Kim Neuser lehrt ihre Kursteilnehmer vor allem eines: ihren Po vorzugsweise zu Hip-Hop-Musik gekonnt zu bewegen. Der Tanzstil heißt „Twerk“ und ist – außerhalb der jüngeren, YouTube und Instagram affinen Generation – relativ unbekannt. Kritik daran gibt's immer wieder. Wie geht die Dozentin damit um?
Frage: Wie würdest du Twerk beschreiben?
Kim Neuser: Ich hab da am Anfang viel gegoogelt, um überhaupt einmal so eine Beschreibung zu finden. Denn für mich ist das eigentlich nur mit dem Hintern wackeln. Und ich hab dann ganz oft gelesen, dass es rhythmische, isolierte Bewegungen sind. Aber für mich bleibt‘s einfach Tanzen, bei dem man den Fokus auf den Hintern legt und versucht, mit ihm in alle mögliche Richtungen und in allen möglichen Positionen so gut es geht und so groß es geht zu wackeln.
Wie bist du damit in Kontakt gekommen?
Neuser: Ich sehe mir viele Videos auf YouTube oder Instagram an und verfolge die neuesten Trends. Wie bewegen sich die Tänzer heutzutage? Was sind die Choreos? Außerdem habe ich jahrelang Hiphop, Ballett, Jazzdance, Modern Dance und Latein getanzt. Und dann auch irgendwann Poledance.
Kann jede oder jeder lernen zu twerken oder braucht man spezielle Fähigkeiten?
Neuser: Das kann jeder lernen. Alles was man braucht, sind Mut und ein bisschen Spaß daran. Besondere körperliche Kenntnisse, Voraussetzungen braucht man absolut nicht.
Würdest du sagen, das passt auch für Männer?
Neuser: Ich habe viele Männer erlebt. Wenn ich mir die anschaue, denke ich mir manchmal, ich würde gern so gut wackeln können wie die. Man muss dafür keine Frau sein.
Und wie kamst du dazu, Kurse zu geben?
Neuser: Ich gebe schon lange Zumba-Kurse und habe bereits mit 15 Jahren Ballett unterrichtet. Als ich gemerkt habe, in der Richtung gibt?s hier in der Umgebung nichts und es fehlt mir, hab' ich gedacht: entweder Kopf in den Sand stecken oder selber anbieten.
Da warst du sehr mutig, oder? Hast du keine Angst gehabt, dass es schiefgeht?
Neuser: Ich hab' ja nichts zu verlieren. Gut, ich war nervös, als ich mit meinem Kurs hier in die Uni gegangen bin. Weil ich dann nicht wusste, wie es ankommt, ob sich überhaupt Leute anmelden. Was für Mädels kommen in den Kurs? Was für Erwartungen stellen die an mich? Erwarten die, dass ich eine hochprofessionelle Tänzerin bin, die denen alles zeigt und alles beibringt und alles perfekt macht? Das bin ich nämlich nicht. Für mich ist es wirklich ein zusammen Weiterentwickeln.
Aber du hast gemerkt, es ist eine große Nachfrage da, und es wird gut angenommen.
Neuser: Ich denke, es ist auf jeden Fall viel Neugierde da. Dass viele es einfach mal auch ausprobieren wollen, mal gucken wollen, was es ist.
Und was macht ihr im Kurs? 60 Minuten mit dem Po wackeln?
Neuser: Wir wärmen uns mit ein paar Grundbewegungen auf und dehnen uns, was mir persönlich sehr wichtig ist. Nach dem Aufwärmen versuche ich, ein paar Grundtechniken durchzugehen, die in einer kleinen Choreographie umgesetzt und angewendet werden. Und dann wird einfach ganz oft durchgetanzt. So viel, wie?s Spaß macht.
Würdest du sagen, Twerk ist noch Sport oder schon sexuell, anstößig?
