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RIEDBACH: Warum es in Kleinsteinach mindestens zwei „Christkinder“ gibt

RIEDBACH

Warum es in Kleinsteinach mindestens zwei „Christkinder“ gibt

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    Die Chance steht in der Regel 1:365, dass ein neuer Erdenbürger wie das Jesuskind am Heiligen Abend zur Welt kommt.
    Die Chance steht in der Regel 1:365, dass ein neuer Erdenbürger wie das Jesuskind am Heiligen Abend zur Welt kommt. Foto: Foto: Sven Hoppe

    Geburtstag am Heiligen Abend – das ist schon etwas Besonderes. In Kleinsteinach gibt es gleich zwei „Christkinder“. Dr. Wolfgang Theißen, Jahrgang 1937, und Hermann Kaiser, Jahrgang 1938, sind sogar fast gleich alt. Wie war es in deren Kindheit? Was erinnern sie besonders? Geschenke zum Geburtstag und zur Weihnacht?

    Hermann Kaisers ältere Schwestern haben dem Nesthäkchen viel überliefert. „Es waren alle sechs Geschwister, Vater und sogar die Haushälterin bei meiner Geburt dabei.“ Letztere übernahm die Funktion der Hebamme, Geburten gehörten zu diesen Zeiten zum Lebensalltag. „Ich bin in der guten Stube, direkt beim Christbaum zur Welt gekommen.“ Eine Hausgeburt war früher an der Tagesordnung.

    Und Geschenke? Hermann Kaiser: Ich erinnere mich nicht, dass wir Weihnachtsgeschenke bekamen. Wenn, dann meist praktische Dinge wie einen neu gestrickten Pullover. Spielzeug haben wir uns selbst gebaut, oder wir haben draußen einfach ein Feuerchen gemacht und Lausbubereien ausgeheckt. Am Heiligen Abend wurde mir morgens gratuliert, ich bekam ein kleines Geschenk und dann ging es zur Tagesordnung über. Nach der abendlichen Besinnung unter dem Weihnachtsbaum ging die ganze Familie nach dem Festmahl zur Christmette.

    Karpfen in der Badewanne

    Besonders in Erinnerung blieb dem Buben, dass Vater Josef kurz vor Weihnachten einen Karpfen mitbrachte, der einige Tage in der Badewanne seinen Lebensabend fristete. „Wir Kinder haben ihn da gefüttert und hatten unsere Freude an dem Tier.“ Allerdings gab es für den Karpfen kein gutes Ende, er wurde an Weihnachten nebst einer Gans oder anderem Geflügel verspeist. Manche Rituale hat Kaiser bis heute beibehalten. Morgens wird zu seinem Geburtstag gratuliert, mittags kommen alle zum Kaffee und Abends geht es nach der Bescherung in die Kirche.

    Sogar der Karpfen musste bis vor ein paar Jahren in die Badewanne. Marianne Kaiser hat das nie so recht verstanden, aber es gab keinen Weg vorbei. Als dann eines Weihnachtstages der Fisch geschlachtet auf die Waage gelegt wurde, um das erforderliche Würzgewicht zu ermitteln, geschah das Unerwartete: Mit einem letzten Zucker schnellte der Karpfen aus der Waagschale und fiel zu Boden. Kindergeschrei und Staunen über das Nervenspiel des Totgeglaubten. Fortan gab es dann keinen Karpfen, mehr berichtet Marianne: „Keiner von uns hat den Karpfen so richtig gern essen wollen.“

    Im Kreis der Familie Theißen ging es im weihnachtlichen Trubel ruhiger zu, was vor allem an der angespannten Versorgungssituation im Krieg lag. Wolfgang Theißen wurde als erstes Kind von Else und Gerhard Theißen 1938 in Bonn geboren. Er erinnert sich im Rückblick an Weihnachten ab 1942.

