Es ist ein schöner, sonniger Tag, als ein Bombenhagel auf Ebelsbach nieder geht. Kurz zuvor hatten Sirenen das Nahen der insgesamt 83 B-17-Bomber des 8. US-Kampfgeschwaders ankündigt, die sich brummend über die "Heiligen Länder" dem Ort näherten. Lediglich ein Vernebelungstrupp der Wehrmacht versucht an diesem 19. Juli 1944, mit Unterstützung russischer Kriegsgefangener, das gesamte Werksgelände der Firma Kugelfischer unter einem künstlichen Nebelschleier zu verstecken.
Doch die Piloten wissen, dass sie nicht mit Gegenwehr zu rechnen haben. Die Flakabwehreinheiten bei Stettfeld, Breitbrunn und Sand, welche das Kugelfischerwerk gesichert hatten, waren abgezogen worden. Und so kreisen die Maschinen solange ungehindert über Ebelsbach, bis sich der Nebel lichtet. Dann klinken sie ihre explosive Fracht aus: 122,5 Tonnen Spreng- und 69,7 Tonnen Brandbomben fallen an diesem Nachmittag zwischen 14 und 15 Uhr zu Boden und legen Ebelsbach zum Teil in Schutt und Asche.
Zwei Tage später überziehen die Alliierten den Ort erneut mit einem Bombenteppich. Insgesamt werden bei beiden Angriffswellen mehr als 2500 Bomben abgeworfen. Doch nicht alle explodieren.
61 Jahre danach. Wieder ist es ein schöner Sommertag, als Alarm geschlagen wird. Als Baggerfahrer Wolfgang Jahn sich am Mittwoch bei Bauarbeiten für eine Tankstelle in der Nähe des Verkehrs-Kreisels tiefer und tiefer in das Erdreich frisst, ahnt er nicht, dass er gleichzeitig in der Vergangenheit wühlt. Mit seiner Schaufel bringt er gegen 11 Uhr einen rostbraunen Gegenstand ans Tageslicht, der wie eine überdimensionale Zigarre aussieht.
Ist das eine Bombe? Wolfgang Jahn ist sich zunächst nicht sicher: "Ich habe meinen Kollegen herbeigerufen, der hat das bestätigt: Das ist eine Bombe". Sofort wurden die Arbeiten eingestellt und die Polizei verständigt, die in Rücksprache mit den Experten des Sprengkommandos Nürnberg-Feucht das Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg auf einem Sandbett in der Nähe des Fundortes lagern ließen. "Nur wenige Meter entfernt wurde vor 15 Jahren schon einmal eine Bombe gefunden und entschärft", weiß Bürgermeister Walter Ziegler.
Arbeiten ohne Hektik
In respektvollem Abstand harren die Männer dann der Ankunft des Sprengkommandos, das gegen 15 Uhr in einem weißen Kleinbus anrollt. Ohne Hektik nehmen Karl-Heinz Wolfram und sein Kollege Willibald Becher das 1,15 Meter lange Stück Eisen in Augenschein, das einen Durchmesser von 30 Zentimetern hat. Schnell ist klar: Es ist eine amerikanische Mehrzweckbombe, fünf Zentner schwer, wovon 120 Kilo Sprengstoff sind. "Es fehlt zwar das Leitwerk, aber die Zünder an der Front und am Heck sind noch intakt", sagt Karl-Heinz Wolfram. "Um eine Entschärfung kommen wir nicht herum."
Da die Bombe auch nach mehr als einem halben Jahrhundert noch immer ihre volle Wirkung entfalten kann, müssen alle Gebäude zu diesem Zeitpunkt im Umkreis von 300 Metern evakuiert sein. "Außer uns beiden darf sich dann niemand mehr dort aufhalten". Damit jedoch die umliegenden Geschäfte keinen wirtschaftlichen Schaden erleiden, legt das Sprengkommando den Termin auf 20 Uhr. "Das ist kein Problem, auf dem Sand liegt die Bombe bis dahin gut", sagt Karl-Heinz Wolfram, für den es nun in der staubigen Nachmittagshitze zu warten heißt.
Währenddessen gibt es für die Polizei um Einsatzleiter Bernhard Walter und seinen Kollegen Hauptkommissar Peter Firsching viel zu tun: Für den abendlichen Einsatz werden rund 60 Mann der Feuerwehren aus Ebelsbach, Haßfurt, Gleisenau, Steinbach, Prappach und Knetzgau angefordert, die zusammen mit der Haßfurter Polizei und Beamten des Einsatzzuges der Polizeidirektion Schweinfurt die Evakuierung der Umgebung sicherstellen sollen.
Über die bayernweiten und lokalen Rundfunksender werden die Bürger dann erstmals auf die bevorstehende Bombenentschärfung aufmerksam gemacht. "Liebe Mitbürger, wegen einer Entschärfung einer Fliegerbombe ist bis 1930 Uhr eine Räumung ihrer Wohnungen erforderlich. Treffen Sie sich am Festplatz an der Kirche", tönt es gegen sieben Uhr aus dem Lautsprecher des Feuerwehrautos, das von der Herrensteige aus im Schritttempo durch die umliegenden Straßen fährt.
