Es sollten Tage werden, als Auftakt in einen neuen, wunderbaren Lebensabschnitt. Junggesellenabschied zusammen mit den besten Freunden in Hamburg. Am Ende dieser Tage reichte der Bruchteil einer Sekunde, um Sebastian Dünningers Leben vollständig zu ändern. Nach einem Kopfsprung in viel zu flaches Wasser, ist der 27-jährige Goßmannsdorfer querschnittsgelähmt.
„Ich muss einfach optimistisch sein“
Nein, Frust und Resignation ist wirklich nicht sein Ding. Und danach schaut es in seiner Wohnung auch nicht aus. Sebastian Dünninger sitzt am Tisch, das Smartphone in der Hand, an der Wand hinter ihm hängt eine Collage mit Fotos von Feiern und Freunden, gleich mehrere Sportgeräte stehen in einer anderen Ecke des Zimmers. „Ich muss einfach optimistisch sein“, sagt er lächelnd und ernst zugleich, „weil es nichts nützt, zu resignieren“.
Ohne Bitterkeit, beinahe sachlich blickt er auf die Tage zurück, die vor fast genau zwei Jahren sein Leben so einschneidend veränderten. Ende Juni 2015 war es, als er zusammen mit neun Freunden nach Hamburg gereist war, um Junggesellenabschied zu feiern. Von Freitag an drei Tage lang. Zum Abschluss besuchten sie am Sonntagmorgen noch mal den Hamburger Fischmarkt. „Eine riesige Gaudi, Bands spielten“, er und seine Freunde hatten richtig Spaß. Es war ein schöner Tag, schon am Morgen war es richtig angenehm warm, erinnert sich Dünninger noch genau.
An der Elbe angekommen, kam ihm urplötzlich die Idee:
„Ich kühl' mich nochmal ab“
„Ich kühl' mich nochmal ab.“ Ein Teil der Kumpels bekam dies schon nicht mehr mit, sie waren in Richtung der Autos unterwegs. Dunkel wirkte das Wasser des Flusses von der Kaimauer aus. Etwa vier Meter dürften es bis zur Wasseroberfläche gewesen sein. Einer der Freunde wollte ihn noch vom Bad im Fluss abhalten, doch „da war ich zu sehr Sturkopf“, sagt Dünninger.
Dünninger springt in die Elbe, deren dunkle Farbe Tiefe nur vortäuscht. Die rührt von Schlick und Schlamm. Die Wassertiefe war tatsächlich wohl nicht einmal ein Meter. „Es war gerade Ebbe. Für mich war es einfach nicht geläufig, dass sie dann nur so wenig Wasser hat“, sagt Dünninger.
„Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass es immer wieder vorwärtsgeht.“
Sebastian Dünninger (27) ist seit zwei Jahren querschnittsgelähmt
Dann sind es nur noch wenige Augenblicke Erinnerung, die er an diesen Tag hat, auch wenn es ihm lange vorkommt. Er merkte, dass er auf dem Bauch im Wasser lag, „das Licht wurde langsam weniger“, erinnert er sich noch genau. Er spürte, wie Wasser in seine Lunge drang, sich dagegen wehren konnte er sich allerdings nicht. „Ich dachte in diesem Moment einfach, dass ich einen Kälteschock habe.“
Aus dem Wasser gezogen wurde er kurz darauf von einem Passanten, der unterhalb der Kaimauer den Sprung mitbekommen hatte und weitaus näher dran war, als sein Kumpel. „Ich hab mich noch bei dem Mann bedankt“, berichtet Dünninger, doch wenige Sekunden später „fielen meine Augen zu“.
Stundenlange Operationen
Was anschließend kam, erfuhr er erst Tage danach. Zweimal musste er auf der Fahrt ins Krankenhaus reanimiert werden, die Lunge war kollabiert, wegen des Wassers, das er verschluckt hatte, aber wohl auch, weil sie durch gebrochene Rippen verletzt worden war. Eine lange Notoperation folgte und eine weitere, stundenlange Operation. Zwei Tage lag er im künstlichen Koma, angeschlossen an die Beatmungsmaschine.
Als er wieder aufwacht, ist er nicht wirklich wach. Er steht unter starken Schmerzmitteln, schlimme, albtraumhafte Tage für ihn, denn „du kannst gar nicht richtig unterscheiden, ob das alles ein Traum ist, oder Wirklichkeit.“ Aber die Wirklichkeit holt ihn dann nach wenigen Tagen ein: „Ich konnte es erst einmal gar nicht glauben, was mir die Ärzte und Schwestern erzählen: dass die Halswirbel drei bis sechs gebrochen sind.“
Knochensplitter zerstören Rückenmark
Vor allem aber hatte die Verletzung des fünften Halswirbels die schlimmsten Folgen. Durch dessen Knochensplitter wurde das Rückenmark verletzt. Und dies bedeutet Querschnittslähmung. Seine Hoffnung in dieser Zeit: dass sich der Körper in den nächsten Wochen „vielleicht doch noch Funktionen zurück holt“.
