Ihr ist so einiges zuzutrauen. Auch, dass sie den Mitarbeitern des Deutschen Pavillons in Venedig frei gibt und diese zum Gondelfahren schickt. So wie sie 2016 in der Londoner Chisenhale Gallery als künstlerische Geste die Türen verschloss und das Personal inklusive Direktorin für die Dauer der Ausstellung in 175 Stunden Freizeit bei vollem Lohnausgleich entließ – nachdem sie bei einem Symposium über dessen Arbeitsbedingungen diskutiert hatte. Die Telefone wurden abgestellt, alle E-Mails gelöscht.
Ja, Maria Eichhorn ist immer für Überraschungen gut. Für eine Konzeptkunst, die politisch ist ohne politischen Aktivismus. Die Reflexion und durchaus auch Widerspruch provoziert. Die eine intelligente Denk- und Handlungsweise präsentiert. "Nicht meine Person, sondern meine Arbeit soll im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Ich mache meine Arbeit und trete dann zurück", sagt Maria Eichhorn in einem Gespräch mit Yilmaz Dziewior, das auf der Website des Deutschen Pavillons online steht. Dziewior, Direktor des Museums Ludwig in Köln, wurde zum Kurator des Pavillons auf der 59. Biennale 2022 in Venedig ernannt. Er hatte Maria Eichhorn gefragt, ob sie sich vorstellen könne, auf der nächsten Kunstbiennale auszustellen. Denn "meiner Meinung nach gibt es nur wenige künstlerische Positionen, die sich ähnlich vielfältig und intensiv mit der deutschen Geschichte und deren Auswirkungen auf die Gegenwart beschäftigen wie Maria Eichhorn", so Kurator Dziewior.
Wunsch: Ausstellung daheim in Bamberg

Wer schlägt schon eine solche Anfrage aus, die einem "Nobelpreis" in der Kunstszene gleichkommt! Und alles andere ist als eine weitere Trophäe im Reigen etlicher Auszeichnungen, die Maria Eichhorn für ihr künstlerisches Schaffen schon eingeheimst hat. Aktuellstes Beispiel ist der mit 12 000 Euro dotierte Käthe-Kollwitz-Preis 2021, der ihr in der Berliner Akademie der Künste überreicht werden soll.
Bei allen Ehrungen und aller internationalen Beachtung ist die 58-jährige Maria Eichhorn bodenständig geblieben. Ohne Höhenflüge. Denn sie hegt einen heimlichen Wunsch, den ihr das Weltkulturerbe Bamberg erfüllen könnte: "Ja, das würde mich freuen!", antwortet die Künstlerin auf die Frage dieser Zeitung, ob sie sich in ihrer Geburtsstadt Bamberg eine Ausstellung ihrer Werke wünsche, und diese auch persönlich eröffnen würde.
Ungezwungen charakterisiert Maria Eichhorn, die in Berlin lebt, Bamberg als eine "weltoffene Universitätsstadt, die sich ihrer Vergangenheit stellt. Die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig erinnern an die Opfer des Holocaust – wie überall in Deutschland und europaweit. Bamberg ist SPD-regiert und hat eine aktive Antifa-Szene". Sieben Jahrzehnte seien US-Amerikaner in der Stadt präsent gewesen und hätten auch das Alltagsleben in Bamberg geprägt: "Als Schülerin war ich bei amerikanischen Freunden und Freundinnen öfter zu Besuch", erinnert sie sich gern zurück.
Kulturelle Besonderheiten ihrer Geburtsstadt begeistern Eichhorn
Maria Eichhorn listet die kulturellen Besonderheiten ihrer Heimatstadt auf: "die Bamberger Symphoniker, die Calderón-Festspiele, das ETA Hoffmann Theater, um nur einige wenige Highlights zu nennen". Der Zuhörer sieht die zierliche Frau förmlich durch "das mittelalterliche Stadtzentrum mit dem pittoresken Klein-Venedig, dem Dom und unzähligen Baudenkmälern" flanieren, mit Stopp am Bamberger Reiter und im Schlenkerla. Denn "Bamberg ist auch eine bekannte Bierstadt, das Rauchbier ist eine Bamberger und Bamberger Umland-Spezialität, etwa von der Brauerei in Weiher, das übrigens besonders gut schmeckt", so Eichhorn.
Bereitwillig gibt sie Biografisches preis. "Ich bin in Hallstadt aufgewachsen und dort in die Grundschule gegangen, dann in Bamberg auf das musische E.T.A. Hoffmann-Gymnasium." Dort sei zum großen Glück der Flötist Franz Zebitsch von den Bamberger Symphonikern ihr Lehrer gewesen. Sie habe auch "tolle Kunstlehrer wie Joachim Engewald" gehabt. Ihre weitverzweigte Familie lebe in Hallstadt, Bamberg und Umgebung, in Berlin, Leipzig, Bukarest, vorübergehend in Suzhou in China, in Paris, Rom und anderswo.