94 Häuser müssen evakuiert werden, darunter ein großer brauner Wohnblock, der die volle Breitseite der Explosion abbekommen würde. Neben dem Lautsprecherwagen gehen Einsatzkräfte zusätzlich von Tür zu Tür und bitten die Bewohner höflich, ihre Wohnung zu verlassen. Unter den Personen ist auch eine bettlägerige Patientin, die von Rettungskräften aus ihrer Wohnung getragen und in einem Rettungswagen an der Schule versorgt wird.
In Gruppen verlassen die Menschen ihre Häuser, auf den Straßen werden die Autofahrer gestoppt und gebeten zu warten oder umzudrehen. "Es hat keinerlei Probleme gegeben. Alle haben sich alle sehr kooperativ verhalten", wird Bernhard Walter hinterher sagen.
Kurz nach 20 Uhr scheint dann die Zeit still zu stehen, genauso wie die Bahn auf der Strecke zwischen Haßfurt und Bamberg, die heute mal einen guten Grund hat, zu spät zu kommen. Selbst die Verkehrsflugzeuge, die sonst über Ebelsbach ihre weißen Kondensbahnen ziehen, müssen nun einen Bogen fliegen. "Die Explosion würde ihnen die Luft unter den Flügeln wegziehen," sagt Karl-Heinz Wolfram.
Das Gebiet im Umkreis von 300 Metern um die Bombe wirkt jetzt wie ausgestorben, selbst die Bänder im nahen Kugelfischerwerk stehen still, als das Sprengkommando nach stundenlangem Warten endlich die Spezialwerkzeuge auspackt und mit der Arbeit beginnt.
Sicherlich kein Traumjob
Seit 25 Jahren macht Karl-Heinz Wolfram den Job, den er als "interessant und abwechslungsreich" bezeichnet. "Aber ein Traumjob, ja mei, das ist sicherlich etwas anderes." Wie viel Sprengkörper der 58-jährige in seiner Karriere schon entschärft hat, weiß er nicht. Bestimmt Hunderte. "Routine darf deshalb aber nicht aufkommen, denn ein Risiko ist nie auszuschließen." Seine Frau weiß immer Bescheid, wenn er einen Einsatz hat, "aber eigentlich nur, damit sie sich keine Sorgen macht, wenn ich später heim komme". Und heimzukommen plant er auch heute, "schließlich habe ich genug in die Rentenkasse eingezahlt", grinst er, bevor er sich der Bombe nähert.
Gemeinsam mit Willibald Becher nimmt er sich zuerst dem Frontzünder an. "Während der Arbeit muss man sich auf die Aufgabe konzentrieren und ruhig bleiben. Hinterher darf der Nervenkitzel einem ruhig bewusst werden." Und während die Experten sich an der Bombe zu schaffen machen, suchen die Evakuierten im Schatten der Kirche ein ruhiges Plätzchen: Einige Nutzen die Zeit für ein Feierabendbierchen in den nahen Biergärten, andere setzen sich mit Kind und Haustieren im Gepäck in die Wiese am Festplatz und schlecken ein Eis. Von Angst ist nichts zu spüren. "Das sind doch Profis. Die können das", sagt ein Ebelsbacher in das Mikro eines Fernsehsenders.
Auch für die 20 Polizisten, 26 Rettungsdienstkräfte, darunter eine Notärztin und etwa 60 Feuerwehrleute heißt es nun warten. Eine gefühlte Ewigkeit und 20 Minuten später kommt über Funk Entwarnung. "Die Bombe ist entschärft. Sie können zurück in Ihre Häuser", teilen die Feuerwehrleute den Anwohnern mit, ehe sie sich selbst zur Baustelle aufmachen, um die Bombe noch einmal zu betrachten, die jetzt festgezurrt wie ein Schwerverbrecher im Transporter des Sprengkommandos liegt.
Vor dem Wagen hält Karl-Heinz Wolfram, verschwitzt aber freudig lächelnd, den Heckzünder ins Sonnenlicht: "Der ist damals losgegangen. Warum aber die Bombe nicht detoniert ist, wissen wir nicht". Ein Feuerwehrmann beugt sich über die nun scheinbar harmlose Zigarre. "Und wo ist der Sprengstoff?", fragt er und zieht lässig an einer Kippe. "Gehen Sie mal mit der Zigarette da weg", fährt ihn Karl-Heinz Wolfram höflich aber bestimmt an, "der ist noch im Gehäuse und funktioniert auch immer noch."
Nächster Einsatz in Fürth
Karl-Heinz Wolfram packt mit seinem Kollegen zügig zusammen. Denn während Ebelsbach gegen 2030 Uhr wieder sicher ist, hat das Sprengkommando schon ein neuer Einsatzbefehl erreicht. Als der weiße Kleinbus mit der Bombe im Gepäck von der Baustelle abfährt, heißt das Ziel Fürth.