Immer wieder wird im Gespräch mit dem 27-Jährigen deutlich, wie wichtig ihm sein Optimismus ist. Aber besonders dann, wenn er von seinen Einschränkungen erzählt. Ab dem fünften Halswirbel abwärts ist er gelähmt, seine Hände und Finger kann er nicht bewegen, allerdings weitgehend seine Arme. Dünninger: „Es hätte ja noch viel schlimmer kommen können. Wenn das Rückenmark weiter oben zerstört worden wäre.“ Und er hat viele Menschen mit ähnlichen und schlimmeren Krankheitsbildern im Krankenhaus und anschließend in der speziellen Rehaklinik in Bayreuth kennengelernt.
Viele besuchen ihn in den Kliniken
„Ich habe mein Schicksal eigentlich sehr schnell angenommen“, blickt er zurück und auch da ist wieder kein bisschen Bitterkeit zu spüren. Dünninger: „Es war mein Entschluss. Mein Sprung. Meine Folgen.“ Diese Folgen zu tragen, dabei haben ihm seine Verlobte und die ganze Familie geholfen, die ihn in Hamburg und dann auch in der Spezialklinik in Bayreuth ständig besuchten und natürlich auch seine Freunde.
„In Bayreuth haben die es so organisiert, dass fast jeden Tag jemand zu Besuch kam.“ Und es war eine lange Zeit, die er in Bayreuth verbrachte: Erst im vergangenen März wurde er entlassen. Die Unterstützung, die er da von allen erfahren hatte, war für ihn zugleich auch immer wieder „Motivation weiterzumachen“. Viele Freundschaften sind nicht nur nicht abgerissen, sondern sogar noch intensiver geworden, so Dünninger.
Er lacht, wenn er auf das Thema Motivation zu sprechen kommt und an die Zeit in Bayreuth denkt: „Einen so vollen Therapieplan wie ich, hatte dort, glaub ich, sonst niemand.“ Er wollte einfach so fit wie möglich aus der Klinik kommen, „so wenig auf Hilfe angewiesen sein, wie nötig“.
Barrierefreie Wohnung
Von der Klinik aus ging es dann in ein neues Zuhause, nach Hofheim, in eine barrierefreie Wohnung. Im vergangenen August wurde dann auch die Hochzeit nachgeholt. Sebastian Dünninger hat den Nachnamen seiner Frau angenommen, hieß zuvor Frank mit Nachnamen.
Aufgewachsen ist er allerdings in Goßmannsdorf. Weil viele dachten, wenn er seinen Namen nannte, dass dies ein Vorname sei, fiel es ihm nicht schwer, den Namen zu ändern, schmunzelt er. Erneut hatte sich der Lebensplan des 27-Jährigen vor wenigen Monaten verändert. Er und seine Frau haben sich getrennt, berichtet Dünninger.
Wenn Sebastian Dünninger auf die vergangenen zwei Jahre zurückblickt, dann hat er vor allem eines verinnerlicht: „Ich habe gelernt, mich über die kleinen Erfolge, über jede erreichte Etappe zu freuen. Es ist wichtig, immer zu sehen, was man schon geschafft hat. Und es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass es immer wieder vorwärtsgeht.“
Vieles hat er neu erlernen müssen, oder Erlerntes sich so einzurichten, es wieder nutzen zu können. Er hatte sich schon immer für Informatik begeistert, entsprechend auch die Ausbildung so gewählt, lernte Fachinformatiker bei FTE in Ebern und war dort auch beschäftigt, bis wegen seiner Rente wegen voller Erwerbsminderung der Arbeitsvertrag aufgelöst wurde. Weitergebildet hat er sich zudem als Fremdsprachen-Kaufmann.
Er hat sich beigebracht, wieder mit Computer umgehen zu können. Er ist zum „Linkshänder“ geworden, weil er mit seiner linken Hand weniger eingeschränkt ist. Er nutzt eine spezielle Maus für die EDV-Arbeit, auch die Tastatur kann er mit Hilfsmitteln betätigen, nutzt Diktier-Software.
Gesucht: ein „mutiger Unternehmer“
Was ihm fehlt: Er würde seine erlernte Arbeit gerne auch wieder stundenweise machen. Und so hofft er auf einen „mutigen Unternehmer“, dem er seine Fähigkeiten zeigen kann.
Die Hoffnung nie aufgeben, dass es weiter geht, das kommt immer wieder im Gespräch mit dem 27-Jährigen zum Ausdruck. Und das schließt er auch für seine Querschnittslähmung nicht aus: „Ich bin ja noch jung, vielleicht erleb ich noch die medizinische oder technische Sensation“.