Am Pfingstdienstag marschieren sie wieder, die Männer der Königsberger Bürgerwehr. Um 8.30 Uhr geht's los, am Marktplatz. So, wie jedes Jahr. Die Bürgerwehr ist die Letzte ihrer Art. Im Revolutionsjahr 1848 waren Bürgerwehren in vielen deutschen Landesteilen aufgestellt worden. Doch nur in Königsberg existiert diese noch immer. Nur während beider Weltkriege ruhte die Tradition für wenige Jahre.
Die Entstehung der Bürgerwehr rührt vom ausgeprägten Bürgersinn der Königsberger her, meint Wolfgang Fischer, der die Bürgerwehr als Hauptmann von 1993 bis 2006 geleitet hat, vor dem jetzigen Hauptmann Manfred Barfuß. Fischer hat zur Geschichte der Bürgerwehr viel recherchiert und Ergebnisse auch veröffentlicht. Das bürgerliche Selbstbewusstsein der Königsberger baut darauf auf, dass die Stadt lange Zeit als Enklave Teil des sächsischen Herrschaftsbereichs war. Zuletzt, seit 1826, hat das Städtchen zum Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha gehört, eingeschlossen von den Bistümern Würzburg und Bamberg.
Das Königsberger Selbstbewusstsein äußerte sich auch darin, dass die Bürgerwehr von Anfang an ihren Hauptmann gewählt hat. Die Mitglieder der gehörten der Wehr freiwillig an, und sie wählten ihre Offiziere selbst.
So ist das bis heute, sagt Michael Burkard. Als Oberleutnant ist er quasi der zweite Mann in der Bürgerwehr. Der Hauptmann wird in einer offiziellen Bürgerversammlung unter Leitung des Bürgermeisters gewählt. Die Bürger nehmen freiwillig an den Auszügen des Bataillons an Christi Himmelfahrt und am Pfingstdienstag, der in Königsberg Fiertag ist, teil und die Offiziere laden die Bürger zuvor zum Zuschauen ein. Die Offiziere des Kommandos wiederum werden von den angetretenen Wehrmännern gewählt. „Das Interesse, ins Kommando zu kommen, ist sehr groß“, schildert Burkard. Wer dort hineingewählt werden möchte, müsse sich zuvor jahrelang als zuverlässiger Wehrmann bewährt haben. „Du musst dich da hochdienen“, sagt der Oberleutnant der Bürgerwehr.
Fahne von 1848 gibt es noch immer
Die Geschichte der Königsberger Bürgerwehr ist eng verbunden mit der Geschichte der deutschen Demokratie. Die heute in einer Vitrine im Rathaus verwahrte erste Fahne der Bürgerwehr von 1848 trägt die Farben Schwarz-Rot-Gold, wie sie die Anhänger von Demokratie und deutschem Einheitsstaat erstmals 1832 beim Hambacher Fest als Trikolore hochhielten. Unter diesen Farben erhoben sich im März 1848 Revolutionäre, um sich gegen die Unterdrückung demokratischer Ziele zu wehren. In der Frankfurter Paulskirche tritt die Nationalversammlung zusammen, als erste gemeinsame Vertretung der unzähligen Landesherrschaften, die es damals auf deutschem Gebiet gab. Die in dieser Zeit entstehenden Bürgerwehren sollten Ordnung und Sicherheit gewährleisten und notfalls mit Waffengewalt die Ziele der Demokraten durchsetzen.
Das galt auch für Königsberg, wie Wolfgang Fischer feststellt. In einem Brief an Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg forderten sie im März 1848 eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Im Folgemonat bildet sich in Königsberg eine rund 100 Mann starke „Sicherheitswache“, wie der Stadtrat an die herzogliche Regierung schrieb. Es wurde auch um Zuteilung von Gewehren gebeten – dem letztlich entsprochen wurde. Voller Eifer exerzierten die Bürgerwehrler daraufhin. Frauen sammelten Geld für eine Fahne, die am 22. Oktober 1848 im Beisein der Bürgerwehren aus Hofheim, Haßfurt und Zeil geweiht wurde.
Die März-Revolution in Deutschland scheiterte bekanntlich im Jahr 1849 endgültig. Doch obgleich die Mitglieder der Königsberger Bürgerwehr 1852 ihre Waffen auf Befehl des Herzogs abgeben mussten, hat deren Tradition die Zeit überlebt, wohl auch deshalb, weil die Idee einer Bürger-Kompanie zum Schutz der Königsberger Enklave weit vor die Revolutionszeit zurückreicht. Von dieser Bürger-Kompanie leitet sich wahrscheinlich die Struktur der heutigen Bürgerwehr sowie die Abläufe an Christi Himmelfahrt und Pfingsten ab, vermutet der frühere Hauptmann der Bürgerwehr, Wolfgang Fischer.
200 Seiten Reglements
Da wundert es einen beinahe, dass das Fortdauern der Tradition weit über 100 Jahre lang auf rein mündlicher Überlieferung beruht hat. Erst Ende der 1970er Jahre, berichtet Michael Burkard, wurden die Reglements der Bürgerwehr erstmals schriftlich festgehalten – auf etwa 200 Seiten. Seitdem können dort die Abläufe des Auszugs, die Kommandos und so weiter nachgelesen werden.
Der Auszug der Bürgerwehr während des Königsberger Pfingstfestes zählt bis heute zu den wichtigsten Veranstaltungen in der kleinen Stadt. „Das ist Traditionspflege, kein militärisches Spektakel“, sagt Burkard. Deshalb sind die Gewehre – oder entsprechende Attrappen –, die die Bürgerwehrler beim Pfingstauszug tragen, auch mit Blumen geschmückt, „als Zeichen des Friedens“, wie der Oberleutnant erklärt.
Während Traditionspflege bei jungen Menschen oft einen schweren Stand hat, machen sich die Verantwortlichen der Bürgerwehr kaum Sorgen, dass ihnen der Nachwuchs ausgeht, obwohl auch sie den Bevölkerungsrückgang spüren. Die Teilnahme am Auszug genießt weiter hohes Ansehen, berichtet Burkard. In den Reihen marschieren etliche mit, die längst nicht mehr in Königsberg wohnen, ebenso Bürger aus den Ortsteilen. „Das sind gern gesehene Gäste bei uns“, sagt Oberleutnant Burkard, der nochmals an den großen Auftrag erinnert, den es zu erfüllen gilt: das Wachhalten hoher Werte, wie Freiheit, Menschenrechte und Einigkeit – Werte, die heute oft viel zu leicht als selbstverständlich hingenommen würden.
Literaturhinweis: Bürgerwehr 1848 Königsberg in Franken (2015), Verfasser Wolfgang Fischer, erhältlich bei der Stadt Königsberg. Vertiefende Darstellung: „Auf Manneswort und Bürgerpflicht“. Bezug über Bürgerwehr Königsberg, Verlag Wolfgang Fischer, E-Mail an wfischer.koenigsberg@t-online.de. Informationen im Internet: www.bayern-buergerwehr.de, www.koenigsberg.de