Die Idylle in der Plattnersgasse trügt. Das etwa 1939/40 entstandene Foto (rechts) ist eine der wenigen Aufnahmen, die wenigstens die gesamte Rückfront der ehemaligen jüdischen Synagoge zeigt, die in einen Häuserblock zwischen der Wirtsgasse und der Plattnersgasse eingeklemmt war. Bei genauem Betrachten sind aber auch die Folgen der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 zu erkennen: Das Synagogendach ist beschädigt. Es fehlen mehrere Reihen Dachziegel. Regen kann in das Innere der Synagoge eindringen.
In der „Reichskristallnacht“ hatten „wutentbrannte Volksgenossen“, so die Lesart der Nazis, in Uniform nicht nur in den letzten, verbliebenen Judenwohnungen alles zertrümmert, was ihnen in die Hände gefallen war. Sie drangen auch in die Synagoge ein, schändeten die Kultgegenstände, schlugen alles kurz und klein und zündeten schließlich die Überbleibsel an.
Der Brand der Synagoge sollen die Feuerwehrleute rasch gelöscht haben. Wohl nicht aus Mitleid mit den jüdischen Mitbürgern wegen der Schändung und Zerstörung ihres Gebetshauses, sondern eher aus Furcht, die Flammen könnten sich in der eng bebauten Altstadt allzu rasch ausbreiten. Für die damalige Stadtleitung mag dies alles nicht ganz ungelegen gekommen sein. Bereits im August 1938 hatte die Stadt mit der jüdischen Kultusgemeinde verhandelt, um das Synagogengebäude zu kaufen. 1939 hatten die letzten Juden ihre Heimatstadt Gemünden verlassen – für viele der Weg in die Deportation. Die jüdische Gemeinde hatte aufgehört zu bestehen. Die Synagoge ging in städtischen Besitz über.
Abriss für den Straßenverkehr
Im Frühjahr 1941, in der Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende, versuchte die Stadt das schon länger geplante Projekt „Verbesserung der Verkehrsverhältnisse durch Abbruch eines Häuserblocks“ zu verwirklichen. Das heißt, alle Gebäude zwischen Wirts- und Plattnersgasse (drei Wohnhäuser und die Synagoge), eventuell noch das direkt an den Mühltorturm angebaute Haus der Witwe B. Diemer, sollten abgerissen werden.
Damit sollte die Verkehrsführung zwischen Mühltor und Rathaus verbessert werden, indem die Engstellen und die gefährliche Kurve Plattnersgasse/Fischmarkt entfernt wurden. Außerdem hätte so Raum für einen „Markt- und Kundgebungsplatz“ sowie ein Parkplatz geschaffen werden können. Während für den Erwerb der zum Abbruch bestimmten Häuser jeweils sechs bis 11 000 Reichsmark (RM) gerechnet wurden, fielen für die Synagoge nur 100 RM an. Für 30 000 RM war der Neubau von fünf Ersatzwohnungen geplant.
Da die Stadt die veranschlagten Gesamtkosten für Abbruch und Neugestaltung der Straßenführung von rund 76 000 RM aus eigenen Mitteln nicht aufbringen konnte, bemühte sich Bürgermeister Beigel um einen größeren Staatszuschuss. Als Begründung führte er unter anderem an: „Auch wenn für den ständig zunehmenden Verkehr auf der vom Saaletal kommenden Landstraße I. O. bereits eine Umgehung vom Mühlbach entlang zur Saalebrücke geplant ist, wird sich auch weiterhin ein großer Teil des Autoverkehrs noch durch diesen Altstadtteil abwickeln. – Gerade nach Eintritt des Volkswagenverkehrs besteht ein unabweisbares Bedürfnis für einen größeren Parkplatz.“
Das Vorhaben konnte während des Krieges nicht mehr realisiert werden. Aber die Amerikaner erledigten bei Kriegsende durch Bomben und Beschuss den Abbruch dieses – und vieler anderer – Häuserblocks. Beim Wiederaufbau entstand die heutige Straßenführung am Mühltorturm vorbei ins Saaletal.
Rückgabe an die Stadt
Auf Drängen von Bürgermeister Dr. Büchner gab das Landratsamt Gemünden den Zuschussantrag samt zugehöriger Bilddokumentation 1956 an die Stadt zurück. Die Begründung war, das Vorhaben sei seinerzeit nicht verwirklicht worden und habe sich 1945 mit den Kriegseinwirkungen erledigt. Außerdem sei das Bildmaterial für die Stadtverwaltung sehr wertvoll. Heute zählen die qualitätvollen Aufnahmen zu den besonderen Schätzen des Stadtarchivs.