Der Scheibenwischer quietscht von einer Seite auf die andere. Otmar Kober hält. "Guten morgen. Du hast Regen mitgebracht", begrüßt ihn sein Mitpächter Alfons Moritz, der noch in Kerbfeld mit ins Auto kommt und einige Minuten später am Waldrand mit aussteigt. Dort regnet's nicht nur, sondern weht ein heftiger Wind. "Wenn der Wind jagt, soll der Jäger nicht jagen", flüstert Kober unterwegs. Kein Mondlicht scheint am Himmel. Das schwache Licht der Taschenlampe zeigt einen Feldweg. Er verläuft einige hundert Meter vom Waldrand entfernt - denn sonst würde das Wild gleich was merken. Rehe, Fuchs und Hase verlassen sich auf ihren Geruchssinn, sind noch unruhiger, wenn ein starker Wind weht.
Im rechten Winkel gehen die Jäger dann zum Waldrand und klettern jeder mit einem leisen "Waidmanns Heil" auf ihre Hochsitze. Kober legt oben sein Sitzkissen auf das Holz, macht den Regenumhang um, lehnt sein Gewehr rechts auf die waagrechte Holzstange vor sich, hängt das Fernglas um den Hals und wartet, warm eingepackt. Der Wind bläst ihm den Regen ins Gesicht, während der Hochsitz knarrt. Vor ihm wackeln und rascheln Blätter. Hinter ihm rauscht der Wald. Drüben am Waldrand leuchtet immer wieder ein Autoscheinwerfer zwischen den Bäumen auf. Der Nachbar fährt auch noch zur Jagd. Kober verharrt derweil regungslos im Hochsitz. Nur ab und zu hält er das Fernglas vors Gesicht.
Otmar Kober geht seit 49 Jahren auf die Jagd. "Das liegt einem im Blut, sonst wird das nichts. Das muss schon Leidenschaft sein", erzählt Kober. Sein Vater arbeitete als Forstbeamter und wenn seine Tochter aus München zu Besuch kommt, dann möchte sie am liebsten auch gleich mit raus auf die Jagd, egal wie schlecht das Wetter oder wie spät es ist. "Die Jagd ist mehr als ein Hobby", macht der 76-Jährige deutlich. Er arbeitete früher als Lehrer in Kerbfeld und dann als Schulleiter an der Hofheimer Hauptschule. Zusammen mit seinem Sohn, seiner Tochter und Moritz pachtete er 650 Hektar Wald von der Jagdgenossenschaft Kerbfeld. Das kostet insgesamt 3250 Euro im Jahr.
In dem Revier gibt es viel zu tun. Dazu zählen beispielsweise Hochsitze bauen, Wildschäden verhüten oder Fütterungen in Stand halten. Geschäft lässt sich damit nach Kober keines machen. "Bislang haben wir zehn Rehböcke geschossen", so Kober. Damit liegen sie in diesem Jahr noch unter der von der unteren Jagdbehörde vorgegebenen Abschusszahl, obwohl sie schon oft draußen waren. Pro Jahr gehen sie schon 150 mal auf die Jagd, aber Schüsse fallen eher selten.
Geschäft lasse sich keines damit machen, denn für Wildschäden müssen demnach die Pächter aufkommen. "Ohne die Jagd geht's aber nicht", betont Kober. Es gebe keine Naturlandschaft mehr, sondern eine Kulturlandschaft in der die Selbstregulation nicht mehr funktioniere.
Um den Hochsitz wird's langsam hell und die Konturen erscheinen deutlicher. Kober sieht links vor sich die grünen Blätter eines Rübenfeldes, an denen eigentlich auch die Rehe gerne knabbern. Daneben werden zwei dunkle Ackerflächen sichtbar, davor zieht sich ein Graben durch die Wiese. Der Wind weht immer noch stürmisch, der Regen prasselt ihm heftiger auf den Hut, an seiner Brille hängen dicke Regentropfen, seine Hände sind kalt.
Kober wird aufmerksam und schaut durchs Fernglas. Ein Hase hoppelt übers Feld. Danach taucht noch ein Reh weiter entfernt auf einem abgeernteten Stoppelfeld auf. Beide außer Schussweite. Kober lehnt sich wieder zurück und wartet. An diesem Morgen vergeblich. Schuss fällt keiner. Leicht enttäuscht und nass klettert er wieder von seinem Hochsitz herunter und wiederholt: "Wenn der Wind jagt, soll der Jäger nicht jagen".