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ZEIL: Gräuel im Hexenturm

ZEIL

Gräuel im Hexenturm

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    Brenne, Hexe, brenne! Zwei Frauen werden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der kolorierte Holzschnitt ist undatiert, stammt aber vermutlich aus dem 16. Jahrhundert.
    Brenne, Hexe, brenne! Zwei Frauen werden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der kolorierte Holzschnitt ist undatiert, stammt aber vermutlich aus dem 16. Jahrhundert. Foto: Foto: Interfoto

    Zu Bethlehem geboren ist uns ein Kindelein – erst vor einigen Tagen wurde das bekannte Weihnachtslied in vielen Kirchen gesungen. Was nur wenige wissen: Den Liedtext hat um das Jahr 1630 der Jesuit Friedrich Spee gedichtet. Und was noch weniger wissen: Aus der Feder des Moraltheologen stammt die wegweisende „Cautio Criminalis“, die erste Denkschrift, die sich Anfang des 17. Jahrhunderts gegen die Hexenverfolgung und gegen die juristische Verwertbarkeit von unter der Folter gewonnenen Geständnissen ausspricht.

    Im neuen Dokumentationszentrum „Zeiler Hexenturm“ in Zeil am Main (Lkr. Haßberge) sollen das Zeitalter der Hexenverfolgung und die Qualen der Opfer für die Besucher fühlbar werden. Zwischen 1616 und 1631 wurden in Zeil, dem „Brennofen des Hochstifts Bamberg“, rund 400 Menschen wegen Hexerei hingerichtet.

    Hexenprozesse sind im öffentlichen Bewusstsein durchaus verankert. Doch gibt es reihenweise Vorurteile wie diese: Hexenprozesse sollen im Mittelalter stattgefunden haben. Hexenprozesse sollen von der katholischen Kirche durchgeführt worden sein. Oder es sollen nur (zumeist rothaarige) Frauen mit Kenntnissen in Kräuterkunde, Frauenheilkunde, Abtreibung und Empfängnisverhütung gewesen sein, die den Hetzjagden zum Opfer fielen. Alles falsch.

    Im Zeiler Dokumentationszentrum wird mit diesem Irrwitz aufgeräumt. Rund 6000 Besucher haben seit der Eröffnung im November 2011 das Zentrum besucht, sagt dessen Leiterin, die Kunsthistorikerin Birgit Geißler. Der Besucher kann gleich im ersten Raum des von Prof. Dr. Günter Dippold (Uni Bamberg) konzipierten Rundgangs nachlesen, dass die meisten Hexenprozesse in der Neuzeit stattfanden – vom Beginn bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Verfolgungen gab es sowohl in katholischen als auch in evangelischen Fürstentümern, in manchen katholischen Staaten fanden sogar vergleichsweise wenige Prozesse statt.

    Kirchliche Vertreter waren in die Prozesse überhaupt nicht involviert. Es handelte der Staat und nicht die Kirche, ausführende Organe waren weltliche Beamte – ein wichtiges, aber schwierig zu erkennendes Detail, weil die damaligen Fürstbischöfe in Personalunion sowohl weltlicher Fürst als auch kirchlicher Bischof waren. Zwar waren die Frauen unter den Opfern in der Überzahl, doch wurden auch Männer als Hexer oder Zauberer umgebracht. Etwa ein Drittel der Opfer war männlich. In manchen Regionen, etwa in Tirol, wurden sogar Buben und Mädchen in größerer Zahl der Hexerei angeklagt und hingerichtet. Das Verbrennen bei lebendigem Leib geschah indes selten. Zumeist wurden die Delinquenten enthauptet oder stranguliert und ihre Leichen dann verbrannt.

    Es ist klug, jedes historische Ereignis – wie die Verfolgung von unschuldigen Menschen als angebliche Hexen – erst einmal unter dem Blickwinkel der damaligen Zeit zu sehen. Wurde mit den Hexenprozessen geltendes Recht verletzt? Die Meinung der frühneuzeitlichen Rechtswissenschaft war geteilt. In den Augen mancher Juristen rechtfertigte die ungeheuerliche Schwere des Verbrechens, strafprozessrechtliche Vorschriften außer Kraft zu setzen. Andere Rechtswissenschaftler mahnten zur Einhaltung der Prinzipien. Während die Folter selbst als Bestandteil des Verhörs und der Wahrheitsfindung unumstritten war, ging es in der Debatte hauptsächlich um die Frage, ob für die Folterung von „Hexen“ – wie sonst üblich – stichhaltige Indizien vorliegen mussten, oder ob eine bloße Denunziation oder gar eine unter der Folter gemachte Beschuldigung eines anderen Opfers ausreichten.

    In den Würzburger und Bamberger Territorien reichte zunächst tatsächlich eine bloße Denunziation aus. Und im Gegensatz zur üblichen Strafprozessordnung, wo der Verdächtige als unschuldig in die Freiheit entlassen werden musste, wenn er die Folter ohne Geständnis überstanden hatte, blieben bei den Hexenprozessen die Menschen mitunter in Haft, die Folter wurde mehrmals wiederholt – bis das gewünschte Geständnis des bedauernswerten Opfers vorlag. Entscheidend war jeweils die persönliche Einschätzung des zuständigen Hexenkommissars. In Zeil beim berüchtigten Hexenkommissar Georg Vasold blieben einige Beschuldigte gar über mehrere Jahre in Haft, obwohl sie trotz schwerster Folter ihre Unschuld beteuert hatten.

