(ger) An der Julius-Maximilians-Universität Würzburg können seit 2004 Gymnasiasten noch vor der Erlangung ihres Abiturs ein Frühstudium aufnehmen und parallel zum Schulunterricht Vorlesungen besuchen sowie Prüfungen schreiben. Andreas Wächter aus Wülflingen und Benedikt Wolf aus Haßfurt haben das Wintersemester 2010/2011 erfolgreich absolviert und die entsprechenden Zertifikate erhalten.
Im Herbst 2010 hatte Andreas Wächter das Frühstudium im Fach Wirtschaftswissenschaften begonnen. Der heute 16-jährige Schüler der Klasse 10d des Regiomontanus-Gymnasiums Haßfurt, zu dessen besten Fächern Chemie, Physik und Wirtschaft-Recht zählen, war zuvor, wie alle Neuntklässler, vom Mittelstufenbetreuer des Gymnasiums, Reinhold Hau, informiert worden. „Weil es mich interessiert hat, habe ich auch die Informationsveranstaltung an der Universität besucht und mich dabei für ein Frühstudium entschieden“, erzählte er.
Doch vor der Aufnahme an der Universität musste er erst einen Fragebogen über seinen schulischen Werdegang und seine persönliche Situation ausfüllen sowie sein letztes Zeugnis und die Befürwortungsschreiben seiner Schule, der Fachlehrerin Susanne Dünisch und seiner Eltern an die Begabungspsychologische Beratungsstelle der Universität senden. „Danach wurde ich zu einer testpsychologischen Untersuchung eingeladen, bei der mir verschiedene Aufgaben zum sprachlichen, mathematischen und logischen Denken gestellt wurden“, so Wächter. Später folgten ein Aufnahmegespräch mit der Fachmentorin Silke Kuhn und dann die erlösende Nachricht: „Herzlichen Glückwunsch, Sie sind aufgenommen!“
Im Oktober begann dann der Studienalltag: Jeden Montag besuchte Andreas Wächter die regulären Vorlesungen und Tutorien an der Universität. Dafür wurde er vom Regiomontanus-Gymnasium vom Unterricht freigestellt.
„Ich hatte es mir schwieriger vorgestellt, den verlorenen Unterrichtsstoff nachzuholen“, sagte er. „Doch tatsächlich fiel es mir sehr leicht.“ Obwohl er neben dem Vormittagsunterricht noch zweimal pro Woche am Nachmittag das Gymnasium besuchen muss, zweimal wöchentlich Karate trainiert, Gitarrenunterricht erhält und gerne an Tanzkursen am Gymnasium teilnimmt.
Andererseits nahm ihn die Fülle an Informationen durch das Frühstudium sehr in Anspruch. Im ersten Semester hatte er das Fach „Volkswirtschaftslehre“ gewählt und am Schluss auch die reguläre Prüfung mitgeschrieben. Diese kann im Fall eines späteren, regulären Studiums angerechnet werden. „Ich bin froh, dass ich diese Hürde genommen habe“, teilte er mit. „Denn die Anforderungen sind doch ganz anders als in der Schule.“ So werde an der Uni viel mehr Wert auf Eigeninitiative und -verantwortung gelegt; ganz abgesehen davon, dass die Fülle des Stoffes nicht mit der am Gymnasium zu vergleichen sei. Im zweiten Semester wird er die „Grundlagen Marktorientierter Unternehmensführung“ studieren und danach wahrscheinlich wegen der Vorbereitungen auf das Abitur das Studium vorerst beenden.
„Es macht sehr viel Spaß und es bringt gute Erfahrungen für ein künftiges Studium, weil man erlebt, wie es an einer Universität zugeht“ kommentierte er das Erlebte. Er wird aber voraussichtlich nicht Wirtschaftswissenschaften studieren, sondern Maschinenbau als Hauptfach und eventuell Wirtschaftswissenschaften als Nebenfach wählen.
Neben Andreas Wächter erhielt auch der Zehntklässler Benedikt Wolf aus Haßfurt das Zertifikat für sein erstes Semester. Der 16-jährige Gymnasiast und Mathematikstudent hat Lehrveranstaltungen zu „Lineare Algebra I“ besucht (wir berichteten). Im kommenden Semester lauten seine Themen Lineare Algebra II und diskrete Mathematik.
Dass er durch dieses Studium einen Schultag in der Woche versäumt, findet Wolf ebenfalls nicht schlimm. „Das Studium finde ich sehr abwechslungsreich, und es hat den Vorteil, dass ich mich in der Schule nicht langweilen muss“, sagte er. Er möchte das Frühstudium bis zum Abitur weiterführen und anschließend technische Kybernetik und Systemtheorie studieren.
Frühstudium
Begabte und leistungsstarke Gymnasiasten ab der zehnten Klasse können seit dem Wintersemester 2004/2005 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg an regulären Lehrveranstaltungen in 23 Fächern teilnehmen und die entsprechenden Leistungsnachweise, in der Regel Modularprüfungen in Bachelor-Studiengängen, erwerben. Diese Leistungen werden in einem späteren regulären Studium in Würzburg oder an einer anderen Universität auf Antrag anerkannt. Über die Aufnahme entscheiden zu jedem Semester die Schule und die Universität. Die Universität Würzburg setzt mit diesem Projekt als erste Bayerische Universität eine Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz um. Das Projekt findet mit der Zustimmung des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst sowie des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus statt. Seit dem Wintersemester 2004/2005 haben 335 Frühstudierende aus 60 Gymnasien in Unterfranken und angrenzenden Teilen Baden-Württembergs und Hessens teilgenommen. Im vergangenen Wintersemester hatten 64 Jugendliche 100 Lehrveranstaltungen besucht und durchschnittlich fast fünf Semesterwochenstunden aufgebracht. Die beliebtesten Fächer waren Mathematik, Informatik und Chemie. Sechs Frühstudierende hatten Spitzenleistungen erbracht, zählen also zu den besten 15 Prozent aller Studierenden. Im kommenden Sommersemester werden 42 Gymnasiasten die Universität besuchen.