Meine Halsschlagader pocht, als wäre mein Herz direkt im Rachen angewachsen. Ein pelziges Gefühl erfüllt meinen Mund. Mir rinnt der Schweiß, ich dampfe. Ich habe das Gefühl, dass sich meine Arme verknoten und meine Hüfte mit der Eleganz eines Roboters schwingt. Aus den Boxen wummern Samba-Rhythmen. Was habe ich mir nur dabei gedacht, diesen weltweiten Fitnesstrend namens Zumba auszuprobieren? Immerhin treffen hier zwei meiner Feinde zusammen: lateinamerikanische Musik und Sport. Ich erschrecke fast, als ich beim Blick in den Spiegel des Tanzsaals der Tanzschule Hartung in Würzburg feststelle: Ich lache.
Gemeinsam mit fast 30 Frauen und einem einzigen Mann versuche ich, den Schritten von Tanzlehrerin Larissa Borkowski zu folgen. Ausfallschritt, Hüftenkreisen, Hände in die Höhe. Dann alles gleichzeitig. Borkowski legt schon zu Beginn ein ordentliches Tempo vor. Meine Augen fixieren ihre Füße. Bis ich die Schrittfolge verstanden habe, ist sie schon bei der nächsten. In der Reihe hinter mir höre ich zwei junge Frauen kichern. Eigentlich würde ich am liebsten gleich alles genauso toll hinkriegen wie Borkowski. Ich beobachte mich im Spiegel. Okay, keine Chance. Meine Bewegungen fließen, als trüge ich einen Ganzkörpergips. Ich denke an Borkowski, wie sie vor der Zumba-Stunde gesagt hat: „Wenn du nicht mitkommst, mach einfach nur so viel wie du kannst.“ Und dann beginnt der Spaß.
Denn das gehört zur Idee von Zumba: ein Tanz-Workout, bei dem die Musik zwar den Takt vorgibt, bei dem aber jeder sein persönliches Tempo bestimmen darf. Zu Samba, Salsa, Merengue, Reggaeton oder Cumbia tanzt ein sogenannter Zumba-Instructor die Schritte vor. Dann kommen Armbewegungen hinzu. Wem das zu viel wird, der lässt einfach eines von beidem weg.
Das kommt mir gelegen. Ich lasse die Arme baumeln und trage auf meiner inneren To-do-Liste den Punkt „Koordination verbessern“ ein. Als der Salsa-Rhythmus dran ist, habe ich dann total verloren. Larissa Borokowski tanzt den Grundschritt, ich falle fast über meine Füße. Erst als ich meinen verkrampften Blick von ihren Fersen löse und auf den Rhythmus der Musik höre, geht es. Endlich habe ich das Gefühl, zu tanzen und nicht bloß Bewegungen nachzuahmen. Das ist gut, tanzen mag ich. Ich freue mich über jeden gelungenen Schritt. „Anfangs hatte ich auch Probleme, Larissa zu folgen“, sagt Mittänzerin Gabi Alassani. Mit jeder Stunde sei sie besser mitgekommen. Meine Teststunde ist für die Gruppe der fünfte von acht Terminen.
Alassani kommt gemeinsam mit ihrer Schwester Sabine und ihrer Nichte Anja zum Zumba, um ein paar Kilo zu verlieren. „Ich finde gut, dass die Gruppe so gemischt ist. Alte, Junge und nicht nur Klappergestelle“, sagt sie und lacht. Die ältesten Frauen, die an einem Zumba-Kurs in der Tanzschule Hartung teilgenommen haben, waren Anfang Siebzig, erzählt Larissa Borokowski. Die seien für ihr Alter allerdings auch extrem fit gewesen. Wie beruhigend, denke ich mir. Ich bin 26 und verdammt aus der Puste.
„Ab einem Alter von etwa fünfzig Jahren würde ich Zumba nur machen, wenn ich gut trainiert bin“, rät Maximilian Rudert, ärztlicher Direktor der orthopädischen Klinik König-Ludwig-Haus in Würzburg. Doch grundsätzlich hat er von orthopädischer Seite nichts gegen Zumba einzuwenden. Für ihn gilt die Devise: „Hauptsache, man macht überhaupt etwas.“ Außerdem schule das Tanzen die Koordination. Und für den modernen Büromenschen sei Zumba sehr geeignet, weil „alles, wobei wir Bewegungen einüben, die wir im Alltag nicht machen, gut ist“. Dazu zählt Rudert vor allem die Bewegungen mit dem Oberkörper, die gut für Arme und Rücken seien. Sein einfacher Rat lautet: „Wenn etwas weh tut, sollte man aufhören. Und sich auch nicht von der Gruppendynamik beeinflussen lassen.“ Ein generelles Zumba-Verbot würde der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie nur Menschen mit Herzproblemen erteilen. Und natürlich allen, die Gelenkprobleme oder einen Bandscheibenvorfall haben. „Aber das verbietet sich ja eigentlich von selbst“, findet Rudert. „Sie gehen ja auch nicht mit einem gebrochenen Arm zum Karate.“
Was Rudert kritisch sieht: Jeder, der einen zweitägigen Kurs bei der US-amerikanischen Firma Zumba Fitness belegt, darf sich Zumba-Instructor nennen und auf eigene Faust Kurse leiten. „Wenn jemand keine Erfahrung mit Gruppenunterricht hat, halte ich das tendenziell für gefährlich“, sagt Rudert.
Für Larissa Borokowski gilt das nicht, sie ist ausgebildete Tanzlehrerin. Auch in vielen Fitnessstudios müssen Trainer ein Zertifikat vorweisen, das belegt, dass sie mit sportelnden Gruppen umzugehen wissen. Doch eines ist klar: Das Unternehmen Zumba Fitness hat nicht bloß zum Ziel, den Spaß am Tanzen in die Welt zu tragen. Hinter der Fitness-Party steckt eine ausgeklügelte Marketingstrategie. Nur wer sich von Partnern der Firma ausbilden lässt, darf den Sport unterrichten. Die Lizenzen laufen nach einem Jahr aus, dann muss auch Larissa Borokowski wieder einen Kurs belegen und natürlich auch bezahlen. Außerdem gibt es eine eigene Klamottenmarke, DVDs für das Training daheim, ein Videospiel, Musik-CDs und spezielle Zumba-Programme für ältere Menschen oder Kinder. Wenn es nach der Firma ginge, stände in diesem Text hinter dem Wort Zumba jedes Mal ein ®.
Der Erfinder von Zumba, der Fitnesstrainer Alberto „Beto“ Perez, dürfte also ein reicher Mann sein. Neben Larissa Borokowski, Gabi Alassani und mir haben nach Angaben des Unternehmens seit 2007 weltweit schon zwölf Millionen Menschen in 125 Ländern einen Zumba-Kurs besucht. Natürlich ist der globale Trendsport so auch für die Studios und Tanzschulen ein Geldsegen. Seit dem ersten Kurs im September 2011 waren alle Zumba-Lehrgänge der Tanzschule Hartung ausgebucht. Derzeit laufen zwei Kurse parallel, doch laut Borokowski würde sie auch noch einen dritten voll kriegen. Auch viele Fitnessstudios in der Region haben Zumba im Programm. Dass ich den anderen Kursteilnehmerinnen mehrfach fast auf die Füße trete, liegt allerdings nicht an Überfüllung des Tanzsaals. Was mich am Tag darauf beruhigt: Mein Muskelkater ist Teil einer globalen Bewegung.