Gustav Thiemer lacht und blickt auf den kleinen grauen Karton auf dem Küchentisch. „Seit mehr als 60 Jahren halten wir Hühner, aber so etwas hab ich noch nicht erlebt“, sagt der Nassacher und deutet auf das rotbraune Etwas im Eierkarton. Auf den ersten Blick schaut dies aus wie ein ganz normales Ei – nur etwas dunkler ist es geraten. Doch: Zieht es Gustav Thiemer vollständig aus dem Karton, dann wird sofort deutlich, warum der 79-Jährige so etwas noch nicht gesehen hat: Die Pole des Eis sind gleichmäßig rotbraun gefärbt, dazwischen die „ganz normale“ Schalenfarbe. Es ist ein Ei mit Seltenheitswert.
Die Einschätzung von Gustav Thiemer teilen durch die Bank auch alle Fachleute, die dieses Ei inzwischen zu Gesicht bekommen haben. Immer dabei die erste Frage: „Und das ist wirklich kein Fake, kein Witz? Nicht mit Farbe nachgeholfen?“ Nein, ist es nicht, lacht Gustav Thiemer und erinnert sich noch genau daran, wie er es im Hühnerstall entdeckt hatte – morgens beim Füttern der Hühner lag es bei den anderen Eiern in der Eiablage. Dass das Ei bei Fachleuten inzwischen seine Kreise zieht, ist ihm schon eher peinlich.
Muss ihm aber nicht sein, denn ohne Umschweife lautet dort die Aussage: „So etwas hab' ich noch nicht gesehen.“ So lautet das Urteil auch bei Dr. Markus Menn vom Veterinäramt am Landratsamt Haßberge. Eine plausible Erklärung für die Färbung hat er erst einmal nicht. Und da geht es ihm nicht anders, wie Fachleuten etwa vom Versuchs- und Fachzentrum für Geflügel- und Kleintierhaltung in Kitzingen oder von der Universität Hohenheim. Ein Erkläransatz: Vielleicht handelt es sich um ein Ei von Hühnern, die solch dunkle Eier legen? Aber: Wie kommt es dann zu diesem hellen Ring in der Mitte?
Zudem: Alles andere als außergewöhnlich sind die Hühner, die bei den Thiemers umherstolzieren. „Schauen Sie, ganz normale Braune“, sagt Gustav Thiemer, als er das Federvieh in Nassach gerade füttert. Und die legen seit Jahren immer die gleichen hellbraunen Eier. Ganz so, wie in der Mitte des außergewöhnlichen Eis zu sehen ist. Es kam zwar schon mal selten vor, dass winzige kleine dunkelbraune Fleckchen auf den Eiern zu sehen war, aber so auffällig war es noch nie, berichtet Thiemer.
Einigermaßen sprachlos, aber vor allem ratlos, wie so etwas entstehen kann, ist auch Robert Schneider aus Hohnhausen. Millionen Eier dürfte er in den vergangenen rund 50 Jahren, seitdem er mit Hühnerhaltung beschäftigt ist, schon gesehen haben, „aber so ein Ei noch nie“, sagt Schneider. Vielleicht hatte das Huhn einfach kurzzeitig eine Erkrankung, vielleicht auch nur einen Schnupfen, wagt Schneider eine Erklärung. Und Schneider schmunzelnd weiter: „Vielleicht ist es aber auch ein Huhn, das die Ostereier selber färbt. Vielleicht will es dem Osterhasen nur die Arbeit abnehmen“.
Wenn es so wäre, dann wäre das Huhn auf jeden Fall für den Osterhasen keine große Hilfe gewesen, denn: Es war ein Unikat. Zumindest in dieser symmetrischen Farbkombination. Einige Tage später wurde farblich zwar noch einmal nachgelegt, wieder lag ein ungewöhnliches Ei in der Ablage, aber nicht so schön, berichtet Thiemer und natürlich lässt sich auch nicht klären, ob es nun vom selben Tier seines knappen Dutzends Hühner war.
