Der Dichter, Dramatiker, Volkserzieher und Kulturpolitiker Leo Weismantel hat vor 125 Jahren in Obersinn das Licht der Welt erblickt. Er war ein unbequemer Denker. Sowohl unter den Nazis als auch in der jungen Bundesrepublik, die ihn missverstand, war er verpönt. Auch deshalb ist sein Werk heute weitgehend vergessen, obwohl er in der Weimarer Republik ein bekannter deutscher Schriftsteller war. Auch seine Heimatgemeinde Obersinn musste sich mit ihm aussöhnen. Doch ist seine Weste nicht blütenweiß.
Vier der sechs Kinder des Kaufmanns August Weismantel und seiner Frau Barbara waren gestorben. Sie beteten deshalb um ein weiteres Kind und errichteten auf dem Obersinner Hartberg ein Gelübdekreuz. Am 10. Juni 1888 kam das erbetene Kind: Die glücklichen Eltern nannten es Leo, nach Papst Leo XIII. Ihr Wunschkind sollte Priester werden. Der Obergeistliche lehrte ihn Latein, mit zwölf Jahren ging Leo auf das Gymnasium nach Münnerstadt, das unter der Leitung des Augustinerordens stand. Doch es kam anders. Schon damals schrieb er Gedichte und Erzählungen. Wegen eines Lungenleidens trat er nach der siebten Klasse aus.
Als Leo wieder genesen war, studierte er, ohne Abitur, in Würzburg Zahnmedizin und besuchte Vorlesungen der philosophischen Fakultät. In zweijähriger Frist löste er die geografische Preisaufgabe der Universität, die Haßberge in einem Werk zu umschreiben. Dies war seine Doktorarbeit. Doch bevor die Arbeit 1914 angenommen wurde, musste er das Abitur nachholen. 1915 heiratete er.
1917 erschien Weismantels erster Roman aus der Rhön, „Mari Madlen“, den er zeilenweise in den Unterrichtspausen der Handelsrealschule Adam in Würzburg geschrieben hatte, wo er sich als Lehrer verdingt hatte. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab es genug Stellen für Lehrer, die aus gesundheitlichen Gründen nicht eingezogen wurden. An der Schule lehnte er sich erstmals – erfolglos – gegen den sturen Paukbetrieb auf. Der tief religiöse Pädagoge war vom Reformeifer besessen, vertraute auf die ureigenen schöpferischen Kräfte, die Kindern innewohnen.
In den 20er Jahren gehörte er zu den führenden Geistesschaffenden Deutschlands. 1920 zog er nach Marktbreit, ging dann nach Wien und ins Allgäu. Von 1924 bis 1928 vertrat Weismantel als Abgeordneter die Christlich-Soziale Partei (ab 1925 Christlich-Soziale Reichspartei) im Bayerischen Landtag. So konnte er 1926 eine Schulreform durchsetzen. Nebenher veröffentlichte er Romane, Theaterstücke und pädagogische Schriften. 1928 zog er wieder nach Marktbreit und gründete die „Schule der Volkschaft“, ein privates pädagogisches Forschungsinstitut. Weismantel setzte sich für die Stärkung der Volksschulen ein, für eine neue Kunsterziehung und für den Erhalt des Brauchtums.
Die Gemeinde Oberammergau bat Weismantel 1932, eine Neufassung der Passion zu schreiben. 1933 verhinderte der Einspruch führender Nazis die Änderung und Erneuerung der Spiele. Geblieben ist nur Weismantels 1933 uraufgeführte „Die Pest anno 1633“. Dieses Stück wurde seitdem jeweils zu Beginn der Passionsspielzeit aufgeführt, 1998 wurde der Text gründlich überarbeitet.
1933 Jahr erschien Weismantels Stück „Sonnenwendfeier des jungen Deutschland – ein Weihespiel neuen Volkstums“. Dieses lässt heute etwas schaudern. Es ist von einem „neuen Reich“ die Rede. Im zweiten Teil des Stücks wird die Puppe eines „waschechten Kapitalisten“ verbrannt wie ein „Schubkarren schlechter Bücher“, Produkt der „Kuppler, Wechselfälscher, Heuchler, Schönredner, Schmierfinken, Irrlehrer gegen Glauben und Volk, gegen Kirche und Heimat“.
Mit dem „neuen Reich“ meinte Weismantel wohl das „Reich Gottes“, kein „Drittes Reich“. Der Rest hingegen hinterlässt einen üblen Nachgeschmack, auch wenn Weismantel sicher kein Nazi war. Dazu kommt jedoch, dass er, wie auch die Rienecker Dichter Walter Bloem und die Brüder Schnack, im Oktober 1933 – wohlgemerkt nach den Bücherverbrennungen und dem Ausschluss jüdischer Schriftsteller aus den Verbänden – das öffentliche Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler unterschrieb. Das wirft heute Fragen auf: War Weismantel Hitler-Sympathisant? War sein Katholizismus geprägt von dem kirchlicherseits jahrhundertelang gepflegten Antisemitismus? In seinem Roman „Das Totenliebespaar“ (1941) über Matthias Grünewald gibt es eine so zu deutende, unselige Passage. Oder war alles nur ein misslungener Anbiederungsversuch?
