Emma Prinzessin zu Ysenburg-Büdingen war 18 Jahre alt, als sie im Mai 1859 mit dem ihr eben angetrauten Mann, dem 29-jährigen Grafen Wolfgang zu Castell-Rüdenhausen, Erbe eines alten Familienbesitzes, in ihrer neuen Heimat eintraf. „Ganz Rüdenhausen war ein Blumengewinde und reich mit Fahnen dekoriert, sah sehr freundlich und festlich aus“, notierte Emmas Mutter zufrieden.
„In dem freundlichen Schlosshofe vor dem festlich geschmückten Schlosse stand Wolfgangs Verwandtschaft zum Empfang und begrüßte meine Emma unendlich herzlich“, schrieb die Mutter in einem Brief. „Mit leuchtenden Augen führte Wolfgang sie in ihre wunderhübschen Zimmer, in denen sich noch viele Geschenke fanden.“
Die Einwohner Rüdenhausens freuten sich ebenfalls, wie Emmas Mutter feststellen konnte: „Sämtliche Bürger zogen im Hofe auf und Wolfgang führte seine Emma herunter, erhielt eine Masse kleiner Geschenke von Mädchen, Kindern, Bauern usw. Das Ganze machte einen außerordentlich gemütlichen Eindruck und Wolfgangs Freundlichkeit mit den Leuten gefiel mir sehr.“
Emma und Wolfgang zogen in das erst kurz zuvor fertiggestellte Neue Schloss. Was sich hier und in den adeligen Familien des fränkischen Umlands (unter anderem Castell-Castell, Schönborn und Bechtolsheim) in den nächsten sechs Jahrzehnten ereignete, steht in Emmas Erinnerungen, die jetzt als Veröffentlichung der Gesellschaft für fränkische Geschichte erschienen sind.
Hauptquelle war ihr gutes Gedächtnis; zudem verwendete sie aufbewahrte Briefe. Für die letzten vier Jahrzehnte ihres Lebens haben sich auch Tagebücher erhalten. Aus ihren Fotoalben wurden zahlreiche Aufnahmen, zum Teil in Farbe, in den Band übernommen.
Der Herausgeber Jesko Graf zu Dohna leitet das Fürstlich Castell’sche Archiv in Castell. Im Jahr 2005 erschien sein bemerkenswertes Buch „Die 'Jüdischen Konten’ der Fürstlich Castell’schen Credit-Cassen und des Bankhauses Karl Meyer KG“, in dem sich die Castell-Bank selbstkritisch mit der Haltung ihrer führenden Kräfte zum Nationalsozialismus und zu ihren jüdischen Kunden auseinandersetzte.
Emma Fürstin zu Castell-Rüdenhausen legte ihre „Lebenserinnerungen einer alten Frau“ – so der Originaltitel – 1916 auf Bitten einer ihrer Töchter zunächst auf 1350 Seiten handschriftlich nieder. Im Herbst 1919 begann sie einen Nachtrag abzufassen. Der letzte Eintrag stammt vom 12. Januar 1920. Eine zweite, ebenfalls handschriftliche und leicht veränderte Version, befindet sich im Castell’schen Archiv. Der Hausgeber hat die Veränderungen kenntlich gemacht, alle Personen, soweit möglich, mit biographischen Angaben erläutert und zeitgeschichtliche Hintergründe in Fußnoten beleuchtet.
Zwischen 1860 und 1879 bekam Emma zwölf Kinder, sieben Buben und fünf Mädchen, von denen drei im Kindesalter starben. Ihr Erstgeborener, Siegfried, der später ein erfolgreicher Diplomat wurde, blieb zeitlebens ihr erklärter Liebling. Über seinen frühen Tod als deutscher Gesandter in Santiago de Chile im Jahr 1903 kam sie nie hinweg.
Über den Moment, in dem sie von seinem Tod erfuhr, schrieb sie: „Es war ein Augenblick, in dem ich das Gefühl hatte als ginge die Welt in Trümmer. Für mich ist das Leben nie mehr geworden, was es vorher war.“
Im Deutschen Bruderkrieg von 1866 stand die Familie auf der Seite des mit Bayern verbündeten Österreich. „Was früher in Deutschland Anspruch auf Vornehmheit und Elegance machte, trat in österreichische Dienste und auf die preußische Armee wurde immer etwas mit Spott herabgesehen“, notierte Emma rückblickend.
