„Man könnte dem Verfahren die Überschrift geben: Der zerbrochene Krug“, sagte Richter Manfred Schmidt zu Beginn der Urteilsverkündung. „Allerdings hat Kleists Drama ein besseres Ende genommen“, sagte er im Bezug auf die schweren Verletzungen, die der zerbrochene Krug in diesem Fall hinterlassen hatte.
Der Tatort: Zeil. Genauer gesagt die Kreuzung zwischen Hauptstraße und Sander Straße. Tatzeit: 3. August 2013, gegen 23.30 Uhr. Das Weinfest ist in vollem Gange, man hört Musik, überall wird ausgelassen gefeiert. Beleuchtet wird alles von den Straßenlaternen und der nahen Sparkassenfiliale. Unter den Besuchern des Festes ist ein junger Mann, damals gerade 20 Jahre alt, in Begleitung einer Freundin. Für ihn sind es die letzten Tage in Freiheit, denn bald soll er eine Haftstrafe antreten – und das nicht zum ersten Mal.
Auf dem Fest begegnet er seiner Exfreundin. Sie haben sich lange nicht mehr gesehen und unterhalten sich kurz. Sie wirft einen Blick auf seinen Arm, auf dem immer noch ihr Name eintätowiert ist. Sie ist selbst in Begleitung von zwei Männern, beide kennen ihren Exfreund und sind nicht gut auf ihn zu sprechen. Der eine wirft ihm vor, ihn einst vor Gericht zu Unrecht belastet zu haben. Der andere, zu diesem Zeitpunkt gerade 23 Jahre alt, führt zu diesem Zeitpunkt selbst eine Beziehung mit der jungen Frau. Der Bamberger ist stark angetrunken, allerdings auch hohen Alkoholkonsum gewöhnt, ein Psychologe wird ihn später im Prozess als Spiegeltrinker beschreiben. So kann er trotz eines wahrscheinlich sehr hohen Alkoholpegels noch gerade laufen, ohne zu torkeln. Was in ihm vorgeht, als er seine Freundin mit ihrem Exfreund sieht, lässt sich nur erahnen. Wahrscheinlich wird seine Eifersucht noch angeheizt durch eine Unterhaltung mit seinem Begleiter.
Dann passiert das, was er später vor Gericht als den größten Fehler seines Lebens bezeichnen wird: Er nimmt den Bierkrug, den er gerade in der Hand hält, und schlägt ihn dem vermeintlichen Nebenbuhler auf den Kopf. Ob der Krug zerbricht oder nur der Henkel abreißt, kann später nicht eindeutig geklärt werden. Jedenfalls hat der junge Mann, der zugeschlagen hat, danach nur noch den Henkel in der Hand. Diesen wirft er weg und läuft mit seinen beiden Begleitern fort. „Sie sind nicht gemütlich spaziert, sie wollten schon bewusst weg“, sagt später eine Zeugin. Der junge Mann, der niedergeschlagen wurde, blutet stark. „Der ganze Boden war voller Blut“, berichtet die Zeugin. Eine Notärztin versorgt den Verletzten vor Ort, dann wird er ins Haßfurter Krankenhaus gebracht. Dort stellt ein Arzt einen lebensbedrohlichen Schädelbruch fest. Da dieser in Haßfurt nicht behandelt werden kann, wird der junge Mann ins Leopoldina-Krankenhaus in Schweinfurt gebracht, wo man ihm in einer zwei- bis dreistündigen Notoperation das Leben rettet.
Soweit lassen sich die Ereignisse der Nacht vom 3. auf den 4. August letzten Jahres rekonstruieren. Einen Tag später wird die Kriminalpolizei informiert und nimmt die Ermittlungen auf. Da weder die Notärztin, noch Security oder Sanitäter auf dem Weinfest die Polizei gerufen haben, ist der Tatort bereits durch die Veranstalter gereinigt worden, so dass die Spurensicherung nicht mehr viel findet, die Scherben des Kruges sind verloren. Durch Zeugenaussagen findet man die Freundin des Täters. Dieser kommt einer Verhaftung zuvor, indem er sich selbst stellt.
Vor Gericht gesteht der Angeklagte die Tat und entschuldigt sich bei dem Geschädigten. Es geht für ihn um viel, denn die Anklage lautet auf versuchten Mord. So geht es in der Verhandlung vor dem Landgericht Bamberg neben der Rekonstruktion des Tathergangs vor allem um die Fragen, ob eine Tötungsabsicht bestand, inwieweit er die Folgen seiner Tat absehen konnte und wie sehr seine Steuerungsfähigkeit durch den Alkohol eingeschränkt war. Insgesamt gibt es drei Verhandlungstage.
Ein sicher seltenes Schauspiel ist es, dass in einer Gerichtsverhandlung Maßkrüge gewogen werden. Am ersten Verhandlungstag stellt der Richter einen Krug auf die Waage, es werden 1129 Gramm angezeigt. Am letzten Tag bringt Verteidiger Thomas Drehsen einen Bierkrug aus seinem eigenen Keller mit. „Ich wollte selbst mal nachschauen, und habe rausgefunden, dass es auch leichtere Krüge gibt“, sagt er. Und tatsächlich: Der zweite Krug bringt nur 950 Gramm auf die Waage. Äußerlich sind beide Krüge nicht vom Tatwerkzeug zu unterscheiden. Dieses sieht man auf einem Foto, das auf dem Weinfest gemacht wurde und den Angeklagten mit dem Krug in der Hand zeigt.
In seinem Schlussplädoyer sieht Staatsanwalt Martin Dippold den Vorwurf des Versuchten Mordes nicht mehr gegeben. Er fordert eine Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten wegen versuchten Totschlags sowie die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt.
Rechtsanwalt Norbert Hahn, der den Geschädigten als Nebenkläger vertritt, hält dagegen am Vorwurf des Mordversuchs fest und zweifelt außerdem an der Alkoholabhängigkeit des Angeklagten. „Er hat den Wodka ja nicht pur getrunken, sondern immer als Mischgetränk, also war der Geschmack doch wichtiger als der Alkohol und seine Wirkung“, sagt er.
Verteidiger Thomas Drehsen zweifelt daran, dass sein Mandant die Folgen seiner Tat absehen konnte. Außerdem sieht er einen möglichen Rücktritt von der Tat, denn „er hätte ja weiter auf ihn einschlagen können, aber das hat er nicht getan“. Er plädiert auf gefährliche Körperverletzung und schlägt eine zweijährige Haftstrafe vor, die unter der Auflage einer ambulanten Therapie zur Bewährung ausgesetzt werden könnte. Falls das Gericht nicht auf eine Haftstrafe verzichten will, empfiehlt er eine Strafe von zwei Jahren und acht Monaten mit einer stationären Therapie.
Das Urteil fällt am Mittwoch, 26. März: Das Schwurgericht verurteilt den heute 24-Jährigen zu einer Strafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Nach den ersten eineinhalb Jahren soll er in eine Entziehungsanstalt kommen, danach kann eine vorzeitige Entlassung geprüft werden. „Es kann sein, dass ein Kopf das aushält, es kann aber auch sein, dass jemand sofort tot ist“, sagte der Vorsitzende Richter. So habe der Angeklagte den Tod seines Opfers zumindest in Kauf genommen. Das Mordmerkmal der Heimtücke sah er hingegen nicht als gegeben: „Das Opfer war zwar arg- und wehrlos, das hat der Angeklagte aber nicht bewusst ausgenutzt.“ Die Verteidigung gab zunächst keine Erklärung ab, so dass eine Revision weiterhin im Raum steht.