Das Rennerkreuz, rund zwei Kilometer von Neuschleichach entfernt, kündet von einem spektakulären Fall von Wilderei in der Region. Es erinnert an den Revierförster Johann Renner aus Oberschleichach, der 1768 auf dem Beerenberg überfallen wurde. Er war auf dem Heimweg von der Kirchweih in Eschenau – und stieß unvermutet auf zwei Wilderer. Aus nächster Nähe streckte ihn einer mit einem Schuss in den Unterleib nieder. Schwer verletzt blieb der Förster liegen. Er starb, ohne dass die Übeltäter gefasst werden konnten.
Vor Schmerzen soll sich der Angeschossene noch auf dem Boden gewälzt haben. Bis vor einigen Jahrzehnten war an der Stelle sein Körperabdruck zu sehen. Bewohner der Umgebung und Wanderer hatten die Vertiefung immer wieder nachgeformt. Bei Schulwanderungen pflegten sich die Kinder an dieser Stelle in der Mulde herumzuwälzen.
Jahre später wurde auch der Waldschützer von Falsbrunn durch einen Schuss von Wilderern verletzt. Er war auf eine Bande gestoßen, die sich die Gesichter geschwärzt hatte, um nicht erkannt zu werden. Deshalb erließen die Behörden 1848 eine Verordnung gegen Wilderei. Der Eltmanner Landrichter schrieb: „Dieses von der Moral verdammte und durch weltliche Gesetze scharf verpönte Gewerbe entehrt die Menschen. Es wird daher kein Mensch, der von Ehre und Religionsgefühl beseelt ist, sich einem solchen schändlichen Erwerbszweig hingeben.“
Kurz vor Weihnachten 1865, so meldet das Haßfurter Bezirksamt an die Regierung in Würzburg, wurden die Gemeindevorsteher von Tretzendorf, Fatschenbrunn, Trossenfurt, Fabrikschleichach, Neuschleichach, Dippach und Zell aufgefordert, alle der Wilderei verdächtigen Personen zu melden, sie zu beaufsichtigen und verdächtige Handlungen anzuzeigen.
Bestraft wurden in dieser Zeit allerdings nur Carl Scheuring aus Fabrikschleichach wegen Jagdfrevels und Kaspar Barthelmes aus Tretzendorf wegen Körperverletzung und Gewalttätigkeit gegen einen öffentlichen Diener. Sebastian Blenk und Georg Achtziger wurden des Jagdfrevels beschuldigt, aber freigesprochen. Gegen die übrigen 13 Verdächtigten wurde keine Anzeige erhoben.
Der Hang zur Wilderei, so ein früher Protokollvermerk der Regierung in Würzburg, sei im Bereich des Steigerwalds, wo wirtschaftliche Not herrschte, tief verwurzelt gewesen. Die Forstverwaltung unternahm viel gegen die stetig zunehmende Wilderei. Um den „verwegenen Wilderern“ wirksam entgegenzutreten, ließ das Amt vom Revierpersonal und der Gendarmerie häufige Patrouillen an Sonn- und Feiertagen vornehmen. In der Überwachung der Wilddiebe durch die Gemeindeverwaltungen sah die Obrigkeit eine der wirksamsten Mittel. Man ging davon aus, dass Dorfbewohner und Verwaltungsmitglieder die im Ort wohnenden Wild- und Holzfrevler kennen würden.
Hier zeigte sich ein Phänomen, das auch in oberbayerischen Wilderergebieten bekannt ist: Die Einheimischen sahen in den Wilderern keine Verbrecher sondern Volkshelden, die es mit der verhassten Obrigkeit aufnahmen und viele Bürgermeister hatten Furcht vor ihrer Rachsucht und Verwegenheit. Häufig traten sie in Banden von zehn bis 15 Mann auf und jagten nicht nur in der Nacht oder der Dämmerung, sondern auch am hellichten Tage.
Der Eltmanner Forstvorsteher plädierte dafür, „die berüchtigsten notorisch und aktenmäßig als Wilddiebe bekannten, allerorts gefürchteten und verwilderten Individuen unter eine konsequente Polizeiaufsicht zu stellen.“ Immer wieder drohte die Obrigkeit auch mit dem Einsatz von Militär. Im Sommer 1866 sollte das Jagdschutzpersonal durch eine Militärabteilung verstärkt werden. Die Kosten des Militäreinsatzes allerdings wurden in der Regel den Gemeinden in Rechnung gestellt. Die Gemeinden forderte man auf, Vorschriften für den Markt- und Straßenhandel mit Wild zu erlassen, um den Absatz des gefrevelten Wilds zu erschweren.
Im Bereich Oberschwarzach waren Wilderer durch falsche Bärte vermummt und fragten Leute nach der Zahl des Forstpersonals in den umliegenden Orten. Nach Auffassung der Gerolzhöfer Polizeistation waren diese Wilddiebe „aus den berüchtigten Waldorten des königlichen Landgerichts Eltmann“.
