Die Erinnerungen von Hugo Franz erlauben einen Blick in die Vergangenheit. 30 Jahre ist es nun her, dass der damals 80-Jährige von seiner Kindheit erzählte. Die Erzählungen des Mannes, der lange Bürgermeister von Gemeinfeld war, vermitteln ein Bild davon, wie das Weihnachtsfest auf einem Dorf vor 100 Jahren gefeiert wurde.
"Um 1920 gab es für mich als Ministranten vor Weihnachten viel zu tun. Da wurden die Kerzenleuchter, das Rauchfass, das Weihrauchschiffchen und die weiteren sakralen Gegenstände geputzt, gewienert und für die Feiertage auf Hochglanz gebracht." So erzählte es der damals zehnjährige Ministrant Hugo Franz im Dezember 1990. Der Kirche ist er auch später verbunden geblieben: Er übte selbst als 80-Jähriger noch das Amt des Mesners aus.
Beim treten an der Orgel wurde es warm
Während der Adventszeit wurde täglich ein Rorateamt, also ein Gottesdienst bei Kerzenschein gefeiert, da Gemeinfeld noch einen eigenen Pfarrer hatte, berichtet Franz. "Oh, wie war's da kalt, nicht nur draußen, auch in der Kirche. Die konnte noch nicht geheizt werden, aber elektrisches Licht hatten wir bereits damals in unserem Gotteshaus", berichtete er stolz.
Denjenigen, der an der Orgel als Treter zuständig war, hat es sicher nicht gefroren. Da diese nur gespielt werden konnte, wenn genügend Luft im Blasebalg war, wurden die Buben an den Werktagen zum Ministrieren und Orgeltreten verpflichtet. An Sonn- und Feiertagen, also auch an Weihnachten, war der Bräutigam der zuletzt geschlossenen Ehe fürs Treten zuständig, und zwar so lange, bis ein neues Brautpaar in der Gemeinfelder Kirche den Bund fürs Leben einging.
Die erste Krippe kam aus Bamberg
Die Einführung der ersten Kirchenkrippe erfolgte durch den damaligen Pfarrer Johann Grünewald. "Von einer Reise nach Bamberg brachte er ein Häusle und ein paar Figuren mit, die auf den Seitenaltar gestellt wurden", berichet Franz. Erst Mitte der 30er Jahre wurde diese schlichte Darstellung der Weihnachtsgeschichte durch den Bau einer bis ins Detail meisterhaft ausgeschmückten Krippe abgelöst. Der Malermeister Valentin Ott schuf sie zusammen mit seinen Söhnen.

Trotz vieler Sonderaufgaben als eifriger Ministrant blieb Hugo Franz genügend Zeit zum Schlittschuhlaufen oder Rodeln. "Einen Schlitten hatten wir Gott sei Dank. Hinten, wo es nach Gresselgrund geht, sind wir gefahren. Unten um die Kirche herum war ein See, der zwei Familien aus dem Dorf gehörte. Wenn es im Winter einmal taute und dadurch Hochwasser kam, haben die Leute aus dem danebenstehenden Brauhaus die großen Bierbottiche geholt. Wir Kinder haben uns hineingestellt und sind damit geschelcht."
Kurz vor dem Weihnachtsfest holte der Großvater einen Baum aus dem Wald. In der damaligen Zeit war es noch nicht überall üblich, ihn mit Kugeln zu schmücken. Nicht so jedoch in Gemeinfeld. "Wir waren schon früher näher am Osten als Hofheim. Von Lauscha sind die Glasbläser mit Körben auf dem Rücken gekommen und haben ihre mundgeblasenen Kugeln angeboten. Wenn die nicht gewesen wären, hätten wir auch keinen solch schönen Christbaumschmuck gehabt. Auch der Adventskranz kam erst ab 1925 bei uns im Dorf auf. Die kirchlichen Schwestern haben ihn eingeführt."
Christkind und Nikolaus
In den ersten Jahren verlief die Weihnachtszeit für den kleinen Hugo ziemlich ruhig und gleichmäßig. Als kleiner Junge glaubte er noch fest an das Christkind, das ihm in Gestalt eines Engels seinen Besuch abstattete. Die Mutter hatte ein Mädchen, das als Christkind verkleidet war, bestellt und mit seinem weißen Kleid und den goldenen Pappdeckelflügelchen machte es ungeheuren Eindruck auf den kleinen Buben. "Es kam schon einige Tage vor Heiligabend, hatte immer eine Krone auf, ein großes Buch dabei, ließ uns Kinder beten und – wie immer hatte es auch nichts mitgebracht! Es erschien lediglich, um die Kinder zum Gehorsam zu erziehen."
