Er hat eine extra Kerbe im Amboss. In die Scharte, auf die er gerade gezeigt hat, schiebt der Hüne mit dem weißen Bart einen Holzscheit. In der Hand wirkt der Scheit wie ein Span. Ein Hammer, der zu klein für eine Hand wie die ist, spaltet große Späne. Vorsichtig, fast zärtlich. Sie splittern und wirbeln durch die Werkstatt. Noch einen Scheit. Der 59-Jährige bricht ein Stück Ofenanzünder ab. Bückt sich nach Kleinholz, schichtet ein kleines Häufchen im Maul des alten Monstrums, das ein ganzes Werkstatt-Eck beherrscht. Girlanden von Zangen und Hämmern winden sich in Kopfhöhe um den Abzug. Ratsch! Ein Stich von Schwefel in der Nase – eine kleine Streichholzflamme fliegt in den breiten Rachen. Binnen Augenblicken glost ein zitternder Fleck Orange im Schwarz. Eine Flamme flackert. Und beginnt zu fressen. Es knistert.
Eigentlich, brummt er, macht man Stahl sowieso am besten in der kalten Jahreszeit. Es ist nämlich so: Es werde hier bald so heiß werden, dass man davonlaufen möchte. Eine halbe Stunde vergeht. Dann steigt Schmalz seufzend in eine schwere, steife Lederschürze. Ein Harnisch gegen Funken und Splitter, die als Pfeile aus dem Rachen des glühenden Kolosses und aus dem gedroschenen Stahl auf ihn schießen werden. Unter der Schürze – er lupft ihren von jahrzehntelangem Schweiß erstarrten Saum in Höhe der Brust mit der Handschuhpranke – wird es noch heißer, als es sowieso werden wird: Das Leder wird Teile der Gluthitze vor seiner breiten Brust einsperren. Eine Staumauer. Die Luft zwischen Schürze und Brust wird als zweite, siedende Haut auf Schmalz' Rumpf aufschmelzen. Und er wird dabei hämmern, wie irgendein Mensch nur hämmern kann. Und am am Ende wird er durchgeschwitzt sein, wie irgendein Mensch durchgeschwitzt sein kann.
Der Hüne zieht einen Griff, und der Motor im Ofen fängt scheppernd an zu blasen, gerät in ein holperndes Singen, zuletzt in ein klirrendes Sirren. Ab jetzt wird gebrüllt, wenn Laien in der Werkstatt sind. Wenn Schmiede nur unter sich sind, brüllt niemand. Mit den Jahrtausenden ihres Handwerks haben sie sich auf eine Sprache geeinigt, der Lärm nichts anhaben kann.
Schmalz schlägt zwei drei klingelnde Schläge auf den Amboss. Mit dem letzten greift sich Timo, der Lehrling, der eben noch mit dem Rücken zu seinem Meister im gegenüberliegenden Eck arbeitete, einen riesigen Hammer. Legt ihn lässig über die Schulter und tritt zum Amboss. Aber es gibt nichts zu hämmern – noch nicht. Schmalz wollte nur mal zeigen, wie das geht unter Schmieden.
Den Rhythmus, den er gerade geklopft hat, nenne man Einladung. „Das bedeutet: Du wirst am Amboss gebraucht“, erklärt der Meister. Dann lässt er den schweren Hammer auf und dann neben den Amboss sausen. „Das bedeutet: Schluss! Luft braucht ein Schmied zum Atmen, nicht zum Reden.“ Das Eisen muss geschmiedet werden, solange es heiß ist. Worte kosten zu viel Zeit.
2002 hat er in Solingen das Messer des Jahres gemacht, bei zahllosen Festivals und Wettbewerben in Europa haben sie seinen Stahl mit der feinen Maserung bewundert. Es sieht gut aus, was er macht. Und Profis – Jäger und Köche, die auf ihr eigenes Handwerk halten und sich die Meisterstücke dieses Schmiedes leisten wollen – kommen in Knetzgau vorbei. Ein Damaszener Taschenmesser kostet zwei, drei Tage Arbeit und ab 350 Euro aufwärts. Teurer wird es, wenn die Griffschalen aus teurem Material sind: Achat, Lapislazuli, ja sogar aus versteinertem Holz hat er schon welche gemacht. „Ein Zubrot“, sagt er, „mehr nicht.“
Vor 25 Jahren hat der Schlossermeister zum ersten Mal Damaszener-Stahl in der Hand gehabt. Das hat ihn fasziniert, sagt er: Die Farbe, die Maserung, die Eigenschaften. Das wollte er auch machen können. Er hat probiert und probiert. Sogar an der Uni war er, um eine Spektralanalyse von dem Stahl zu kriegen. Mit Stahl sei es wie mit Kochen – „wemmer keine guten Sachen reintut, kommt auch nix Gutes bei raus.“
Ohne Kohlenstoff wird Eisen gar nicht hart. Und er braucht Spuren von Mangan und Silizium und Phosphor und anderem, damit der Stahl geschmeidig bleibt. Schmalz benutzt eine ganz besondere Kohle zum Feuern. Der Stahl da drin – er deutet in die Glut – nimmt alles auf. Man muss ihn für die richtige Zeit auf die richtige Temperatur bringen. Dann schmilzt er mehrere Lagen Stahl ineinander und schmiedet sie zu einer Einheit. Danach wird der Ballen längs oder quer getrennt und nochmal verschmiedet. Das nennt man falten.