„Unser Haus war beständig voller Einquartierung und unzählige Truppen zogen unten am Tor vorbei, zum Entzücken meiner Söhne“, heißt es weiter. „Mit allen Offizieren freundeten sie sich an und einmal nahmen sie einige Artillerieleutnants in einem sechsspännigen Wagen mit zu einer Fahrt, was mir eigentlich etwas unheimlich war. Ich war froh, als ich sie mit heiler Haut wieder hatte.“
Die Erinnerungen sind nicht ohne komische Momente. So erkrankte Emmas Ehemann Wolfgang 1877 schwer an Typhus und die ganze Familie bangte um sein Leben. „Die Kinder saßen alle zusammengekauert auf dem Gang vor der Schlafzimmertüre und wollten nicht mehr spielen“, steht in den Erinnerungen. „Nur der zweijährige Wolfi sang mit schmetternder Stimme: 'Du bist verrückt mein Kind / Du musst nach Berlin / Wo die Verrückten sind, / Da musst du hin.’“
„Man konnte ihn ruhig singen lassen“, heißt es dann trocken, „denn Papa war, wie es immer beim Typhus der Fall ist, ganz taub.“
Da sie nicht dem strengen „Hausgesetz“ entsprachen, konnte Emma die Ehen ihrer Söhne Alexander und Wolfgang mit den Schwestern Ottilie und Hedwig von Faber aus der gleichnamigen, noch nicht lange geadelten Bleistiftdynastie niemals wirklich akzeptieren.
Die 20-jährige Ottilie („Tilly“) Freiin von Faber heiratete 1898 den 31-jährigen Alexander. Gemeinsam nahmen sie den Namen Graf und Gräfin von Faber-Castell an. „Ich kann nicht leugnen, dass mir die Verbindung sehr schwer war“, notierte Emma, „und dass ich alles daran setzte, um sie zu verhindern. Aber Alexanders großes Herz hing daran und er ist ja auch, Gott sei Dank, sehr glücklich geworden.“
Dies schrieb Emma 1916. Tatsächlich wurde die Ehe 1918 geschieden und Ottilie heiratet noch im selben Jahr ein zweites Mal, diesmal einen geschiedenen Major. „Es wurde alles versucht, Tilly von ihrem Vorhaben abzubringen“, heißt es in den Memoiren. „Ich schrieb ihr selbst und bat sie darum, aber es war umsonst und sie war wie betört.“ Im Jahr 1998 hat Asta Scheib Ottilies Lebensgeschichte in ihrem Buch „Eine Ziere in ihrem Haus“ literarisch verarbeitet.
So sehr die Fürstin glanzvolle Familienfeste genießen konnte und sie auch ausgiebig in ihren Erinnerungen beschreibt, so unwichtig war ihr der königliche Hof in München. Ihren Mann begleitete sie praktisch niemals zu den Sitzungswochen der ersten Kammer des Bayerischen Landtags und mied jede Art von Hoffesten. Die Castells besaßen auch kein Palais in München oder einer anderen Stadt. In Rüdenhausen dagegen führte sie mit ihrem Mann ein großes Haus, in dem stets Gäste ein und aus gingen und zahlreiche Diener, Kutscher, Haus- und Gartenangestellte von ihr „regiert“ wurden.
Mit dem Tod ihres Mannes 1913 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs begann für sie eine schwere Zeit, in der sie 1917 auch noch ihren Sohn Otto verlor. Am 21. April 1926 starb Emma Fürstin zu Castell-Rüdenhausen mit 85 Jahren im Kreis ihrer Kinder und Enkel in Rüdenhausen; sie wurde unter großer Beteiligung der Bevölkerung und der adeligen Nachbarschaft am 26. April im Familiengrab, der sogenannten „Gruft“, beigesetzt.
Das Buch:
Emma Fürstin zu Castell-Rüdenhausen, Erinnerungen, hrsg. von Jesko Graf zu Dohna, Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte, Reihe XIII: Neujahrsblätter, Bd. 50, 694 Seiten, zahlreiche Abbildungen teilweise in Farbe, Stammtafeln, Wissenschaftlicher Kommissionsverlag Stegaurach, 39,80 Euro.
Vorstellung:
Im ehemaligen Gasthaus zum Goldenen Reh auf dem Friedrichsberg bei Abtswind stellt Herausgeber Jesko Graf zu Dohna das Buch „Erinnerungen“ am Freitag, 28. November, um 15.30 Uhr vor. Um Anmeldung per Mail an archiv@castell.de wird gebeten.