In diesen Tagen feierte Adrian Price im kleinen Hohnhausen, einem Gemeindeteil von Burgpreppach (Lkr. Haßberge), seinen 70. Geburtstag. Zahlreiche Freunde und Verwandte kamen, um dem beliebten Engländer zu gratulieren. Als Überraschungsgast reiste Valerie Bloomfield in die Haßberge. Sie ist die Schwester von Adrian Price. Doch er kennt sie erst seit zwei Jahren.
Die Lebensgeschichte des 70-Jährigen ist außergewöhnlich. Adrian Price wächst in England behütet in einem kleinen Dörfchen in der Nähe von Dover auf. Als er elf Jahre alt ist, nehmen ihn seine Eltern zur Seite. „Sie haben mir gesagt, dass ich nicht ihr leiblicher Sohn bin, sondern dass sie mich als Baby adoptiert hatten“, erzählt Price. Gefühlsmäßig geändert habe sich für ihn dadurch nichts. „Sie blieben meine Eltern.“ Und die beiden jüngeren Töchter des Ehepaares Price blieben für ihn seine Schwestern. Elisabeth starb mit 22 Jahren an einer schweren Krankheit, mit Jane McKenna hat Price aber noch regen Kontakt.
In all den Jahren hat Adrian Price nie versucht, Details über seine eigentliche Familie, über seine tatsächlichen Wurzeln herauszufinden. Er hatte kein Bedürfnis danach. „Das war damals in England nicht erwünscht“, erzählt er. „Adoptierte Kinder sollten keinen Kontakt zu ihrer leiblichen Familie aufnehmen können.“
Dementsprechend schwierig bis unmöglich war es auch, an wichtige Urkunden und Adoptionsunterlagen heranzukommen. Erst in den vergangenen Jahren habe sich in Großbritannien ein Meinungsumschwung durchgesetzt. Nun sei es deutlich einfacher geworden, bei Standesämtern und Familienbehörden Einsicht in Akten zu nehmen, so Price.
Adrians Ehefrau Chris Atkinson-Price, die im Königreich als Beamtin in der Sozialverwaltung gearbeitet hat, begann bereits vor 22 Jahren zu recherchieren – ohne dass ihr Mann lange Zeit davon wusste. Mehrere Jahre brauchte sie, bis sich kleinste Puzzleteile allmählich zum Ganzen fügten und eine gänzlich neue Lebensgeschichte von Adrian Price zum Vorschein kam: Vor 70 Jahren, am 2. Juni 1946, wurde William Robert Emerson geboren. Doch Mutter Rose Emerson wollte das Kind nicht. Sie übergab das Baby an die junge Joan Price, die im gleichen Dorf lebte und kurz zuvor eine Totgeburt erlitten hatte.
Das Ehepaar Price adoptierte den Buben nach einigen Monaten – und änderte auch seine Vornamen. Aus William Robert Emerson wurde über Nacht Adrian Stephen Price.
Warum seine leibliche Mutter damals offenbar überfordert war und ihn zur Adoption freigab, darüber kann Adrian Price heute nur spekulieren. In der Geburtsurkunde von William/Adrian vom 2. 6. 1946 ist der Ehemann von Rose als Vater des Kindes eingetragen. „Doch neun Monate vor meiner Geburt ist der noch im Krieg gewesen“, sagt Adrian Price. „Mein richtiger Vater könnte mein Onkel gewesen sein.“ Soll heißen: Als eigentlicher Kindsvater kommt der Schwager von Rose in Betracht. Mutmaßlich war dies auch der Grund, warum die Mutter das Kind hergab.
Die Person, die alle Fragen hätte beantworten können, war Rose Emerson selbst. Doch sie ist vor fünf Jahren gestorben. „Ich habe sie leider nie treffen können“, bedauert Price. Er hatte seiner leiblichen Mutter, kurz nachdem seine Frau Chris Atkinson-Price ihm die ersten Ergebnisse der Familien-Recherche präsentiert hatte, zwar einen persönlichen Brief geschrieben und sie um ein Treffen gebeten. „Doch sie wollte nicht.
“ Mittlerweile meint Adrian den Grund für die enttäuschende Ablehnung seiner Mutter zu kennen: „Sie war in zweiter Ehe mit einem Mann verheiratet, der gewalttätig war. Sie hatte wohl Angst vor ihm.“
Die peniblen Nachforschungen von Adrians Ehefrau Chris haben in der Zwischenzeit weitere Verwandtschaftsbeziehungen zu Tage gebracht. „Ich habe noch einen jüngeren Bruder“, weiß jetzt der Engländer, der schon seit 1966 in Deutschland lebt und Jahrzehnte lang als Repro-Fotograf in einer Druckerei in Hofheim gearbeitet hat. Beim Bruder ergeht es ihm wie bei der leiblichen Mutter: „Er zeigt kein Interesse, mich kennenzulernen.“
Anders verhält es sich mit der 73-jährigen leiblichen Schwester, die Prices Ehefrau in Vindelle in Frankreich ausfindig machen konnte. Valerie Bloomfield hatte zunächst nicht auf den Brief reagiert, in dem sich Adrian Price nach fast 70 Jahren als ihr Bruder vorstellte. Zu abwegig erschien ihr wohl die ganze Angelegenheit. Erst ein Besuch in ihrem Heimatdorf in Südengland änderte Valeries Meinung. Eine alte Frau deutete ihr dort in einem Gespräch an, dass es wohl doch einen Bruder geben könnte.
Vor zwei Jahren kam es zum bislang einzigen Zusammentreffen der Geschwister. Das Ehepaar Price machte auf der Heimreise vom Spanienurlaub einen kurzen Abstecher nach Vindelle.
Umso mehr freute man sich, dass Valerie Bloomfield mit ihrem Mann Albert überraschend beim Geburtstagsfest von Adrian Price auftauchte. Dort trafen sie auf Jane McKenna – jene Frau, von der Adrian Price jahrzehntelang dachte, sie sei seine einzige Schwester.