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GEMÜNDEN: Achtung des Lebens ist junge Errungenschaft

GEMÜNDEN

Achtung des Lebens ist junge Errungenschaft

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    Birgit Amann und Gerhard Köhler beim Vortrag.
    Birgit Amann und Gerhard Köhler beim Vortrag. Foto: Foto: Herbert Hausmann

    Menschen mit einer Behinderung haben, wenn auch unterschiedlich, schon immer in der Menschheitsgeschichte eine besondere Rolle gespielt. Mal wurden vor allem Blinde als „Seher“ (Wahrsager) verehrt, ein anderes Mal Behinderte als „lebensunwert“ getötet. Auf das Josefshaus als Lern- und Pflegeeinrichtung gingen Dr. Gerhard Köhler und Birgit Amann in einem Vortrag im Kulturhaus ein.

    „Es gibt nur wenige Quellen zum Umgang mit behinderten Menschen in der römischen und griechischen Antike“, erklärte Köhler vor etwa 20 Zuhörern. Bekannt sei jedoch, dass sie in ihrer Zeit nur wenig Hilfe und Zuneigung erfuhren, mit Ausnahme der Kriegsinvaliden, deren Schäden als ehrenvoll angesehen wurden.

    Allgemein wurde eine körperliche Fehlbildung als Strafe der Götter oder das Werk von Dämonen angesehen. „Die Aussetzung und Tötung missgebildeter Kinder nach der Geburt war gesellschaftlich akzeptiert“, so der Referent. Schönheit galt dagegen als höchster Wert in der Gesellschaft.

    Ein Beispiel dafür bot im Mittelalter die Geschichte der heiligen Ottilie, deren Gemälde auch in der Klosterkirche in Schönau zu sehen ist. Die Tochter eines Herzogs war blind geboren und deshalb von ihrem Vater verstoßen worden. Erst das Christentum habe im Mittelalter eine neue Ethik aufkommen lassen. Behinderte erhielten nach und nach Anspruch auf Fürsorge. „In der nachmittelalterlichen Epoche entstanden kirchliche oder städtische Stiftungen, die Behinderte aufnahmen“, berichtete Gerhard Köhler.

    Dennoch blieben vielfach Vorurteile gegenüber Behinderten. Selbst Martin Luther verknüpfte ihr Leiden als Strafe Gottes und bezeichnete sie als „ein Stück seelenloses Fleisch“ (massa carnis). Im Jahr 1494 gar wurden in Osnabrück 160 psychisch und geistig Behinderte als Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

    Erst im 17. und 18. Jahrhundert gab es ein Umdenken. Die Pädagogik erkannte, dass alle Kinder ein Recht auf Erziehung und Bildung haben. Als Vorreiter gilt hierbei der Philosoph und Pädagoge Johann Amos Comenius sowie der Reformpädagoge Johann Heinrich Pestalozzi. Dieser erkannte nicht nur die Mängel am bisherigen Schulunterricht, sondern sah als Ursache für die Entwicklungsbehinderung von Kindern auch die Erziehungsnot in den meist armen Familien.

    Als eine wichtige Errungenschaft wertete Köhler die Gründung der ersten Schule für Taubstumme im Jahr 1770 in Paris. In der französischen Hauptstadt entstand auch 15 Jahre später die erste Blindenschule, nachdem Louis Braille die Tastschrift erfunden hatte. Um 1800 herum war die Geburtsstunde der Geistigbehindertenpädagogik, ebenfalls in Frankreich. Fast 50 Jahre später dann auch in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Im Jahr 1882 entstand mit dem Gemündener Josefshaus die erste Einrichtung in Unterfranken.

    Zählte die Bildungsarbeit mit behinderten Kindern zu den großen kulturellen Errungenschaften in Europa, schlug die Hinwendung schon bald wieder um. Menschenleben wurden nach ihrem Nutzen für die Gesellschaft beurteilt. Zunächst in den USA, später auch in Europa, kamen „rassenhygienische Vorstellungen“ auf. „Lebensunwertes Leben sollte verhütet werden“. Eheverbote und gesetzlich verfügte Zwangssterilisationen und sogar die „Freigabe zur Tötung lebensunwerten Lebens“ erlaubt. Noch einmal verschärfte sich Situation mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

    Nach dem Kriegsende 1945 änderte sich die Situation für die Behinderten zunächst nicht wesentlich. Eine Wende fand erst 1958 statt mit der Gründung der Bundesvereinigung „Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind“, durch betroffene Eltern. Das Sonderschulwesen wurde auf- und ausgebaut. Später erfolgte die Gründung von Sonderpädagogischen Förderzentren sowie mehr Kompetenzübertragung an die bestehenden Regelschulen.

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