    Sich selbst drehender Weihnachtsbaum

    Wolfgang Theißen: „1942 wurde mein Bruder Arno geboren, ich wurde fünf Jahre alt, hier beginnt meine Erinnerung zur Weihnacht. Ich bekam ein wunderbares Geschenk: ein Schuko Blechauto mit Aufziehfunktion. 1943 schenkte mir das Christkind einen Leuchtturm mit Batterielicht.“ Der 24. Dezember begann damit, dass Wolfgang gratuliert wurde, Geburtstags- und Weihnachtsbescherung wurde abends vorgenommen. Punkt 17 Uhr läutete das Glöckchen im Wohnzimmer, „Salon“ genannt. Dort stand der Christbaum. „Besonders toll war, dass unser Lametta geschmückter Baum sich im Ständer automatisch drehte, dabei erklang ein Glockenspiel.“ Die Weisen „Oh du Fröhliche“ und „Stille Nacht“ ertönten aus der Spieluhr. Nach der Bescherung saß man zusammen, das Weihnachtsmahl fiel karg aus. Es gab Brot, je nach Versorgungslage auch mal ein paar Plätzchen. Einzig die Tischdekoration mit Tannenreisig gab dem Ganzen eine besondere Note.

    1946 kam Vater Gerhard aus der Gefangenschaft zurück. Nach und nach kehrte Frieden und Lebensqualität zurück. Das Geburtstags- und Weihnachtsritual wurde fortgeführt, 1947 gab es am 1. Weihnachtsfeiertag das erste Festessen, so die Erinnerung Theißens. Die Familie ging nach der Bescherung zur Christmette. Ab 1946 wurde weiter im engsten Kreis der Verwandten gefeiert. Dies ist Tradition bei Edda und Wolfgang Theißen. Heute lebt die Familie im Riedbacher Gemeindeteil Kleinsteinach. Kurz vor den Feiertagen reisen die Gäste an, man genießt gemeinsame Stunden. Tochter, Schwiegersohn und die zwei Enkelinnen, manchmal Bruder Arno mit Familie, Angehörige von Ehefrau Edda, es ist stets ein turbulentes Weihnachtsfest.

    Die Theißens... Wolfgang Theißen wurde 1937 in Bonn geboren, dort lebte er mit Mutter Else und Vater Gerhard bis 1943, dann zog die Familie nach Cochem an der Mosel, um den Kriegsgefahren auszuweichen. Bei Wolfgangs Großeltern mütterlicherseits lebte die Familie – seit 1942 um Bruder Arno bereichert – in einer Wohngemeinschaft. Wolfgangs Vater, als Unterarzt im Krieg eingezogen, kam 1946 nach der Gefangenschaft in Heidelberg zurück zur Familie. Ab 1948 praktizierte Theißen wieder, zu den Hausbesuchen nutzte er bereits ein eigenes Auto. Als Entwicklungsleitlinien der Nachkriegszeit nannte Wolfgang Theißen drei Parameter: „Zuerst kam das ,Fressen‘, dann die Kleider, die Reise- und Urlaubslust.“ Allerdings fuhr man damals nicht in den Süden, sondern ein- bis zweimal für ein paar Tage zur Verwandtschaft ins Rheinland.

    Die Kaisers... Hermann Kaiser wurde 1938 in Mies, einer Stadt mit etwa 25 000 vorwiegend deutschen Einwohnern geboren. Im ehemaligen Böhmen (heute Tschechien) betrieb Vater Josef eine Baufirma und Zimmerei, beschäftigte mehrere Arbeiter und Gesellen. Ehefrau Barbara brachte sieben Kinder zur Welt: Gerlinde, Traudel, Adolf, Gretel, Willi, Walter und als jüngster Spross Hermann. Bis kurz vor Mai 1945 ging Josef davon aus, dass der Familie keine Gefahr drohte vor den Folgen des Weltkrieges. Doch mit Kriegsende wurden die Kaisers zunächst enteignet, mussten sich als Hilfskräfte verdingen, sogar die Kinder mussten anpacken. Der damals Siebenjährige empfand diese Zeit aber nicht als Demütigung. „Wir haben Kühe und Schafe und andere Tiere gehütet,“ Für Lausbubereien blieb allemal Zeit. Vater Josef wurde verhaftet, verschleppt und interniert. Er blieb nach dem Kriegsende verschwunden, spätere Recherchen ergaben, dass er in einem Lager seinen Verletzungen erlegen war. Die Restfamilie wurde nach Westen „ausgesiedelt“. Mutter Barbara, Gretel (Margarethe), Traudel, Gerlinde und Hermann kamen in Kleinsteinach unter. Willy und Adolf blieben vermisst, Walter ist im Kindsalter verstorben.

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