    Will man das furchtbare Geschehen zumindest ansatzweise verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass damals der Glaube an Dämonen, Hexen und den Teufelspakt sowohl in der ungebildeten Bevölkerung als auch in der Führungselite fester Bestandteil der Weltanschauung war. Grundlage der Hexenverfolgung war die Bibelstelle im Alten Testament in Exodus 22,18: „Die Zauberer aber sollst du nicht leben lassen!“ Auch Reformator Martin Luther glaubte an die Möglichkeit eines Paktes mit dem Teufel und dem daraus resultierenden Schadenszauber. Zauberei war nach Luther ein Verbrechen gegen die göttliche Majestät, für das der Tod auf dem Scheiterhaufen die passende Strafe war. Der Würzburger Fürstbischof Julius Echter, ausgebildet an renommierten Elite-Universitäten, glaubte sich ständig von bösen Geistern und Dämonen umgeben. Wenn schon die Führungsschicht von der Existenz von Hexen überzeugt war, um wie viel mehr muss dieser Irrglaube im breiten Volk verbreitet gewesen sein. In einer Zeit, in der moderne Wissenschaft noch nicht stattfand, suchte der einfache Mann nach Erklärungen für den plötzlichen Kindstod oder für den Ausbruch einer Seuche, die Hunderte Mitbürger dahinraffte. Keiner erkannte, dass die Gründe für solche Katastrophen beispielsweise in mangelnder Hygiene, im verkeimten Trinkwasser aus den Brunnen neben dem Misthaufen oder in einer Rattenplage zu suchen waren. Die Urheber des Übels waren schnell gefunden: die Hexen.

    Besonders dramatisch für die Bevölkerung waren lokale Missernten. Ab 1560 setzte in Mitteleuropa eine Klimaverschlechterung ein. Meteorologie beschränkte sich auf überlieferte Beobachtungen, gemeinhin Bauernregeln genannt. War die Saat im Frühjahr auf den Feldern ausgebracht und drohte ein verspäteter Nachtfrost, so wurden die ganze Nacht über im Schichtbetrieb die Glocken der Kirchen per Hand geläutet. Denn Unwetter waren das Werk von Hexen. Und der Klang der gesegneten Glocken konnte, so der irrationale Volksglaube, die Hexen vertreiben und die Saat retten. In Gerolzhofen etwa, wo schon ab der Gotik der Weinbau eine sehr wichtige Rolle spielte, wurde noch 1765 bei drohendem Spätfrost die ganze Nacht hindurch geläutet – mit einer entsprechend hohen Besoldung des Mesners. Und noch im Jahr 1807 läutete der Küster beim Herannahen eines Gewitters beständig das Ave-Glöcklein. Doch dieses nächtliche Glockengeläut brachte oft genug nicht den erhofften Erfolg. Im Mai 1626 mussten die Menschen in Franken eine bitterkalte Nacht durchleiden, die in den Weinbergen und auf den Feldern verheerenden Schaden anrichtete. Die Grundlage für eine neue Welle der Hexenverfolgung zwischen Würzburg und Bamberg war gelegt. Viele Unschuldige wurden in den Kerker geworfen und gemartert.

    Im „Zeiler Hexenturm“ will man Besuchern die Möglichkeit geben, die aufwühlende Hoffnungslosigkeit dieser Opfer nachzuspüren. Zum einen durch die räumliche Inszenierung. Schräge Rampen auf dem Fußboden, verschobene und schiefe Wände und Türen suggerieren: Hier ist die Welt aus den Fugen geraten. Zum anderen durch das Einspielen weiblicher Schreie und beklemmender Geräusche, gepaart mit düsteren Lichtprojektionen in den abgedunkelten Räumen. Billige Geisterbahn oder emotionale Denkanstöße? „Es gab schon Besucher, die haben diese audiovisuellen Eindrücke nicht ausgehalten“, erzählt Birgit Geißler. Es seien zumeist ältere Leute gewesen, die die Gräuel des Zweiten Weltkriegs noch erlebt hatten. Am Ende des Rundgangs werden die in Zeil gemarterten Opfer genannt. Eine kleine schwarze Tür mit der Aufschrift „Mögliches Opfer“ verabschiedet Besucher in die Nachdenklichkeit: Klappt man das Türchen auf und schaut hinein, erkennt man sein eigenes Spiegelbild.

    „Zeiler Hexenturm“

    Am 20. November 2011 eröffnete die Stadt Zeil a. M. das Dokumentationszentrum „Zeiler Hexenturm“. Die direkt an den oberen Stadtturm angrenzende ehemalige Fronveste wurde saniert. Dort ist im Erdgeschoss ein Aktivraum für Lesungen, Konzerte und die pädagogische Arbeit mit Schulklassen untergebracht. Im ersten Stock befindet sich in mehreren kleinen Räumen die Dauerausstellung mit zahlreichen Texten auf Stelen und einer sich anschließenden räumlichen Inszenierung mit audiovisuellen Effekten. Am Ende des Rundgangs kann der ehemalige Gefängnisturm besichtigt werden mit dem „Angstloch“, dem Zugang zu einem neun Meter tiefen, fensterlosen Kerker. Kontakt: Tel. (0 95 24) 94 98 61; E-Mail an hexenturm@zeil-am-main.de; Internet: www.zeiler-hexenturm.de

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