Mord und Totschlag, Lug und Betrug, geheimnisvolle, versunkene Orte und immer wieder Liebenswertes – der dicke Ordner, in dem Max Breitwieser blättert hat es in sich. Es ist ein sagenhafter Schatz. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der Hofheimer hat Sagen und Erzählungen aus den Haßbergen und dem Steigerwald zusammengetragen. Warum die Region für ihn ein „sagenhafter Landstrich“ ist: In seinem Ordner sind inzwischen fast 600 Sagen zusammengekommen.
Nicht als Sammler, sondern als Dauerläufer ist der 72-Jährige vielen in der Region bekannt. Etliche Jahre war er Vorsitzender des Haßberghauptvereins. Wanderer ist er mit Leib und Seele. Und dies seit Jahrzehnten. Schon von 1975 an führte er Gruppen durch seine Heimat, durch die Haßberge. Wanderwochen hießen diese geführten Gruppenwanderungen. Eine Woche war Breitwieser dann mit den Leuten unterwegs. Übernachtet wurde in Gasthäusern an der Wanderroute.
Und in dieser Zeit wurde auch der Grundstock für seine Sammlung gelegt. „Ich musste den Leuten ja auch etwas erzählen“, schmunzelt Breitwieser. Da kamen Sagen zu den jeweiligen Tourabschnitten gerade recht. Wo immer in Veröffentlichungen er solche Texte fand, hob er sie auf, um sie dann bei den Wanderungen weiterzugeben. Viele solcher Quellen hat er in seiner Sammlung stehen. Bücher und Zeitschriften, Tageszeitungen, Magazine, oder auch heimatgeschichtliches Unterrichtsmaterial. „Früher waren im Fach Heimatkunde auch noch Sagen ein Thema“, erinnert sich Breitwieser.
Für einen Schoppen
Daneben hat Breitwieser aber selbst auch „eingesammelt“. Bei diesen Wanderungen saß man am Abend mit den Wirtsleuten oder älteren Einwohnern in der Wirtschaft, und dabei erzählten jene dann immer wieder Sagen aus ihrer Ortschaft. Er bat sie dann, die Geschichte genau niederzuschreiben und ihm zu schicken, „für einen Schoppen und das Porto“ trugen so etliche zu seiner Sammlung bei.
Die war anfangs eher eine lose Blattsammlung. Inzwischen umfasst sein Werk weit über 200 Seiten. Akribisch hat sie der gelernte Maschinenbauer archiviert und vor allem katalogisiert, von A wie Altenstein bis Z wie Zeil. Einige Hundert Stunden dürften es allein für diesen Teil seiner Arbeit gewesen sein. Spitzenreiter bei den Sagen ist in seiner Liste die Stadt Haßfurt. Nur aus der Kreisstadt hat er 23 Geschichten zusammengetragen, gefolgt von Königsberg mit 19. Faszinierend ist für ihn: Immer wieder ist in verschiedenen Orten der Inhalt einer Sage dann doch ähnlich, wenn nicht gar identisch.
Schlitzohrigkeit
So gibt es auch seine Lieblingssage gleich in mehreren Ortschaften. Juristisch gesehen, geht es da um Betrug, aber vor allem „die Schlitzohrigkeit“ der Erzählung gefällt Breitwieser. Es geht um Streitigkeiten zwischen zwei Ortschaften um den Verlauf der Ortsgrenze. Beim Gerichtstermin schwört einer der Bürgermeister mit markigen Worten einen Eid: „So wahr der Schöpfer über mir ist, stehe ich auf heimischem Boden“. Bei so einem Schwur, bekam er natürlich Recht. Und er hatte ja auch nicht gelogen, nur: Der Schöpfer über ihm, das war ein Schöpflöffel, den er in seinem Zylinder verborgen hatte, und in seinen Schuhen hatte er heimische Erde. „Gleich in vier Ortschaften gibt es diese Geschichte“, berichtet Breitwieser, so unter anderem im Bereich Humprechtshausen und Rügheim.
Steinerne Relikte
Spitzenreiter bei den Themen in seiner Sammlung sind allerdings die Steine. Mordsteine, Sühnesteine, Teufelssteine. 40 solcher Sagen finden sich in seinen Aufzeichnungen, gefolgt von den Geschichten über versunkene Orte. Gerlachsdorf ist ein solcher, bei Hohnhausen. „Das hat wirklich existiert“, weiß Breitwieser, und zeigt auf der Karte, wo noch steinerne Relikte zu finden sind. „Oft ist doch ein Körnchen Wahrheit darin zu finden“ _ diesen Eindruck hat Breitwieser bei vielen Sagen gewonnen. So auch bei den Sagen, die das Thema Schwedenkrieg zum Inhalt hatten.
Interessant auch, so Breitwieser, welche Geschichten sich frühere Generationen einfallen ließen, um Geboten oder Verboten Nachdruck zu verleihen. Zur Mahnung an die Kinder gab es die Geschichte: „Euch geht es wie den Nixen: Wenn die nicht um 12 Uhr nachts in ihrem See zurück waren, wurden sie verwandelt“. Die Kinder sollten so zur Pünktlichkeit ermahnt werden. Angst machen, das war natürlich auch eine der Absichten in diesen Sagen, so Breitwieser.
Alphabetisch hat er seine Sammlung geordnet, aber zugleich auch nach Schlagworten. Schon vor Jahren hat er alle Geschichten auf seinem Computer erfasst. Überlegt wird zurzeit beim Haßberghauptverein, wie der Vorsitzende Norbert Schmucker berichtete, ob nicht Breitwiesers Sammlung als Buch veröffentlicht werden könnte. Ob dies finanziell machbar ist, da gibt sich Sammler Breitwieser eher skeptisch. Für sich behalten will er seinen Sagenschatz aber nicht: Interessenten können sich für Sagen aus ihrer Ortschaft an ihn wenden, berichtet der Hofheimer.
Vom Teufelsstein zum Tränenfelsen
Wie sagenhaft der Landkreis ist, das können Interessierte schon seit geraumer Zeit „erlaufen“: Bei Lichtenstein gibt es den „Sagenpfad“. Vom Teufelsstein bis zum Tränenfelsen gibt es auf rund einem Kilometer die entsprechenden Sagen und Legenden auf Schautafeln nachzulesen. Es ist einer der Themenwanderwege, die die Gäste in die Welt vergangener Tage entführen sollen, sagt Geschäftsführerin Susanne Volkheimer vom Tourismusverband Haßberge. Sie freut sich über Breitwiesers Sammlung, denn die Mystik und das Geheimnisvolle einer Sage können dazu beitragen, die Neugier zu wecken. Naturerlebnis und Historie werden so verbunden.
Nicht anders als beim wandernden Geschichten-Sammler Max Breitwieser. Der ganz nebenbei inzwischen eine weitere Sammlung aufgebaut hat: so viele Marterl in der Region zu fotografieren und zu katalogisieren.