Es ging ihm jedenfalls alles andere als gut unter den Nazis. 1936 schlossen sie seine Forschungsanstalt, in der nationalsozialistischen Presse wurde er als „Jude“ und „Systemblüte“ bezeichnet. Weismantel zog nach Würzburg. Doch die Nazis hatten ihn auf dem Kieker, stampften seine Legendensammlung „Wie der Heilige Geist das deutsche Volk erwählte“ sofort ein. Nach Georg Elsers gescheitertem Attentat auf Hitler verhaftete die Gestapo Weismantel am 10. November 1939; 1942 erhielt er Schreibverbot.
Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde er erneut verhaftet. In der Haft erlitt er eine Darmlähmung und wurde von einem ihm wohlgesonnen Arzt nach bangen Wochen gerettet. Während seines Genesungsaufenthalts in Obersinn erfuhr er von der Würzburger Bombennacht am 16. März 1945, in der seine Wohnung in der Theaterstraße zerstört wurde. Seine Bücher, wertvolle Dokumente und Manuskripte verbrannten.
Die Amerikaner führten Weismantel schon 1944 auf einer „weißen Liste“ mit unbelasteten Persönlichkeiten. Von Deutschen auf dieser Liste versprachen sich die Amerikaner nach dem Krieg Hilfe beim Aufbau einer Demokratie. Weismantel wurde als möglicher bayerischer Kultusminister gehandelt. Doch der lehnte – wohl aus gesundheitlichen Gründen – ab, ging stattdessen als Schulrat nach Gemünden, wo er aber nicht lange blieb. Weismantel eckte mit seinen Reformvorstellungen an. 1946 entließ das Kultusministerium den „Linkskatholiken“. Von 1947 bis 1951 war er Professor für Deutsch und Kunsterziehung an einem neuen pädagogischen Institut in Fulda.
Anlässlich der 150-Jahr-Feier des Stadtheaters Würzburg 1954 sollte Weismantel die Festrede halten. Doch wurde der Pazifist ausgeladen, nachdem bekannt wurde, dass er an einem von der evangelischen Kirche der DDR initiieren gesamtdeutschen Dichtertreffen auf der Wartburg in Eisenach teilgenommen hatte. Dort hatte er über „Der Dichter und die Wahrheit“ gesprochen: „Wir stehen als Dichter in der Welt, nicht nur um Literatur zu erzeugen, sondern um diese Welt zu bessern und zu ändern.“
Er wurde daraufhin von katholischen Zeitungen, auch dem Fränkischen Volksblatt, als „kommunistenhörig“ diffamiert, angesehene katholische Verlage legten seine Titel nicht mehr auf. Es folgten sogar Prozesse und Ermittlungsverfahren wegen des Verbreitens staatsgefährdender Schriften. Als er – ein Skandal – 1957 mit Verleger Ernst Rowohlt zu den Weltfestspielen der Jugend nach Moskau reiste, wurde sein Konto zeitweilig gesperrt.
Weismantel kämpfte unbeirrbar und ohne Ansehen der Ideologie um Frieden und mehr Menschlichkeit, besonders für die Aussöhnung mit dem Osten. Er eiferte vehement gegen Wiederbewaffnung und Aufrüstung. Der zutiefst religiöse Weismantel geriet schließlich sogar in Konflikt mit der Amtskirche. Als 70-Jähriger trat er aus der katholischen Studentenverbindung aus, die ihn aufgefordert hatte, sich wegen der Ostkontakte einem Ehrengericht zu stellen.
Weismantel starb nach einem Herzinfarkt am 16. September 1964 im pfälzischen Rodalben. Beigesetzt wurde er in Jugenheim an der Bergstraße, wohin er 1956 gezogen war. Obersinn musste sich mit dem Dichter aussöhnen. In den 30er Jahren hatte eine politische Schmähschrift gegen Weismantel an der Kirchentür gehangen, der Pfarrer hatte sogar eine Glockenspende von „dem roten Dichter“ abgelehnt. 1948 verlieh ihm die Marktgemeinde die Ehrenbürgerwürde. Bei den Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag des Schriftstellers 1988 setzte Obersinn ihm schließlich ein Denkmal an der Volksschule.
Wichtige Werke
1. Rhönromane: Mari Madlen – Das unheilige Haus – Die Rhöntrilogie: Das alte Dorf/Die Geschichte des Hauses Herkommer/Das Sterben in den Gassen)
2. Biographische Romane: Dill Riemenschneider – Leonardo da Vinci – Gericht über Veit Stoß – Albrecht Dürer (zwei Bände)
3. Bühnendichtungen: Der Wächter unter dem Galgen – Der Totentanz 1921 – Die Kommstunde – Salas y Gomez – Der Frankfurter Jedermann.
4. Religiöse Schriften: Elisabeth – Maria – Der Prozeß Jesu – Die guten Werke des Herrn Vinzenz – Franz und Clara – Die Letzten von Sankt Klaren