Für gewöhnlich hängen Teebeutel im heißen Wasser. Nach nur wenigen Minuten Ziehzeit verlassen sie die Tasse auch schon wieder. Anders bei Familie Vetter aus Sylbach. Die vergrub Ende Juni dieses Jahres zwölf Teebeutel im Erdreich ihres Gartens. Nun, rund drei Monate später, haben Mutter Manuela Vetter, Tochter Marie (6) und Sohn Anton (4) die Säckchen wieder ausgebuddelt.
Was seltsam klingt, folgt einem wissenschaftlichen Plan. Denn Vetters gehören zu rund 4500 Datensammlerinnen und Datensammlern in Deutschland, 65 von ihnen aus Unterfranken, die an einem bundesweiten Bürgerforschungsprojekt teilnehmen. Der Titel: "Expedition Erdreich". Es geht, wie der Name verrät, um die Beschaffenheit des Bodens. Für die Familie aus dem Haßfurter Ortsteil ein spannendes Gemeinschaftsprojekt.

Aber warum Teebeutel? "Auf diese Weise stellen wir fest, wie schnell Bodenorganismen in unserem Garten Pflanzenreste abbauen", sagt Manuela Vetter. Sie hält ein Datenblatt in der Hand, denn jeder Schritt dieser Expedition wird akribisch dokumentiert. Auf dem Papier steht das Startgewicht eines jeden Beutels, den Vetters am 25. Juni im Boden vergraben haben. Ein Säckchen Grüntee etwa wog damals 2,18 Gramm. Mindestens drei Monate mussten die Beutel in der Erde ruhen und nach dem Ausgraben zwei Wochen trocknen - so besagen es die detaillierten Vorgaben des Projekts. Am Ende wog das Säckchen Grüntee 0,75 Gramm. Ein Gewichtsverlust von 65 Prozent. Den Tierchen im Boden scheint es geschmeckt zu haben.
Offenbar wählerische Organismen im Gartenboden der Vetters
Jede Teesorte kommt den Organismen im Boden der Vetters aber scheinbar nicht auf den Tisch. Oder zumindest weniger gern. Sie zersetzten den Rooibostee, der am selben Standort im Boden ruhte wie der Grüntee, im Dreimonatszeitraum zu einem deutlich geringeren Anteil. So lag das Gewicht eines Teebeutels hier zu Beginn bei 2,22 Gramm, am Ende bei 1,53 Gramm - nur 31 Prozent weniger. "Es ist interessant, dass die Tiere im Boden scheinbar ähnlich wählerisch sind wie wir Menschen", sagt Manuela Vetter und lacht. Dass es sich dabei um keinen Zufall handelt, zeigt ein Blick auf die ausgefüllte Liste.

Wie effektiv die Zersetzung des Tees grundsätzlich vonstattengeht, ist dabei von verschiedenen Faktoren abhängig: von der Bodenart und der Bodennutzung etwa, der Vielfalt biologischer Aktivitäten und auch vom Klima. Aus dem Unterschied zwischen Start- und Endgewicht können Forscherinnen und Forscher den sogenannten Teebeutel-Index (Tea-Bag-Index, TBI) errechnen, eine wissenschaftlich anerkannte Methode. Doch diese Aufgabe obliegt nun anderen: "Wir haben unser Soll erfüllt und unsere Daten online weitergegeben", sagt Manuela Vetter. "Jetzt warten wir gespannt auf die Auswertung der Ergebnisse."
Was die Wissenschaft nun mit den Daten anfängt
Doch bis das geschieht, dauert es noch, heißt es aus dem Redaktionsbüro Wissenschaft. Die Agentur aus Berlin betreut das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie der gemeinnützigen Gesellschaft Wissenschaft im Dialog (WiD) initiierte Projekt. Begleitet wird es vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (Leipzig) und dem BonaRes-Zentrum für Bodenforschung (Halle). "Der Zeitraum für das Ausgraben und das Auswerten läuft aktuell noch", heißt es aus Berlin. Bis zum Ende des Jahres können die Teilnehmenden demnach ihre Daten eintragen.
Aus den zahlreichen lokalen Einblicken, wie jenem aus Sylbach, wollen die Forscherinnen und Forscher am Ende regionale Vergleiche ziehen und einen Gesamteindruck zum Bodenzustand in Deutschland ableiten. Zudem möchte die Wissenschaft auf Grundlage der Daten standortspezifische Handlungsempfehlungen für die Landwirtschaft erarbeiten. Um Böden nachhaltiger zu nutzen, und um Bodenfunktionen zu erhalten und zu verbessern.
"'Expedition Erdreich' ist das erste derart umfassende Bürgerforschungsprojekt der Bodenforschung."
Redaktionbüro Wissenschaft, Berlin
Dass Bürgerinnen und Bürger die Wissenschaft bei ihrer Arbeit unterstützen, ist dabei nicht selbstverständlich. "'Expedition Erdreich' ist das erste derart umfassende Bürgerforschungsprojekt in der Bodenforschung in Deutschland", schreibt das Redaktionsbüro Wissenschaft auf Nachfrage. Neben dem positiven Effekt, mit möglichst geringem Aufwand eine möglichst große Menge an Daten zu sammeln, geht es der Forschung auch um einen anderen Aspekt: Nämlich darum, "das Bodenbewusstsein in der Gesellschaft zu stärken".
Teilnahme am Forschungsprojekt hat den Fokus verändert
Bei Vetters ist dies offenbar gelungen. Die Familie hat im vergangenen Sommer verschiedenes Gemüse im eigenen Garten angebaut: darunter Salat, Zucchini, Artischocken, Karotten, Zwiebeln, Mangold und vieles mehr. "Die Frage, die ich mir nie gestellt habe, ist die nach der Beschaffenheit des Untergrunds", sagt Manuela Vetter. "Das ist heute anders. Jetzt kümmern wir uns um unseren Boden."
Sie möchte nun einen eigenen Kompost anlegen, die Beete zudem mit Pferdemist düngen. "Es geht darum, unseren Boden nachhaltig zu pflegen", sagt sie. "Denn schließlich wächst hier das Essen, das am Ende auf unseren Tellern landet."