Auch der Nikolaus ging in Gemeinfeld von Haus zu Haus, hatte einen Bart aus Flachs und einen Ledermantel an, dessen weißes Futter nach außen gewendet war. Früher haben die Erwachsenen zum Nikolaus gesagt: ,Der ist brav, der ist böse gewesen.‘ Und da hat der Nikolaus, wenn es nötig war, auch mal ein paar hingeleucht."
Kein Geld für große Geschenke
Erst am Heiligen Abend läutete das Glöckchen zur Bescherung. "Wer keines hatte, borgte sich eine Schelle von der Kirche aus. Zu den Gaben zählten ein Pferdchen mit Holzrädern, ein Baukasten mit Holzklötzen und vor allem Kleidung. Meine Mutter nähte sogar die Hemden selbst." Mehr Geld für andere Dinge war nicht da, denn bereits 1910, als Hugo geboren wurde, fing die Familie mit dem Hausbau an, und so musste mancher Wunsch zurückgesteckt werden. Die Erwachsenen schenkten sich nur das Nötigste.
An Heiligabend gab es immer ein Linsengericht. Die traditionelle Wiederkehr dieses schlichten Gerichtes am Weihnachtsfest zeigt den Brauchtumscharakter des Essens auf. Volkskundler deuten das Hülsenfruchtessen als Rest eines alten Volksglaubens. Die quellenden Speisen galten als Symbol der Fruchtbarkeit und versprachen Wohlstand für das kommende Jahr.
Um Mitternacht ging es in die Kirche
"Nach der Bescherung gab es ein bisschen Punsch, Zimtsterne, Butterplätzchen, Nüsse und Marzipan. Die Nüsse bekamen wir von der Verwandtschaft aus Draisdorf, denn in Gemeinfeld gab es früher keine Nussbäume." Um Mitternacht musste Hugo Franz zusammen mit fünf anderen Buben bei der Christmette, die fast zwei Stunden dauerte, ministrieren. Alles wurde noch in Lateinisch gebetet.

Mit bedeutungsvoller Miene, die rechte Hand dabei erhoben, sprach Hugo Franz die zwölf heiligen Nächte an, die nach der Christmette begannen. "In dieser Zeit durften unter anderem keine Hülsenfrüchte mehr gegessen und auch keine Betten frisch überzogen werden. Das hätte Unglück bedeutet, wie etwa plötzlicher Viehtod im Stall."
Nach dem Glauben der Vorfahren waren dies die geheimnisvollen Nächte, in denen Geister ihr Unwesen trieben und die Angst der Ahnen schien durch die Jahrhunderte hindurch zu zittern. Besonders da, wo Menschen mit ihrer Arbeit, beispielsweise in der Landwirtschaft, den Naturgewalten ausgeliefert waren, blieb die Angst sehr groß. Und weiter erzählte Hugo Franz: "Zum Jahreswechsel wurde ein bisschen gefeiert. An Neujahr sind die Kinder oft schon um 6 oder 7 Uhr in der Frühe gekommen und haben für ein Fünferle ein Sprüchle aufgesagt."
Schwere Schicksalsschläge mit 13 und 14 Jahren
1923 wurde Hugo Franz von mehreren Schicksalsschlägen äußerst hart getroffen. Er verlor zwischen seinem 13. und 14. Lebensjahr in nur knapp zwei Jahren alle näheren Familienangehörigen und wurde damit Vollwaise. Ein Vormund sorgte sich nun um den Buben. Von da an fehlte jegliches familiäres Beschützt- und Geborgensein.
Besondere Trauer verspürte der Junge in der Weihnachtszeit, denn er vermisste Mutter, Vater und die Großeltern. Doch dieses Bild wandelte sich. Als Hugo Franz seine Weihnachtsgeschichte erzählte, war er 80 Jahre alt und verbrachte seinen Lebensabend bei seiner Tochter und deren Familie. Außergewöhnlich stolz war er auf seinen Enkel Joachim, der die alte Kirchenkrippe eifrig mit restauriert hat. Bezogen auf das Weihnachtsfest 1990 sah er voraus: "Es wird wieder viel los sein, denn die Enkel und Urenkel kommen zu Besuch und beleben das Haus." Und mit freudiger Erinnerung an eine liebgewordene Tradition verkündete er: "Natürlich gibt es auch wieder ein Linsengericht."
Hugo Franz war es nach dem Gespräch vergönnt, noch vier Weihnachtsfeste im Kreise seiner Tochter und deren Familie mitzufeiern. Er starb am 1. Juli 1995 in Gemeinfeld.