Die coronabedingten Besuchsbeschränkungen in Seniorenheimen haben massive Auswirkungen auf die Bewohner. Darauf weist Dr. Susanne Daiber, Chefärztin der geriatrischen Rehabilitation am Klinikum Bamberg, im Gespräch mit dieser Redaktion hin. Die Altersmedizinerin beantwortet die Fragen in Kenntnis der Patienten, die aus dem Pflegeheim zu ihr in die Rehabilitation kommen, die in der mobilen geriatrischen Rehabilitation von ihren Mitarbeitern auch im Pflegeheim besucht werden und die Tagesklinikpatienten, die zwar meist zuhause wohnen, aber auch da deutlich weniger Kontakte haben. Zudem hat Dr. Daiber auch Informationen durch ihre Mitarbeit in der Alzheimergesellschaft Bamberg.
Frage: Welche physischen und psychischen Auswirkungen können die nur eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten von Angehörigen auf alte Menschen haben?
Dr. Susanne Daiber: Für Bewohner in Altenheimen und Pflegeheimen sind Besuche ihrer Angehörigen und auch von Bekannten und Freunden die wichtigste Verbindung zu ihrem Leben, das sie vor Einzug in diese Einrichtungen geführt haben. Sie sind sozusagen die Brücke in die Gesellschaft und enorm wichtig. Durch die Coronapandemie wurde ja die Zahl der Besucher auf wenige begrenzt und auch die Zahl der Besucher. Aktuell besteht durch die Testpflicht schon eine ziemliche organisatorische Hürde, die spontane Besuche verhindert. Auch Ehrenamtliche können aktuell in den Heimen kaum unterstützen, wie zum Beispiel auch die Helfer der Alzheimergesellschaften.
Was bedeutet das für die alten Menschen?
Daiber: Durch weniger Besuche haben die Bewohner weniger geistige Anregung, weniger positive Erlebnisse und auch weniger Bewegung, da die Besucher sie ja oft beim Spazierengehen begleiten oder im Rollstuhl herumfahren. Mit weniger geistiger und emotionaler Anregung wird die Gedächtnisfunktion schlechter, die Stimmung sinkt, die Patienten bewegen sich weniger. All das führt tatsächlich zu einer Verschlechterung von Demenzen, von Depressionen und von Gehstörungen. Und bei schlechterer Stimmung verschlechtert sich oft auch der Appetit, es kommt zu Mangelernährung und damit zum Muskelabbau.
Sind Menschen, die an einer Demenz leiden, besonders durch die Kontaktbeschränkungen beeinträchtigt?
Daiber: Ja, auf jeden Fall. Menschen mit Demenz können nicht einfach fehlende persönliche Kontakte durch Telefonate oder Videotelefonie oder Messengerdienste ersetzen, wie es nicht demente Personen ja tun. Zudem brauchen Menschen mit Demenz oft auch neben Gesprächen auch körperliche Zuwendung wie Hand halten, umarmen, streicheln, Essen anreichen, Trinken geben. Das fällt ja auch weg. Und wenn dann Besuch da ist, kann durch die Maskenpflicht die Mimik des Besuchers nicht gesehen werden. Einfach mal ein kurzes Lächeln, das kommt beim Gegenüber nicht an. Und dann noch für die Schwerhörigen das Problem, dass sie sich nicht mit Hilfe der Mundbewegungen viele Inhalte erschließen können.
Angehörige beklagen, dass ihre Mutter/ihr Vater in den letzten Monaten „abgebaut“ hat, weil sie nicht mehr Besuch erhalten konnten. Kann das so zutreffen? Oder liegt in der Regel eher ein natürlicher Altersprozess zugrunde?
Daiber: Der natürliche Altersprozess lässt sich ja durch Aktivität und Training etwas verzögern. Das meinen die Altersmediziner mit „use it or loose it". Mit weniger Anregungen durch Besuche fällt wirklich viel weg. Die Beobachtung, dass die Heimbewohner „abbauen" seit den Besuchsbeschränkungen, die berichten auch die Pflegenden. Das ist wirklich real. Nun sind schon viele Heimbewohner geimpft, und damit sind dann auch sicher bald wieder mehr Freiheiten möglich.