Vom Tisch her dringt irgendwie ein vertrauter Duft. Ein wenig erinnert er einen Laien an Weihnachten, an Zimt oder so. Wenn Holger Rudolph mit seiner Hand über den Gläschen fächert, dann kurz innehält und in Gedanken nach Beschreibungen sucht, hört sich das, was da den Raum erfüllt, ganz anders an. Ja, etwas Zimt ist dabei, aber vor allem kommt aus dem Gläschen mit glasklaren Hochprozentigen die Birne aromatisch daher, hat viele Zitrusnoten, gar Ananas nimmt er wahr. Holger Rudolph muss es wissen. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen natürlich, weil er aus seiner Lieblingsfrucht, der „Sußbirne“, diesen Edelbrand geschaffen hat. Zum andern, weil er sich weitergebildet hat und sich Edelbrand-Sommelier nennen darf. Der wohl einzige im Landkreis Haßberge.
Brenner ist der Unterhohenrieder seit gut zwei Jahrzehnten, seine Brennerei steht in Prappach. Und dazu gekommen ist er wie so viele der weit über 200 kleinen Brenner im Landkreis Haßberge auch: Er hat eine Familientradition weitergeführt. Seine Großeltern hatten schon gebrannt, von ihnen hat er es gelernt und das Brennrecht auch übernommen. Schon Uropa Johann Rudolph hatte mit Hochprozentigen gehandelt, er hatte eine Legitimation für den Schnapsverkauf, zeigt Holger Rudolph ein altes Schriftstück.
Sein Vater Hans Rudolph hat selbst nicht gebrannt, war aber dennoch dem Brennen verbunden: Er baute in einer Haßfurter Firma unter anderem auch solche Brennerei-Anlagen.
Für Holger Rudolph bedeutetet weiterführen nicht, dass alles beim Alten bleiben muss, blickt er zurück. Er hat sehr bald eine „interne Qualitätsoffensive“ gestartet, wie er es beschreibt. Sich ständig weitergebildet und dann im Jahr 2010 mit der Ausbildung zum Bayerischen Edelbrand-Sommelier begonnen. Immer an den Wochenenden fanden die Schulungen statt, berichtet der 46-Jährige, der als Messtechniker-Meister im Maschinenbau tätig ist.
Das Wichtigste dabei: die Sinne schulen und schärfen. Alle Sinne. Sehen, riechen, schmecken. Denn bewertet wird nicht nur der Geschmack, der Geruch, oder wie harmonisch der zu beurteilende Brand ist, sondern auch die Optik, die Klarheit des Destillats. Blind verkosten gehört genauso zu den Schulungen, wie zu erkennen, ob und welche Fehler der Brand hat, der da im Glas ist.
Weitergebildet hat er sich dabei unter anderem an der Hochschule in Weihenstephan. Für sein Hobby als Sommelier, genauso wie inzwischen auch als Prüfer bei Edelbrandwein-Prämierungen. Und solche Fortbildungen finden jedes Jahr statt, immer mit anderen Themengebieten. Zwei Bereiche standen bei seiner Ausbildung zum Sommelier im Mittelpunkt. Zum einen die Sachkunde natürlich, die unterschiedlichen Herstellungsverfahren der Destillate, aber zum anderen auch alles, was zu einer Verkostung von Bränden dazu gehört. Zu Letzterem auch, den Leuten raten zu können, welches Destillat, zu welchem Essen am besten passt.
Und gerade dies ist für ihn eine ganz besondere Seite seines Hobbys: den Menschen die Vielseitigkeit von Edelbränden zu zeigen. Das macht er bei Verkostungen mit etlichen Edelbrände-Sorten. Zukunftsmusik für ihn ist, solche Verkostungen einmal zusammen mit Menüs anzubieten.
Sehr schnell wird im Gespräch mit Holger Rudolph deutlich, dass er zwar ein begeisterter Brenner ist, nicht weniger aber für ihn das wichtig ist, was hinter dem Konzentrat steht, das letztendlich in der Flasche präsentiert wird: Kleinbrenner wie er einer ist, tragen auch zum Erhalt von Landschaft und Obstsorten bei. „Ich bin ein Streuobst-Fan“, sagt Rudolph. Und wie er, tragen etliche kleine Brenner dazu bei, dass seltene alte Apfel- oder Birnensorten nicht längst aus der Landschaft verschwunden sind.
