Die Augen sind geschlossen. Das Wasser des Riedbachs plätschert, leise schlägt es gegen die alte Steinmauer. Fast, mag der Zuhörer meinen, hört er das alte Mühlrad klappern. Streckt er sich, sieht er die Hartmühle bei Mechenried über die Mauerkrone hervorspitzen.
Zweifelsohne – es ist ein idyllischer Flecken. „Als ich die Bilder von der zum Verkauf stehenden Mühle und dem Grundstück im Internet gesehen habe, hat sie mir gleich gefallen.“ Doch dann hatte Kerstin Reißmann erst einmal Pech: Ihr Anruf beim Besitzer ergab, dass die Immobilie bereits einen Käufer gefunden hat. Das war im Februar 2007. Wenige Monate später, im August, meldete sich der Besitzer nochmals. Der Interessent war abgesprungen. Kerstin Reißmann konnte zuschlagen, am Tag ihres Geburtstags.
Die Banken von ihrem Vorhaben zu überzeugen und die notwendigen Kredite locker zu machen war schwierig, sagt die 44-jährige Kauffrau. Doch es ging um die Verwirklichung eines Traums: Zusammen mit ihrer Partnerin, der Pferdewirtin und Pferdetrainerin Nicole Petasch (29), wollte sie einen Reitstall eröffnen, speziell für Islandpferde. Mit Pferdepension und Reitunterricht. Seit September 2010 steht der Stall, der Islandpferdehof Hartmühle ist Realität geworden.
Der alte Mühlengrund ist hierfür optimal. Auf sechseinhalb Hektar erstreckt sich das Grundstück, eingerahmt vom Riedbach und dem davon abgezweigten Mühlbach. Genug Platz für Koppeln, selbst für kleine Ausritte reicht die Fläche. Der Pferdehof wirkt natürlich, nicht wie nach einem Musterkatalog gestylt. Dennoch haben die neuen Besitzerinnen das Mühlenareal verändert. Es sind Paddock-Ställe für 30 Pferde entstanden, die sich ins Ensemble der alten Gebäude einfügen.
In welche Zeit die alte Mühle zurückreicht, ist nicht mehr exakt rekonstruierbar. In der Ortschronik ist im Zusammenhang mit der „Hardtmühle“ – so die alte Schreibweise – lediglich die Jahreszahl 1830 vermerkt, als die Mühle nach Mechenried eingemeindet wurde. Mühlen galten vorher als politisch unabhängige Einheiten. Müller waren quasi ihre eigenen Bürgermeister. Die nächste Datierung ist das Jahr 1908. Damals ist das Mühlengebäude nach einem Brand wiedererrichtet worden. Die Jahreszahl prangt heute noch auf dem Türstock der alten Haustür.
Wer vor dem Haus steht, dem fällt mit Blick auf das braune Fachwerk nicht sofort auf, dass dieses nur noch aufgemalt ist auf die Backsteinwand. „Das alte Fachwerk existiert noch komplett, ist jedoch nur innen sichtbar. Außen musste es abgedeckt werden, da es sonst nicht mehr zu erhalten gewesen wäre“, begründet Kerstin Reißmann diese Entscheidung im Zuge der Renovierung. Dennoch wurde das Alte nicht komplett zerstört. Die neue Außenmauer ist der bestehenden Hauswand vorgeblendet. So wurde das alte Fachwerk mit dem Bruchstein-Gefache so weit möglich erhalten. Es ist in weiten Teilen der Wohnräume, die 400 Quadratmeter einnehmen, sichtbar – ein Blickfang.
Anfang der 1980er Jahre wurde in der Mühle das letzte Mehl gemahlen; die Konkurrenz durch moderne Mühlen war zu groß geworden. Der Mühlblock nahm damals einen Großteil des Hauses ein. Die vorhandene Wohnung war im Vergleich dazu klein. Im Zuge des Umbaus wurde das Haus entkernt. Die Bauteile des Mühlwerks wurden entfernt bis auf einen hölzernen Mehltrichter, der nun das Wohnzimmer schmückt.
Ein Relikt steht im Erdgeschoss der Mühle. Während das alte Mühlrad längst verschwunden ist, produziert dort eine Turbine aus dem Kriegsjahr 1942 3,5 Kilowattstunden Strom, genug, um Haus und Pferdehof zu versorgen. Angetrieben wird sie vom Wasser aus dem Mühlbach, das über ein Gefälle von 8,32 Metern auf die Schaufelräder der Turbine stürzt. „Wenn der Bach Hochwasser führt, dann vibriert das ganze Haus“, sagt Kerstin Reißmann. Zusammen mit einem Kachelofen mit Warmwasseraufbereitung und einer Solaranlage für Warmwasser ist die Hartmühle in Sachen Energieversorgung fast autark. Die alte Mühle ist für die Zukunft gerüstet.
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