Maria Eichhorn studierte von 1984 bis 1990 an der Hochschule der Künste in Berlin bei Karl Horst Hödicke. 1986 fanden erste Ausstellungen statt. Etliche Einzel- und Gruppenausstellungen folgten, darunter auf der Documenta in Kassel und Athen, auf Biennalen in Vancouver, Bregenz, Istanbul, Yokohama, Sevilla oder Guangzhou. Seit 2003 ist Maria Eichhorn Dozentin an der Hochschule der Künste in Zürich.
Werke wie "Maria Eichhorn Aktiengesellschaft" analysieren Machtstruktren
Mit visuell minimalen Gesten, räumlichen Eingriffen und prozessual angelegten Werken analysiert Maria Eichhorn nachhaltig institutionelle Machtstrukturen sowie politische und ökonomische Zusammenhänge. Große Aufmerksamkeit erlangte sie bereits 2002 für ihre Arbeit "Maria Eichhorn Aktiengesellschaft", die für die Documenta in Kassel entstand. Die Künstlerin gründete eine Aktiengesellschaft, deren besonderer Status vorsah, dass ihr Kapital nicht vermehrt werden darf. Durch die Präsentation von Gründungsdokumenten sowie der Einlage von 50 000 Euro, die sie in einem akkuraten Bündel von hundert nagelneuen 500-Euro-Scheinen in einer Vitrine platzierte, entwarf Maria Eichhorn einen ästhetisch eindrucksvollen Kommentar zum Verhältnis von Kunst und Ökonomie. "Wenn man die mal im Original gesehen hat, dann merkt man, dass diese schön säuberlich gebündelten 50 000 Euro ein richtiges Begehren wecken – und gleichzeitig muss man auch schmunzeln", sagt die für ihren feinsinnigen Humor bekannte Maria Eichhorn zu dieser Provokation.
Gleichermaßen Beachtung in der internationalen Kunstszene erfuhr auch das 2017 anlässlich der documenta 14 von ihr gegründete "Rose Valland Institut". Das seitdem in Kooperation mit verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen fortlaufende Projekt erforscht und dokumentiert die Enteignung der jüdischen Bevölkerung Europas. Als Beispiel diente Maria Eichhorn ein raumhohes Regal mit unrechtmäßig erworbenen Büchern aus den Beständen der Zentral- und Landesbibliothek Berlin.
Ihr Pavillon soll im Wechselspiel mit den anderen Pavillons stehen
Eine Auseinandersetzung mit dem Erbe der Nationalsozialisten steht ihr nun auch in Venedig bevor. Der 1909 erbaute Deutsche Pavillon wurde 1938 von den Nazis nach ihren Vorstellungen von Architektur monumental umgestaltet. Koryphäen wie Gerhard Richter, Joseph Beuys, Georg Baselitz, Hans Haacke, Christoph Schlingensief oder Anne Imhof haben bisher darin ausgestellt, ohne sich von der behafteten Gestalt des Pavillons vereinnahmen zu lassen. "Die meisten Künstler, die einen Biennale-Pavillon, auch den deutschen Pavillon gestalten, fassen es ganz einfach als Aufgabe oder Auftrag auf, entweder ihrer gewohnten Arbeit nachzugehen und diese zu zeigen, oder Missstände offenzulegen, Politik zu hinterfragen, Formen solidarischen Austauschs zwischen gesellschaftlichen Gruppen zu initiieren, Stellung zu beziehen und so weiter", erklärt Maria Eichhorn in ihrem Gespräch mit Kurator Yilmaz Dziewior. Sie betrachte den Deutschen Pavillon nicht isoliert, sondern im Ensemble und Wechselspiel mit anderen Pavillons und Länderbeteiligungen in Bezug auf staatlich-territoriale und geopolitische, globale ökonomische und ökologische Entwicklungen.
Was sie für die 59. Internationale Kunstbiennale in Venedig plant, enthüllt Maria Eichhorn dem Kurator, ohne zu viel zu verraten: "Die Arbeit ist zugänglich. Sie kann sowohl gedanklich als auch vor Ort körperlich und in Bewegung erfahren werden." Jedenfalls dürfte es keine Kunst sein im Sinne einer nationalen Repräsentation, wie sie in der Politik oder in der Religion vorkommt, "wo Figuren teils mit autoritärem Führungs- und Vertretungsanspruch auftreten".
Der deutsche Beitrag zur Biennale di Venezia vom 23. April bis 27. November 2022 entsteht im Auftrag des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland und wird realisiert in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa). Der übliche Zweijahresrhythmus dieser weltweit bedeutenden Ausstellung ist coronabedingt zwar unterbrochen, die Vorbereitungen für 2022 sind aber schon in vollem Gange.