Wenn Schmalz oft genug gefaltet hat, kommen Hunderte Schichten heraus. Irgendwann kann der Stahl in Form gebracht und zum Messer geschliffen werden. Die berühmten, feinen Streifen sind dann erst zu sehen. Das sieht nicht nur gut aus. Das Messer bleibt geschmeidig und bricht nicht. Und ist trotzdem so hart, dass es seine Schnittfestigkeit lange behält. Wenn es jemals bei der Messer-Arbeit abbricht, gibt's kostenlos ein Neues. Und wer ein Schmalz-Messer hat, hat lebenslang Schleifen umsonst. Er brummt fröhlich. Lebenslang – das heiße natürlich nur, solange er lebt.
Er ist ein Meister, der sein Wissen nicht für sich behält. „Die Jüngeren sollen doch nicht bei Null anfangen müssen, wenn wir mal nicht mehr sind. Außerdem freut's mich, wenn ich einen Lehrling hab', der eines Tages besser ist als ich. Und wenn der bei irgendeinem Trick, den die anderen noch nicht kennen, sagt: 'Das hat mir der Fred gezeigt', bin ich stolz.“
Wandergesellen kriegen bei ihm immer was zu tun. Seine Frau wäscht die Wäsche, und Schmalz zeigt, was er weiß. Oft lernt auch er noch etwas Neues. Jeder, sagt er, weiß etwas anderes. Und wenn alle zusammenlegen, wird der Stahl am Ende immer noch besser.
In den Wintern gibt der Schmied auch Laien Schmiedekurse. Banker kommen, wohl auch Ärzte. Nie mehr als zwei auf einmal. Das ist so, „wie wenn man jemanden an der Hand nimmt und über die Straße führt.“ Nimm weniger Wind, dann wird's heißer! Lass den Stahl länger im Feuer! – mit Schmalz schmiedet man sich in zwei Tagen Damaszenerstahl für drei eigene Messer. Der Wert übersteigt die Kursgebühr bei weitem.
Meister Schmalz schippt fünf, sechs, zwölf Schaufeln Kohle in den Ofen. Und dann noch mehr. Sein Gesicht leuchtet rot, als er den Stahl in die lodernde Hölle vor sich schiebt. Als hätte er eine 60-Watt-Birne im Kopf angeknipst. Er grinst. Verbrannt werden will er mal nicht, wenn er tot ist, ruft er gegen den Lärm. Er weiß, wie heiß Verbrennen ist. Konzentriert blickt er auf den hellgelben Stahl in der lodernden Glut. Fetzen von Feuer wehen wie aus einem Jet-Triebwerk. Der ganze Mann tropft. Rinnt. Und endlich meint man den Schweiß wie einen Sturzbach rieseln zu hören.
Schmalz zieht mit der Zange den glühenden Stahl aus dem Rachen. Hebt ihn hinüber zu einem mechanischen Hammer. Funken sprühend trommelt die Maschine einen gnadenlosen Rhythmus auf das Metall, walkt Inneres nach außen, prügelt Äußeres nach innen. Und schiebt alles wieder ins Feuer.
Schmieden ist nicht nur drauf hauen. Schmalz zeigt eine Rose aus Eisen, die auf einem Werkzeugtisch liegt. Gefühl braucht man. Und Sinn. Wenn er über einen Friedhof läuft und ein irgendwie zusammengeschweißten Grabkreuz sieht, schüttelt es ihn. Bei anderem bleibt er lange stehen. Wie hat der das nur gemacht, dieser Oegg? 99-mal war er schon vor den schmiedeeisernen Toren der Residenz Würzburg gestanden, die knapp 70 Kilometer entfernt ist. Er wird auch noch ein hundertstes Mal davor stehen und bewundern, wie dieser Oegg (Johann Georg Oegg, 1703-1782, Kunstschmied des Barock) das hingekriegt hat.
Er schiebt den Stahl im Ofen ein bisschen tiefer. Es kommt ein enormes kariertes Taschentuch aus der Latzhose zum Vorschein. Schmalz reibt es sich über den roten Kopf. Es brennt, wenn der Schweiß ins Auge läuft. Das andere sei ein Glasauge, da ist ihm mal ein Hinterlader explodiert. Na ja, jeder Schmied habe seine Behinderung, Hephaistos, der griechische Gott des Feuers und der Schmiedekunst, habe ja gehinkt. Nochmal reibt er sich das Taschentuch über den Schädel. Nur Verrückte würden im Sommer schmieden.