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SCHWEINFURT/NASSACH/TOROK: Jenseits vor Afrika

SCHWEINFURT/NASSACH/TOROK

Jenseits vor Afrika

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    Ewald Dressel hat seine Erlebnisse im Tschad in einem Buch verarbeitet.
    Ewald Dressel hat seine Erlebnisse im Tschad in einem Buch verarbeitet. Foto: Foto: Eichler

    Die Geister der Toten sind überall. Sie sitzen auf dem „Baum der Ahnen“, neben der Küchenhütte des Entwicklungshelfers aus Deutschland. Wird der mächtige Stamm entwurzelt, zürnen sie. Sie können in Staubteufeln erscheinen und die Lebenden erschrecken. Einmal kehrt ein alter Mann zurück, zwei Wochen nach seinem Tod: auf dem Foto einer Diaschau – was eine Massenflucht unter den afrikanischen Zuschauern auslöst.

    „Es gibt viele Welten auf dieser Welt“, weiß Heinz-Dieter Mahouli alias Heiko Dressel, der seine Kindheit in Kinsasha, in der gigantischen Republik Kongo, verbracht hat. Eine Erfahrung, die er mit kaum einem Unterfranken Mitte Dreißig teilt. Vater Ewald Dressel hat das Treffen ehemaliger Tschader Entwicklungshelfer organisiert. Im Hotel Panorama blickt man auf die illuminierte Altstadt und in „andere Welten“ jenseits des Tellerrands.

    Peter Scholl-Latour würde sich beim „Tschader Schnatter“ mit rund 40 Gästen wohlfühlen. Ein Agrarexperte ist gerade aus aus dem syrischen Aleppo zurückgekehrt: Einstige Kreuzfahrer-Hochburg, wo manche Kinder noch immer rote oder blonde Haare haben und Banden jeder Coleur den Fuhrpark gestohlen haben. Eine Diktatur – aber die Christen und gemäßigten Muslime der Region hätten Angst vor dem Umsturz, erzählt der „Farm Manager“.

    Dressel selbst war 25 Jahre auf dem „schwarzen Kontinent“ unterwegs. Für den „Deutschen Entwicklungsdienst“ DED, von 1971 bis '74 im Tschad: „Eines der 30 ärmsten Länder der Welt.“ Jetzt wurde Öl gefunden, aber das Geld fließe in die falschen Hände, klagen die Helfer.

    „Vom Jenseits zurück ins Leben. Mein Tod. Bestimmung Afrika“, nennt sich das eigenwillige, bebilderte Buch, das der gebürtige Nassacher an diesem Tag vorstellt: halb Autobiographie, halb Roman. Ende Juli soll es im Handel erhältlich sein. 1937 wurde Dressel in Nassach, in den Haßbergen, geboren, hinein in eine Atmosphäre aus Krieg, Gewalt, Diktatur und der Geborgenheit einer ländlichen Notgemeinschaft – etwas, das ihm später in Afrika oft wiederbegegnen sollte. Der älteste Bruder, Helmut, verbrennt 1941 als Panzerfahrer, in den ersten Tagen des Überfalls auf die Sowjetunion. Ewald, der Jüngste, stirbt fast 1954: Eine schwere Nierenbecken-Entzündung beschert dem Schüler ein prägendes Nahtoderlebnis. Wie durch ein Wunder kehrt der Totgeglaubte ins Leben zurück. Der Techniker und Fußballfan arbeitet für SKF, tragisch verläuft die Liebe zu einer Thüringerin: Die Stasi will ihn anwerben, doch dann sorgt der Mauerbau für die endgültige Trennung.

    1971 folgt die „Bestimmung Afrika“. Zusammen mit Ehefrau Ruth geht es in den Süden des Wüstenstaats Tschad, zu den Rundhütten der Moundang nahe der Provinzstadt Torok: Eine archaische Hirsebauer-Kultur, für die der Wechsel von Leben und Tod eine zentrale Bedeutung hat. Dressel erwirbt sich den Ruf, ein „Pa Kendanne“, ein „Wahrsager“ zu sein, als er den ersten Brunnen graben lässt und wider Erwarten Wasser sprudelt.

    In Afrika wäre es verrückt und irrational, sich nicht mit Übersinnlichem zu arrangieren. Malaria-Mücken, Flugzeuge, die mit dem Vorschlaghammer repariert werden, Fischfang im See, mittels Altöl.

    Korruption, Straßenräuber, drakonische Strafen zwischen Folter und Pranger, Hexerei, eine Riesenpython neben dem Schlafplatz, der gemeinsame Freitod eines tragischen Liebespaars: Dressel beschreibt das unheimliche, mystische Afrika ebenso wie die Urgewalten der Natur, etwa die apokalyptische Sintflut am Ende der Trockenzeit. Aber auch die einfache Herzlichkeit und liebenswerte Begeisterungsfähigkeit der Menschen, die, einmal von einer Sache überzeugt, gemeinsam Hand anlegen – ohne Stress und Hektik: „Die Europäer haben die Uhr, wir haben die Zeit.“

    Im nächsten Augenblick drohen wieder Tod und Gewalt, so auf einer Urlaubsfahrt mit Ehefrau durch Westafrika: In Nigerias Nachkriegsprovinz Biafra stehen plötzlich Bewaffnete vor dem Auto – und lassen sich am Ende mit einem Schluck aus der Wasserflasche besänftigen.

    Das jähe Ende der Tschadmission kommt 1974. Der Neffe des Bundespräsidenten Gustav Heinemann wird von Rebellen verschleppt, die „Deutsche Welle“ muss ein regierungsfeindliches Kommunique verlesen, bei der Befreiung stirbt die Frau des Arztes. In Folge werden die übrigen deutschen Entwicklungshelfer ausgewiesen. Heute kümmert sich im Tschad die GIZ, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, um ländliche Entwicklung. Ebenso um den Erhalt des riesigen, flachen Tschadsees als Wasserspeicher.

    Beim Treffen ist auch einer von Dressels Nachfolgern dabei, Vitus Simon aus Ramsthal. Viel „Aha“ und Anekdoten bei der Diaschau, gezeigt werden die zahmen Affen der Dressels, bunte Märkte und pittoreske Landschaften. Man ahnt: Auf europäische Art lässt sich auf dem zerrissenen Kontinent wenig regeln. „C'est l'Afrique“ heißt im Buch das Zauberwort – „so ist eben Afrika“.

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