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HAßBERGKREIS: Morddrohungen sind nicht schlimm genug

HAßBERGKREIS

Morddrohungen sind nicht schlimm genug

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    Peter Werner ist aufgebracht. „Da werden Menschen geopfert, damit man Wahlen gewinnt“, schimpft er über die geplanten Abschiebungen von afghanischen Asylbewerbern. Gemeinsam mit anderen aus dem Helferkreis versucht er derzeit, die Abschiebung einer afghanischen Familie zu verhindern, die in Westheim untergekommen ist. Dabei soll sie nun auch eine Anwältin unterstützen.

    Die Vorgeschichte der jungen Familie (Die Namen wurden von der Redaktion geändert, um sie vor Verfolgung zu schützen) klingt wie ein wahrer Albtraum. Die 1995 geborene Sahar sollte zwangsverheiratet werden. Sie war gerade 17 Jahre alt, ihr von der Familie ausgewählter „Verlobter“ 38 und zudem drogenabhängig. Zu dieser Zeit lernte sie den 1988 geborenen Meisam kennen, der ihr helfen wollte. Die beiden verliebten sich, ließen sich von einem Mullah trauen und flüchteten innerhalb Afghanistans in eine andere Stadt. Sahars Verwandtschaft sah darin eine große Schande und sprach eine Blutrache gegen die junge Familie aus.

    Die Drohanrufe wurden häufiger, die Morddrohungen härter, so dass schließlich nur noch eine Flucht ins Ausland in Frage kam – besonders, nachdem im Mai 2015 die gemeinsame Tochter Paria zur Welt gekommen war. Nach einer zweimonatigen Flucht und einer Überfahrt, auf der sie beinahe ertrunken wären, kam die Familie im Dezember nach Deutschland; zusammen mit weiteren Verwandten, die ebenfalls durch die Blutrache bedroht werden. Denn diese richtet sich auch gegen sämtliche Angehörigen der beiden. Peter Werner berichtet außerdem, dass ein solcher Ruf nach „Wiedergutmachung“ über Jahrzehnte aufrechterhalten wird und auch auf sämtliche Verwandte und die nachfolgenden Generationen übergeht. „Wenn die kleine Paria in vierzig Jahren wieder nach Afghanistan zurückgehen würde, wäre sie immer noch in Gefahr“, erklärt er. Sahar, Meisam und Tochter Paria kamen in Westheim unter, die Angehörigen, die mit ihnen flüchteten, leben mittlerweile in einem anderen Teil Deutschlands.

    Für die Stelle, die über den Asylantrag zu entscheiden hat, spielt die Blutrache jedoch keine Rolle. Per Definition gilt als Flüchtling, wer aufgrund seiner „Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung“ verfolgt wird. Wer vor einer Form von Selbstjustiz flüchtet, die in Afghanistan von weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert und unterstützt wird, fällt dabei durchs Raster. Im Bescheid, mit dem der Asylantrag abgelehnt wird, ist von einer „rein privaten Unstimmigkeit“ die Rede. „Private Streitigkeiten und persönliche Animositäten“ könnten demnach eine Verfolgung nicht begründen. Zuständig seien die Sicherheitsbehörden im Heimatland.

    Besonders zynisch wirkt auch ein Absatz in dem Bescheid, in dem ausgeführt wird, dass die Familie nach einer Rückführung auch finanziell abgesichert sei – immerhin lebten noch Angehörige dort. Es folgen lange Ausführungen darüber, wie wichtig der Familienzusammenhalt in der afghanischen Gesellschaft sei. Dabei ist von eben jenen Verwandten der Frau die Rede, die die abtrünnige Tochter und deren angeheiratete Verwandtschaft töten wollen.

    Auch in weiteren Punkten bemängelt Peter Werner, dass die Protokolle und Berichte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Situation nicht richtig wiedergeben. So hätte die Familie auf der Flucht eine gefährliche Überfahrt mit einem überfüllten Boot erlebt, das zu kentern drohte. Um nicht zu ertrinken, mussten die Menschen all ihren Besitz über Bord werfen, um das Gewicht zu verringern. So sei auch der Rucksack mit den Papieren verloren gegangen. In den Dokumenten des BAMF ist lediglich davon die Rede, dass Meisam die Papiere über Bord geworfen hätte, was ihn in ein ganz anderes Licht rückt.

    Und dann gibt es da noch eine Formulierung, die beim Helferkreis für Kopfschütteln sorgt. Das Bundesamt rechnet in seinem Schreiben vor, dass bei 27 Millionen Einwohnern und einer Zahl von 20 000 Terroropfern im Jahr in Afghanistan keine besonders große Gefahr bestehe, durch „willkürliche Gewalt“ zu sterben. Diese 20 000 seien gerade einmal 0,074 Prozent der Bevölkerung – das Risiko bleibe damit „weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt“, heißt es in dem Bescheid. „Das hat nichts mehr mit Mensch zu tun“, sagt Peter Werner.

    Er sieht die Afghanen, die nun abgeschoben werden sollen, als Bauernopfer, „um die Bevölkerung zufriedenzustellen“. Werner spricht von einer „Hetzjagd“, in der die AfD andere Parteien vor sich hertreibt. Dabei seien von den aktuellen Abschiebungen gerade die Menschen betroffen, die als Musterbeispiel gelungener Integration gelten könnten: Einige von ihnen sind seit mehreren Jahren in Deutschland, haben mittlerweile so gut es geht die Sprache gelernt und könnten bald in den Arbeitsmarkt integriert werden. „Da heißt es immer, dass die Flüchtlinge uns so viel Geld kosten“, meint Peter Werner, bezogen auf die Kosten für Integrations- und Sprachkurse sowie die Grundsicherung in der Zeit, in der die Asylbewerber noch nicht arbeiten können. Doch ausgerechnet jetzt, wo sie die Möglichkeit hätten, eigenes Geld zu verdienen und so dem Staat etwas zurückzuzahlen, würden sie wieder ausgewiesen. „Da wird Geld rausgeschmissen, um nach außen sagen zu können: Wir schaffen das.“ Dementsprechend medienwirksam würden die Abschiebungen von Afghanen nun inszeniert, um zeigen zu können, dass die Regierung etwas unternimmt.

    Über die in Westheim untergekommene Familie berichtet Peter Werner: „Sie wollen sich in unsere Kultur einfinden.“ So haben sie sich an vieles angepasst, das in ihrer Heimat absolut untypisch ist. Die Frau besucht die Berufsschule, der Mann hilft im Haushalt. Dennoch haben sie am vergangenen Freitag den negativen Bescheid bekommen, ebenso wie ihre in einem anderen Teil Deutschlands untergekommenen Verwandten. Peter Werner verweist zudem darauf, dass es sich bei Sahar, Meisam und Paria nicht um einen Einzelfall handelt. „Sämtliche Afghanen sind bedroht“, sagt er. Auch im Landkreis Haßberge sei die Familie nicht der einzige Fall.

    „Und die wirklich gefährlichen Leute laufen frei rum“, spielt Peter Werner auf den Attentäter von Berlin an, gegen den die Behörden genug Beweise gehabt hätten, um ihn festzusetzen. „Diesen Amri lässt man quer durch Europa reisen“, sagt er. Werner, der für die Grünen im Knetzgauer Gemeinderat sitzt, kritisiert auch die Politik der bayerischen Staatsregierung und das Verhalten einiger Abgeordneter und Minister der CSU. „Leute wie Steffen Vogel oder Markus Söder loben die Helferkreise, machen ihnen aber hintenrum die Arbeit schwer“, sagt er. „Die wollen keine Integration“, lautet sein Fazit.

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