Bulheller (22) und Philipp Amrehn (23). Zusammen bilden sie das RUD-Team der Feuerwehr Untertheres. Die drei Großbuchstaben stehen für Realistische Unfalldarstellung. Die Aufgabe des Teams ist es, Verletzten-Darsteller für Übungen von Feuerwehrleuten oder Sanitätern so herzurichten, dass alles möglichst echt wirkt. Hierfür haben die drei Feuerwehrsanitäter 32 Stunden Ausbildung beim Roten Kreuz absolviert.
Fast alles im Angebot
„Amputationen, Brandwunden, Schnittwunden, Platzwunden, Rauchvergiftungen, Schockzustände, offene Bauchtraumen . . .“ – Philipp Amrehn muss fast unhöflich in seinem Redefluss unterbrochen werden, als er die Litanei dessen aufzählt, was er und seine Kollegen alles fertigbringen. Kurz gesagt: Es gibt fast kein Verletzungsmuster, das das RUD-Team nicht im Angebot hat.
An das RUD-Team wenden sich Einsatzleiter, wenn sie ihre Rettungskräfte bei Übungen in Situationen bringen wollen, die mit realen Einsätzen fast identisch sind: blutige Wunden, verstümmelte und geschockte Menschen. „Im Vorfeld ist es immer wichtig, dass wir die Geschichte kennen, die hinter einem Übungsszenario steckt“, erläutert Amrehn. Hierzu sprechen die RUD'ler mit den Übungsleitern genau ab, worauf besonderes Augenmerk gelegt wird. So haben die geschminkten Verletzungen auch immer eine eigene Geschichte.
Laura Werner, die zweite Verletzten-Darstellerin, die an diesem Abend vom RUD-Team präpariert wird, hat sich beispielsweise beim Brötchenaufschneiden mit einem Küchenmesser in die Handfläche geschnitten. Während Daniel Bulheller eine knetartige Paste auf die Handfläche der 13-Jährigen aufträgt und diese mit einer kleinen Spachtel zu einer auseinanderklaffenden Schnittwunde formt, sagt er: „Wir arbeiten so wirklichkeitsgetreu als möglich. Laura ist Rechtshänderin, also muss die Schnittwunde auf die linke Hand.“
„Reichst du mir mal das dünne Blut?“, bittet Bulheller seinen Kollegen Amrehn. Als er das gewünschte Plastikfläschchen erhalten hat, spritzt er dünne Strahlen des Kunstbluts auf Lauras Hand.
Im aluminiumfarbenen Requisitenkoffer des RUD-Teams finden sich gleich mehrere Flaschen mit Kunstblut. Neben dem dünnflüssigen gibt es auch Blut, das zähflüssiger ist. Weiter sind in dem Koffer Schminkfarben, Vaseline zum Gestalten von Wundrändern und Blasen, Puder, um Gesichter leichenblass erscheinen zu lassen, kleine Schwämme zum Auftragen und Verreiben, Modellierspachteln und vieles mehr. „Alles ist hautverträglich und harmlos“, sagt Amrehn. Sein Team bestellt die Utensilien teils per Spezialversand im Internet, teils sind es gewöhnliche Haushaltsartikel.
Doch mit dem Schminken der Verletzten allein ist es nicht getan. „Die Darsteller werden von uns genau eingewiesen, wie sie sich ihrer Verletzung nach zu verhalten haben, sei es, dass sie eine eingeklemmte Person nach einem Verkehrsunfall spielen, oder jemanden mit schwerem Schock“, sagt Amrehn. Zudem sollen sie später den übenden Rettungskräften möglichst genau beschreiben können, wie sie sich während ihrer Rettung gefühlt haben, in welchen Momenten sie sich unwohl gefühlt haben. „Das ist deshalb so wichtig, weil die Retter dadurch lernen, wie ihr Vorgehen bei den Patienten ankommt“, schildert Amrehn den Hintergrund. Diese Chance auf ein ehrliches Feedback bietet sich den Rettern selten.
Losungswort für den Notfall
Auf der anderen Seite gibt es zwischen den RUD'lern und den Verletztendarstellern, die sich normalerweise aus den Reihen der übenden Organisation rekrutieren, ein Losungswort, das nur ihnen bekannt ist. Ein Verletzter verwendet dieses nur dann während einer Übung, wenn er sich unwohl fühlt. Dann lassen die RUD'ler, die als Beobachter während der Übungen immer dabei sind, sofort alle Aktionen stoppen. „Hier geht es immer zuerst um das Wohl der Verletztendarsteller“, so Amrehn.
Das RUD-Team ist ehrenamtlich im gesamten Landkreis Haßberge im Einsatz. In erster Linie bei Feuerwehren, von denen sie angefordert werden. Bis auf die anfallenden Kosten für Schminkmaterial und Anfahrt fallen keine Kosten an.
ONLINE-TIPP
Mehr Informationen zum RUD-Team finden Sie im Internet unter: www.feuerwehrsanitaeter-theres.de.vu