Warum sie an diesem Abend auf dem Lehrerstuhl saß, hatte Christiane Seel-Kirchner schnell erklärt: Von ihren beiden Studienfächern Sinologie und Jura war letzteres zum Beruf, und ersteres leider nur zur privaten Leidenschaft geworden. Nun muss die Coburger Rechtsanwältin aus gesundheitlichen Gründen etwas kürzer treten und war sofort von der Idee des Sprachkurses begeistert.
Und die Teilnehmer? Ihre Motive sind eine Mischung aus allem, was man sich an Gründen nur erdenken kann. Während sich die 30-jährige Sonja Müller schon seit langer Zeit für chinesische Medizin interessiert und von dem Land fasziniert ist, kann sich Andreas Schwipp aus Hofheim vorstellen, die Sprache einmal beruflich brauchen zu können.
Bei Irene Mett-Grüne, die von Schonungen gekommen ist, sind es vor allem die geheimnisvollen Schriftzeichen. Außerdem bildet sie mit anderen Kursteilnehmern eine Reisegruppe, die Sibylle Hankes Mann besuchen will, den es beruflich nach China verschlagen hat. "Ich möchte auch oder gerade als Tourist einfach ein wenig Chinesisch können, um Respekt vor der Kultur zu zeigen", so Irene Mett-Grüne.
Und bei Dieter Grüne, der übrigens den Kontakt zwischen seiner Schwiegermutter Boppy Mett und Christiane Seel-Kirchner hergestellt und so den Sprachkurs in die Wege geleitet hat, ist es vor allem "Neugier an einer Sprache, die der unsrigen völlig unverwandt ist".
Welche Gründe sie auch hergetrieben hatten, zunächst einmal bekamen alle Kursteilnehmer ein großes Lob der Lehrerin, denn der Wunsch, mit einer exotischen Sprache in Kontakt zu treten, sei schließlich nicht selbstverständlich.
Ein Abenteuer
Zum Zeichen ihrer Freude und Würdigung des nicht alltäglichen Kurses verteilte Boppy Mett mit den Worten "Mai-Tai habe ich leider nicht" Asbach-Uralt-Pralinen. Eine willkommene Stärkung, denn was danach kam, war nicht so leicht verdaulich wie die Weinbrand-Bohnen. Zwar waren die einleitenden Worte der Sprachlehrerin hoch interessant, doch wurde den Teilnehmern nur zu schnell klar, auf welches Abenteuer sie sich da eingelassen hatten und was Christiane Seel-Kirchner mit dem zweiten Teil ihrer Einschätzung "gar nicht so schwierig, aber eben total anders" gemeint hatte.
Nach einer kurzen Einordnung, in der sie erklärte, dass das, was wir unter Chinesisch verstehen, nur einer von mehreren Dutzend Dialekten ist, kam die Sinologin nämlich schnell zu dem entscheidenden Punkt, der zwar unzählige schöne Schriftzeichen, aber eben auch eine unglaubliche Mühsal mit sich bringt: "Das Chinesische ist in der Darstellung keine Lautsprache, sondern eine Schriftsprache", so die Lehrerin. "Wir Europäer schreiben das Wort, wie wir es aussprechen, die Chinesen malen, was es bedeutet. Sie haben kein Alphabet".
Das Ergebnis sind je nach Rechnung 40- bis 60 000 Zeichen, die prinzipiell alle einzeln gelernt werden müssen, denn wenn man eines nicht kennt, kann man es sich in den seltensten Fällen herleiten. 3000 Zeichen muss man mindestens beherrschen, um eine Tageszeitung lesen zu können.
Einige Beispiele hatte Christiane Seel-Kirchner aber dann doch, die einen schwachen, aber dafür um so interessanteren Trost bedeuteten: So ergibt die Zusammensetzung der Zeichen für Frau und Kind beziehungsweise Sohn zum Beispiel das neue Zeichen "gut"; aus dem Stegreif schwer herzuleiten, doch angesichts der archaischen Ursprungszeiten der Schrift wenigstens schön nachvollziehbar und leicht zu merken.
"Wir Europäer schreiben das Wort, wie wir es aussprechen, die Chinesen malen, was es bedeutet. Sie haben kein Alphabet"
Christiane Seel-Kirchner Chinesisch-Lehrerin
Doch damit nicht genug - auch der Klang der Sprache ist fremd, die Aussprache schwierig. Es gibt vergleichsweise wenig Laute, dafür jedoch jeden Laut in vier Tönen, also Variationen. Jeder Laut kann also auf vier Arten betont werden: mit gleich bleibender, aufsteigender, abfallend-aufsteigender oder abfallender Stimmlage. Dies ist der einzige Unterschied. Alle vier Worte klingen zum Verwechseln ähnlich, haben aber jedoch gänzlich unterschiedliche Bedeutungen und Schriftzeichen. "Eine gewisse Missverständlichkeit ist da nie ausgeschlossen", so Christiane Seel-Kirchner, "aber vieles ergibt sich ja durch den Kontext".
Dennoch schien die Motivation der tapferen Teilnehmer nicht gebrochen, konzentriert lauschten sie den Worten ihrer Lehrerin, machten Notizen und versuchten ihre ersten Schriftzeichen. Und wenigstens eine gute Nachricht hatte Christiane Seel-Kirchner, bevor ihre Schüler das "ni hao" lernten, dann aber doch noch: Jegliche Arten von Wort-Beugungen, wie die meisten sie sicher vom ewigen Deklinieren und Konjugieren aus dem Lateinunterricht in Erinnerung hätten, gibt es im Chinesischen nicht. Immerhin ein kleiner Hoffnungsschimmer auf dem steinigen Weg ins Reich der Mitte.