Um Aufklärung um das sonderbare Ei bemüht ist auch Dr. Dieter Mahsberg, Zoologe am Biozentrum der Universität in Würzburg. Und auch sein Urteil voraus: „So ein Ei habe ich noch nicht gesehen.“ Mahsberg weiter: „Ich gehe davon aus, dass es nicht am 1. April gelegt wurde, oder?“ Ist es nicht, denn inzwischen sind zur Aufhellung der Ursachen für die dunklen Pole des Eis schon einige Tage ins Land gezogen. Das viele Vorzeigen hat gar schon am Ei Spuren hinterlassen.
Und Mahsberg holt bei seiner Erklärung aus. Zum einen: Für die Eierfarbe eines Huhns ist die Gefiederfarbe unerheblich (es gibt sogar Hühnerrassen, die grüne Eier legen).
Auch die sogenannte Ohrscheibentheorie erklärt die Schalenfarbe nicht. Nach dieser Theorie sollten Hühner mit roter Ohrscheibe braune und mit weißen Ohrscheiben weiße Eier legen. Aber Thiemers Hühner haben nun mal keine so gefleckten Ohrenscheiben und außerdem haben sie ja die ganze Zeit ganz normale braune Eier gelegt.
Dieter Mahsberg erklärt weiter: Letztlich wird genetisch festgelegt, welche Pigmente in welcher Konzentration bei der Ei-Bildung im Eileiter der zunächst immer weißen Kalkschale beigefügt werden. Das braune Pigment stammt von einem Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Dieses Abbauprodukt nennt sich Protoporphyrin. Je mehr davon bei der Ei-Bildung der weißen Kalkschale beigefügt wird, desto brauner wird die Eischale.
Dass ein Huhn der Thiemers ein derart gefärbtes Ei gelegt hat, kann sich der Zoologe eigentlich nur so erklären, „dass am Anfang beziehungsweise am Ende der Ei-Pigmentierung im Eileiter unverhältnismäßig viel Protoporphyrin gebildet und eingelagert wurde“.
Warum allerdings, „das kann vielleicht ein Tierarzt erklären“. Mit der Ernährung dürfte es auf jeden Fall nichts zu tun haben, so Mahsberg.
Genau unter die Lupe nimmt das Ei auch Tierarzt Dr. Mathias Roth (Goßmannsdorf). Dass durch das immer wieder erfolgte Vorzeigen des Eis es an manchen Stellen seine Pigmentierung verloren hat ist für den Tierarzt auf jeden Fall ein Zeichen, dass es auch echt ist. Auch Roth hat ein solches Exemplar noch nicht gesehen, wenngleich er zeigt, dass bei ein und demselben Tier nicht ein Ei dem anderen gleichen muss. So hat er zwei Emu-Eier: das eine dunkelgrün gesprenkelt, das andere in hellgrün. Letzteres war am Ende der Legeperiode gekommen, die Emu-Frau hatte nur noch Pigmente, die für den hellen Grundton reichten.
Und eine Erklärung für den hellen Ring im Nassacher Ei: Es könnte sein, dass es in den Schleimhäuten eine Störung gegeben hatte, wagt Roth eine Deutung. Nachdem dies allerdings nicht weiter aufgetreten sei, sollte man es so sehen: „Es ist einfach eine Laune der Natur.“ Und Roth ist sich ziemlich sicher, dass es genau so auch nicht wieder auftreten wird.
Und was wichtig gewesen wäre, wenn die Thiemers es hätten verbrauchen wollen: „Die Schalenfärbung hat keinen Einfluss auf das Innenleben des Eis und auch nicht auf den Geschmack“, so Dieter Mahsberg von der Uni Würzburg. Aber es in die Pfanne zu hauen, dafür ist es eh viel zu schade, „es ist etwas wert“, sagen Mahsberg und auch Markus Menn vom Veterinäramt. Denn: Es gibt Sammler, die auf solche Eier ein Auge geworfen haben. „Ich kann fragen, wen ich will, niemand hat bislang solch ein Ei gesehen“, so Menn. Und der Mitarbeiter des Veterinäramtes weiter: „Immer unter dem Vorbehalt, dass es auch nicht manipuliert wurde, kann dafür ein absolut guter Preis erzielt werden.“
Wie hoch? Das ist für die Thiemers in Nassach eigentlich nicht von Interesse, denn verkaufen wollen sie es nicht. Sie wollen diese seltene Laune der Natur als Andenken behalten.