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SCHWEINFURT: Wenn Nerven den Schutz verlieren

SCHWEINFURT

Wenn Nerven den Schutz verlieren

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    Heike Pistorius-Schuch, die an der seltenen Krankheit Adrenomyeloneuropathie leidet, hält sich beispielsweise mit Pilates fit. Die Schweinfurtern engagiert sich auch für andere Betroffene.
    Heike Pistorius-Schuch, die an der seltenen Krankheit Adrenomyeloneuropathie leidet, hält sich beispielsweise mit Pilates fit. Die Schweinfurtern engagiert sich auch für andere Betroffene. Foto: FOTO Fuchs-Mauder

    Heike Pistorius-Schuch sieht man auf den ersten Blick nicht an, welch schwere Krankheit sie in sich trägt. Die 48-Jährige arbeitet als Friseurmeisterin in einem Schweinfurter Salon, muss dort den ganzen Tag stehen und gehen, aber das ist für sie kein Problem. „Im Alltag beeinträchtigt mich meine Krankheit nicht in so großem Maße“, sagt sie. Schlimmer sei, dass man wisse, es könne auch ganz anders kommen.

    Bruder auch betroffen

    Wie schlimm die derzeit noch nicht heilbare Krankheit verlaufen kann, das hat sie bei ihrem Bruder gesehen. Bereits mit sechs Jahren ist die Erbkrankheit Adrenoleukodystrophie, die genau wie Adrenomyeloneuropathie zu den Leukodystrophien gehört und auf dem X-Chromosom übertragen wird, bei ihm ausgebrochen. Im Erwachsenenalter wurde es immer schlimmer, nach anfänglichen Gehstörungen war er irgendwann auf den Rollstuhl angewiesen, dann wurde er bettlägrig. Mit nur 42 Jahren ist er schließlich gestorben. „Denn zunächst ist es eine Stoffwechselkrankheit, die aber schlimme neurologische Auswirkungen hat“, erläutert Heike Pistorius-Schuch.

    Neben Gang- und Gleichgewichtsstörungen treten häufig Schluckbeschwerden auf, Magensonden sind nicht selten, die Krankheit kann auch zu Inkontinenz führen, oder zu starkem Zittern und unkoordinierten Bewegungen. Auch Taubheit oder Blindheit zählen dazu. Dass es ihr irgendwann aber so schlecht ergehe, wie ihrem Bruder, glaubt Heike Pistorius-Schuch nicht. „Bei einer Frau verläuft die Krankheit im Normalfall weniger dramatisch.“

    Bei Adrenomyeloneuropathie-Patienten wird die Myelinschicht, welche die Nerven im Gehirn und im Rückenmark schützt, abgebaut. „Ein Arzt hat uns das mal so erklärt: Das muss man sich vorstellen wie bei einem Stromkabel, wenn die Isolierung immer mehr zerstört wird. Und irgendwann kommt es zum Kurzschluss“, erläutert Ehemann Klaus Schuch, der sich in all den Jahren mittlerweile auch intensiv mit dem Krankheitsbild beschäftigt hat. Die Krankheit zählt zu den Leukodystrophien.

    Heike Pistorius-Schuch lässt sich erst 1990 auf Adrenomyeloneuropathie testen. Denn sie und ihr Mann Klaus wünschen sich zu diesem Zeitpunkt Kinder. „Doch das Ergebnis war, dass ich Überträgerin der Krankheit bin. Und da war uns das Risiko zu groß.“ Das Risiko, ein Kind zur Welt zu bringen, dessen X-Chromosom den gleichen Gendefekt hat. Das ist die größte Einschränkung, die Heike Pistorius-Schuch und ihr Mann bisher durch ihre Krankheit hinnehmen mussten. Hinzu kommen immer wieder Aufenthalte in speziellen Ärztezentren, mit Untersuchungen der Nervenleitgeschwindigkeit, Kernspintomographie und anderem.

    Kinder im Rollstuhl

    „Schlimm war auch, als wir das erste Mal zu einem Patiententreffen gefahren sind“, erinnert sich Klaus Schuch. „Da waren einige schwer kranke Kinder im Rollstuhl dabei.“ Das sei gewöhnungsbedürftig gewesen, ergänzt seine Frau: „Einige der Kinder können nicht mehr sprechen, nicht mehr schlucken, sie werden durch eine Magensonde ernährt.“ Außerdem haben sie im Laufe der Jahre viele Menschen auf den Treffen kennen gelernt, die dann an ihrer Krankheit gestorben sind. „In manchem haben wir auch positive Erfahrungen gemacht“, sagt Klaus Schuch dann, „die Krankheit hat uns stark zusammen geschweißt.“

    Seit der Gründung des Bundesvereins in den 90er Jahren engagiert sich Heike Pistorius-Schuch auch im Bundesverein Leukodystrophie, seit acht Jahren ist sie dort im Vorstand; der Bundesverein ist auch Mitglied der ACHSE, der Allianz chronisch seltener Erkrankungen. Als selten gilt eine Krankheit, wenn weniger als 0,5 Promille der Bevölkerung an ihr leiden. „Aber nimmt man alle Patienten, die an seltenen Krankheiten leiden, zusammen, sind es in Europa rund fünf Prozent der Bevölkerung“, verdeutlicht Heike Pistorius-Schuch die Situation. Diesen Einzelfällen eine Stimme zu geben und ihnen zu helfen, vor allem auch bei Verhandlungen mit den Krankenkassen, das ist eines ihrer Ziele bei der Arbeit im Bundesverband. Außerdem soll durch Lobby-Arbeit auch versucht werden, die Forschung zu beschleunigen. Daher findet auch zum ersten Mal der Tag der seltenen Krankheiten statt: „Dafür wurde bewusst der 29. Februar gewählt: Ein seltener Tag für seltene Menschen“, so die engagierte Frau. Im nächsten Jahr werde er dann aber am 28. Februar stattfinden.

    „In Deutschland gibt es zur Zeit etwa 1000 bekannte Patienten mit Adrenomyeloneuropathie. Aber natürlich gibt es noch eine Dunkelziffer“, erklärt Klaus Schuch. Denn Diagnosen bei solch seltenen Krankheiten seien schwierig. Heilung sei nicht möglich, ein bestimmtes Rapsöl mit Namen „Lorenzos Öl“, benannt nach der Hauptfigur in einem Film über ein an Adreneuroleukodystrophie leidendes Kind, kann helfen. „Möglich ist gerade bei Kindern auch eine Verbesserung durch eine Knochenmarktransplantation, bei Erwachsenen hilft fettarme Diät und viel Sport, den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen“, sagt Heike Pistorius-Schuch. „Und etwas Gutes hat die Krankheit mir gebracht. Ich lebe viel bewusster.“ Sie macht Pilates und Tai-Chi, um ihren Körper sanft in Bewegung zu halten und damit der Krankheit so lange es geht etwas entgegenzusetzen. Dabei möchte sie auch anderen Menschen helfen: Betroffene, die sich über seltene Krankheiten informieren wollen, können sich bei ihr abends ab 19 Uhr telefonisch melden unter Tel. (0 97 21) 34 4 25.

    Online-Tipp

    Mehr Informationen zu seltenen Krankheiten und zum Aktionstag für seltene Krankheiten unter www.mainpost.de, mehr Informationen über den Bundesverband Leukodystrophie: www.bvlev.de.

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