Dass aber genau dies passieren könnte, das fürchten Rudolph, wie auch Verantwortliche des Fränkischen Klein- und Obstbrennerverbandes mit dem Wegfall des Branntweinmonopols zum Jahresende 2017.
Wie berichtet, stützte der Staat bislang die Brennereibetriebe, indem er ihnen für Rohalkohol eine Absatzgarantie zum Mindestpreis gab. Der Staat übernahm den Rohalkohol für Industriezwecke, also etwa für Kosmetik und Arzneien – Schnaps wurde über diesen Kanal nicht produziert. Im Jahr 1918 war die sogenannte Monopolverwaltung von Kaiser Wilhelm II. gegründet worden.
Aus Gründen des europäischen Wettbewerbsrechts wurde das Monopol schon vor einiger Zeit gekippt, stufenweise zurückgefahren, denn für den Bund war es ohnehin längst ein Defizitgeschäft, die Behörde zahlte Preise für Agraralkohol, die weit über den Weltmarktpreisen lagen. Den 100. Geburtstag erlebte das Branntweinmonopol nun nicht mehr, seit 1. Januar 2018 ist das Monopol endgültig Geschichte.
Was bedeutet dies? Nicht mehr der Staat ist Abnehmer, sondern die Brenner müssen den Alkohol selbst vermarkten. „Mitunter müssen erst Kontakt aufgebaut werden und das ist der Knackpunkt, denn: Nicht jeder gute Handwerker ist auch ein guter Verkäufer“, sagt Geschäftsführerin Andrea Bätz vom Fränkischen Klein- und Obstbrennerbverband. Und sie fürchtet, wer bisher wenig mit Selbstvermarktung zu tun hatte, könnte Umstellungsschwierigkeiten haben. Wenn sich allerdings die Preise so entwickelten, dass die Brenner damit leben können, dass sie an Händler liefern und nicht mehr an das Branntweinmonopol, könne es so wie bisher weitergehen.
Für sie ist es unverständlich, dass seitens der Politik zwar die Wichtigkeit der Streuobstwiesen für den Erhalt der Artenvielfalt immer wieder hervorgehoben werde, auf der anderen Seite man dann aber gerade solchen Gruppen wie den Kleinbrennern, die für den Erhalt der Obstwiesen stehen, die Unterstützung nehme.
Und dabei haben viele kleine Brenner gerade schon in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass alte Sorten erhalten blieben. Und sie haben damit die Not zur Tugend gemacht: seltene Sorten, als ein Markenzeichen, „die Schiene zum Besonderen“, so Bätz. Hauptsache weg von den Hauptströmungen, „weg vom Willi von der Skipiste“. Hin zu bodenständigen, regionalen, hochwertigen Destillaten, sagt Bätz. Und die Geschäftsführerin des Verbands ist sich sicher: „Die Käufer sind bereit, ein paar Euro mehr zu zahlen, wenn sie wissen, woher das Produkt kommt und wer dahinter steht. Das Regionale gewinnt an Bedeutung. Deshalb sehe ich an der Entwicklung auch etwas Positives“, so Andrea Bätz.
Genau dieses Bewusstsein für Regionalität zu wecken und zu zeigen, was sie für Vielfalt bietet und geboten hat, das steht auch immer im Mittelpunkt, wenn Holger Rudolph vorstellt, was er in seiner Brennerei in Prappach hergestellt hat, damit Sorten wie der Apfel von Croncels, der Welschisner Apfel oder eben die Sußbirne nicht verloren gehen. Und die Sorten hegt und pflegt er auch auf seiner Streuobstwiese, weil dies einfach zusammen gehört. Er fürchtet mit der Abschaffung des Monopols, dass manche ältere Brenner sagen, „nur um der Arbeit willen, mache ich es nicht mehr“ – und hören auf. So werden unter Umständen noch mehr Streuobstwiesen verschwinden „und in ein paar Jahren zahlt der Staat wieder für Landschaftspflege“.