Einige Wilddiebe sollen in dieser Zeit ihre Tätigkeit nicht mehr allein auf das Schießen von Wild beschränkt haben. Einige Leute sollen sogar ausgeraubt worden sein. Im Haßfurter Bezirksamt, sah man deshalb eine weitere Gefahr. Mehrere Verdächtige galten als unvermögend und wüssten nicht, wovon sie leben sollen, wenn ihnen das Handwerk gelegt wird. Es sei nicht auszuschließen, dass es deshalb später auch Raubüberfälle geben würde, da Wege und Straßen im Steigerwald durch Staatswaldungen führten, auf denen man größtenteils keiner Seele begegnet.
Nach Meinung der Revierförster müssten die Wildbretlieferungen und die Verkäufe polizeilich besser kontrolliert und beaufsichtigt werden. Denn viele Wilddiebe konnten das gefrevelte Wild ungestört verkaufen und gute Preise erzielen.
Im September 1866 wurde in den Räumen der Glashütte Fabrikschleichach vorübergehend eine Gendarmeriestation eröffnet. Darauf wichen die Wilddiebe in entferntere Reviere aus. So beklagte das Bezirksamt Gerolzhofen, dass in ihrem Amtsbezirk Personen aus den im Landgerichtsbezirk Eltmann liegenden Orten wie Trossenfurt, Fabrikschleichach und Neuschleichach wilderten.
Während des Tages forschten die Wilddiebe aus, wo die Gendarmen eingesetzt werden und wilderten dann abends auf der anderen, entgegengesetzten Seite in großen Banden. Deshalb forderte das Eltmanner Forstamt mehr Gendarmen oder die Errichtung einer weiteren Station in Zell oder Eschenau.
Das Bezirksamt Haßfurt schrieb: „Die Wilderer haben ihre Raubzüge in andere Gegenden sowie schwer zugänglichen Schluchten (!) des Steigerwaldes in Zell, Westheim, Hundelshausen und Umgebung, verlegt.“ Die Probleme wurden durch die Gendarmeriepräsenz also nur verlagert.
Weil die Streifzüge der Gendarmen jedoch immer intensiver wurden, wagten sich immer weniger Wilddiebe in die Reviere ihres Heimatbereichs. Viele Abnehmer von Wildbret konnten ihren Bedarf nicht mehr decken, nicht nur im Steigerwald, sondern auch in Eltmann, Haßfurt, Gerolzhofen. Auch manche Gastwirte konnten ihren Gästen kein Wildbret mehr vorsetzen. Sie hatten gerne auf das von den Wilderern gelieferte Fleisch zurückgegriffen, weil es weniger kostete als bei den Forstdienststellen. Außerdem verblieb das an die Wilderer bezahlte Geld als Zeche oft größtenteils beim Wirt, denn die Wilderer pflegten ihre Einnahmen sogleich zu verzehren und zu vertrinken.
1868 setzte der Eltmanner Forstmeister Zerzog eine Belohnung für die Überführung von Wilderern aus. In einer Anzeige im Haßfurter Amtsblatt versprach er jedem, der einen Täter namhaft macht fünf Gulden, wenn er rechtmäßig verurteilt werden konnte. Allerdings hatte er keinen nennenswerten Erfolg. Im gleichen Jahr sagte der neue Bezirksamtmann in Haßfurt, dass das Wildererproblem mit polizeilicher Macht nicht zu lösen sei. Er glaubte beobachtet zu haben, dass die Steigerwälder im Allgemeinen viel weniger an staatliche und gesetzliche Zucht und Ordnung gewohnt seien als beispielsweise die Bewohner des Spessarts oder der Rhön. Außerdem sei den Steigerwäldern eine Lust zur Opposition gegen Ordnung und Gesetze eigen. Das Amt sah die Schuld in der Lage der Gegend, im Mangel an Kommunikation und im niedrigen Stand der Volksbildung.
Im April 1869 enden die Berichte, Briefe und Aufzeichnungen im Akt: „Wilderei in Banden im Steigerwald“. Sie hatte mit Hilfe von zwei zusätzlichen Polizeistationen eingedämmt werden können. Günstig dürfte sich wohl auch der gewonnene Deutsch-Französische Krieg 1870/1871 ausgewirkt haben, der in dem neu gebildeten Deutschen Reich für eine kurze Zeit zu einem bislang ungekannten Wohlstand führte. Hinzu kam, dass sich im Raum Eltmann-Steigerwald nun auch die Sandsteinindustrie ausbreitete und den Leuten eine Existenz neben der Landwirtschaft bot.
Einen bebilderten Vortrag von Ludwig Leisentritt zum Thema „Wilderer im Steigerwald und in den Haßbergen“ gibt es am Dienstag, 19. Januar 2010, um 19 Uhr im Altstadthotel in Haßfurt.