Neuser: Ich glaube, es ist wirklich beides. Es ist Sport, denn es ist anstrengend. Es wird schon oft unterschätzt. Aber natürlich ist es auch wirklich ein sehr anzüglicher Tanz. Man ist meistens eng bekleidet, vielleicht auf hohen Schuhen, in kurzen Hosen. Das wirkt natürlich aufreizend, es ist auch sehr sexuell. Man muss auch aufpassen, wie man das erzählt. Meiner Oma und meiner Mama davon zu erzählen, war auch erst mal noch ein bisschen komisch. Und dann zu erklären, was ich da eigentlich mache. Ob daheim im Wohn- oder Schlafzimmer, abends im Club, auf einer Bühne – ich finde, man kann alles geschmackvoll machen und es muss deswegen nicht gleich zu offenherzig sein.
Und wenn jemand direkt zu dir sagt: Das, was du da machst, das finde ich total anstößig.
Neuser: Dann sag' ich: ,Das ist deine Meinung, damit kann ich leben. Ich muss es ja nicht vor dir machen. Und du musst auch nicht dabei zugucken.‘ Ich kann das auch nachvollziehen. Ich würde das keinem übel nehmen, wenn er sagt: ,Das ist mir zu krass; das ist mir zu sexuell.‘ Dann ist das jedem seine Meinung.
Würdest du auch privat zum Beispiel in einem Club twerken?
Neuser: In einer abgeschwächten Version, ja. Ich würde mich nicht im Club auf den Boden schmeißen und irgendwelche Bodenakrobatik abziehen. (lacht) Aber ein bisschen Hinternwackeln ist immer mal dabei.
Und dein Freund zuhause freut sich?
Neuser: Nein. Ich werde von ihm komplett ignoriert. Aber wahrscheinlich auch, weil ich?s zu viel mache. Für ihn ist das nichts Besonderes, Neues oder Aufregendes. Sondern: ,Ach, die macht das schon wieder.‘
Ist Twerking für dich in Deutschland salonfähig oder kann es das noch werden?
Neuser: Twerking lässt sich nur schwierig mit unserer Kultur vereinbaren. In anderen Ländern findet man dieses Offenherzige, dieses Spaßhaben, Mitreißenlassen. Gerade in südamerikanischen Ländern ist es einfach eine Lebensart. Und wenn da jemand anfängt zu tanzen, würde jeder mitmachen, und bei uns würde einfach jeder gucken. Der Hype ist sicher auch deswegen so groß, weil es in Deutschland hinter geschlossenen Türen passiert. Und das ist ja immer am interessantesten. Hätte man?s direkt vor der Nase, wär?s auch wieder – wie bei meinem Freund – uninteressant.
Und warum würdest du sagen, dass das bei uns so ein Tabu ist?
Neuser: Man wird schnell verurteilt und auch schief angeguckt. Es war genauso, als Poledance populärer wurde. Bis man den Hintergrund versteht, warum man das Ganze halb nackt machen muss (um bestmöglich an der Stange zu haften, Anm. d. Red.) dann wird wieder ein bisschen mehr Verständnis gezeigt. Aber trotzdem bleibt?s einfach was Typisches aus?m Stripclub.
Würdest du beim ersten Date oder bei einem Bewerbungsgespräch erzählen, dass du twerkst?
Neuser: Ich würd' es verallgemeinern und sagen, ich tanze und da noch kein Label draufkleben. Einfach weil man bei einem Date ja auch für sich selber gemocht werden will und nicht für den außergewöhnlichen Sport, den man macht. Und im Bewerbungsgespräch würde ich auch nicht mehr ins Detail gehen.
Hast du den Eindruck, von deiner Umwelt in eine Schublade gesteckt zu werden?
Neuser: Eigentlich nicht, nein. Mein Umfeld ist von mir nichts anderes gewohnt als Tanzen. Das mache ich schon mein Leben lang. Und das ist nur eine weitere Form des Tanzens. Die Wenigsten wissen, was Twerken eigentlich ist, was mir wahrscheinlich auch zu Gute kommt. Diejenigen, die keinerlei Berührung damit haben, sagen: ,Ach ja, die tanzt.‘ Und diejenigen, die?s wirklich interessiert, sind dann eher so interessiert, dass sie mitmachen wollen.
Möchtest es beruflich umsetzen, als Tanzlehrerin?
Neuser: Nein. Der Gedanke hat natürlich schon immer mitgespielt. Als ich noch jünger war, war Tanzlehrer immer mein Traum. Aber ich habe gelernt, wie hart das sein kann.