Die Freihandelsabkommen TTIP und CETA sind weiterhin äußerst umstritten. Auch im Landkreis Haßberge gibt es ein Aktionsbündnis gegen die geplanten Verträge zwischen der Europäischen Union, den USA und Kanada. Am Mittwoch veranstaltete dieses einen Informationsabend im Nebenraum des Brauereigasthauses Göller in Zeil.
Politische Parteien, Gewerkschaften und andere Organisationen haben sich zu diesem Bündnis zusammengeschlossen. Beteiligt sind die ÖDP, Bündnis 90/Die Grünen, das Linke Bündnis Haßberge, Bund Naturschutz, KAB, Betriebsseelsorge und DGB. Rudi Reinhart, katholischer Betriebsseelsorger für den Landkreis Haßberge, übergab das Wort an Gewerkschaftssekretärin Marietta Eder.
Die Verdi-Vertreterin hatte sich bewusst gegen eine Powerpoint-Präsentation entschieden, denn sie wollte keinen einfachen Vortrag halten. Viel wichtiger sei ihr, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und zu diskutieren. Beim Kampf gegen Freihandelsabkommen konzentrierten sich momentan alle auf das große Schlagwort TTIP. Zwar sei es wichtig, gegen dieses Abkommen vorzugehen. Darüber dürfe aber nicht vergessen werden, dass auch andere Freihandelsabkommen in Arbeit sind. Auch diese dürften nicht im Schatten der TTIP-Proteste unbemerkt durchgewunken werden. „Wir dürfen auch CETA nicht vergessen. Weil?s brennt“, sagte sie und verwies außerdem auf TiSA, das noch weniger bekannte Dienstleistungsabkommen.
Allerdings widersprach sie der bei vielen europäischen TTIP-Gegnern verbreiteten Ansicht, das Problem liege vor allem auf der amerikanischen Seite. „Es ist nicht so, dass die Europäer alles richtig machen und die Amerikaner alles falsch.“ Als Beispiel nannte sie die Reaktion auf die Finanzkrise. Dabei seien einige europäische Fehler in den USA nicht gemacht worden. Um die Auswirkungen von TTIP und CETA abschätzen zu können, haben sich die Gegner der Abkommen vor allem die bereits bestehenden Freihandelsabkommen angeschaut. Marietta Eder ging dabei vor allem auf NAFTA ein, das die USA mit Kanada und Mexiko geschlossen haben. „Da gab?s die versprochenen Gewinne“, sagte sie. „Aber die entscheidende Frage ist die Verteilung.“ Sie habe eine Verschlimmerung der Ungerechtigkeit verursacht. „Die Armen werden ärmer und die Reichen werden reicher.“
Weiter kritisierte Eder die Geheimhaltung bei den Verhandlungen. Wikileaks war es, das einige Details aus den Verträgen ans Licht brachte. Über die Internetseite sagte sie: „Es ist gut, dass man?s hat, aber so sollte Demokratie eigentlich nicht funktionieren.“ Auch die Einsicht, die einige Einzelpersonen nun nehmen dürfen, bringe wenig, besonders, so lange die Verträge nur auf Englisch vorliegen, das mit vielen Fachbegriffen für einen normalen Deutschen selbst mit guten Fremdsprachenkenntnissen kaum zu verstehen ist.
Bei früheren Freihandelsabkommen sei es in erster Linie um die Abschaffung von Zöllen gegangen. „Aber weder bei TTIP noch bei CETA ist das das große Thema.“ Das Schlimme an den Abkommen seien vor allem die Handelshemmnisse. „Damit sind die Arbeitnehmerrechte gemeint, für die Menschen auf die Straße gegangen sind.“ Allgemein geht es bei diesen Handelshemmnissen darum, dass Unternehmen die Gelegenheit bekommen, gegen politische Entscheidungen zu klagen, wenn diese zu einer Minderung ihrer Gewinne führen können. Da auch Gesetze, die zum Schutz und zum Wohl der Bevölkerung erlassen werden, ein solches Handelshemmnis darstellen könnten, fürchten die Gegner der Abkommen eine Welle von Klagen gegen sinnvolle und notwendige Regelungen. Marietta Eder berichtete, bereits jetzt gebe es Klagen gegen Ägypten für eine Anhebung des Mindestlohns, gegen Quebec für ein Fracking-Verbot und gegen Deutschland wegen des Atomausstiegs. TTIP und CETA könnten dieses Problem weiter verschärfen. „Die Demokratie wird sich verändern, wenn Politiker die Schere im Kopf haben“, meinte Eder. So könnte die Angst vor Schadenersatzklagen in Milliardenhöhe dazu führen, dass manche sinnvolle Gesetze zum Schutz der Bürger gar nicht erlassen werden. Ein weiteres Problem sei, dass dieses Klagerecht nur für Unternehmen gelte, nicht für Organisationen wie beispielsweise Gewerkschaften. Wichtig sei nun, Druck aufzubauen, so dass die Abkommen nicht nur von der EU beschlossen werden, sondern auch den Weg durch die einzelnen nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten nehmen müssen. Dann würde schon die Ablehnung aus einem einzigen Staat reichen, um das Abkommen zu kippen. „Die EU ist zum Scheitern verurteilt, wenn der Eindruck entsteht, dass so was in Hinterzimmern entschieden wird“, sagte Eder, betonte aber auch, dass sie die EU nicht abschaffen, sondern reformieren wolle. Damit grenzte sie sich klar von denjenigen ab, die die Freihandelsabkommen aus Nationalismus ablehnen. „Im europäischen Parlament sitzen 120 Nazis“, sagte sie mit Blick auf Abgeordnete von Parteien wie Front National oder AfD. Ähnlich schlimm sähe es in den USA mit der rassistischen Tea-Party-Bewegung aus. Rudi Reinhart berichtete in diesem Zusammenhang, die Initiative Stop CETA habe kürzlich abgelehnt, Unterstützung von der AfD zu bekommen.
Ein wichtiger Punkt, mit dem sie ihre Ablehnung der Abkommen begründet, sind die ILO-Kernarbeitsnormen. Dabei handelt es sich um grundsätzliche, aus Sicht der Gewerkschaften unverhandelbare Arbeitnehmerrechte wie ein Verbot von Zwangsarbeit, ein Mindestalter von 15 Jahren für den Eintritt ins Berufsleben oder das Recht, sich in Gewerkschaften zu organisieren. Einige dieser Rechte, so Eder, seien nicht in allen beteiligten Ländern geregelt.
In der anschließenden Diskussion wurde aus den Reihen der Besucher auch Kritik an SPD-Chef Sigmar Gabriel laut, denn während die Parteispitze der Sozialdemokraten TTIP befürwortet und Gabriel im Ausland von der „Hysterie Deutschlands“ gesprochen hatte, lehnt die Basis seiner eigenen Partei das Abkommen ab.
Bei der Veranstaltung wurde außerdem auf zwei Termine hingewiesen. Am 16. Juli startet eine Unterschriftenaktion, die bis Ende des Monats laufen soll und ein Volksbegehren gegen CETA anstrebt. Da auch die Kirchen viele Punkte von CETA kritisch sehen, werden die Unterschriftenlisten unter anderem in einigen Pfarreien ausliegen. Am 17. September sollen in mehreren deutschen Großstädten Demonstrationen gegen TTIP und CETA stattfinden.