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Aschaffenburg: Aschaffenburg: 40 Jahre dauerte die Suche nach Christianes Mörder

Aschaffenburg

Aschaffenburg: 40 Jahre dauerte die Suche nach Christianes Mörder

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    Fast 40 Jahre nach dem Mord an der 15-jährigen Christiane in Aschaffenburg klickten die Handschellen. Der Verdächtige muss sich für eine Tat rechtfertigen, die er als 17-Jähriger begangen haben soll. (Symbolbild)
    Fast 40 Jahre nach dem Mord an der 15-jährigen Christiane in Aschaffenburg klickten die Handschellen. Der Verdächtige muss sich für eine Tat rechtfertigen, die er als 17-Jähriger begangen haben soll. (Symbolbild) Foto: Friso Gentsch, dpa

    Vielleicht hätte Christiane J. heute selbst eine 15-jährige Tochter. Jetzt würde es bei ihr nach Plätzchen riechen – wie damals um Weihnachten vor 40 Jahren. Christiane würde vielleicht gelegentlich besorgt hinüber schauen zum Aschaffenburger Schloss, wo der Weihnachtmarkt war. Sie würde bei beginnender Dunkelheit auf die Uhr schauen und sich besorgt fragen: "Wo bleibt meine Kleine?"

    So muss vor 40 Jahren in Christianes Mutter Renate die Unruhe gewachsen sein, am Abend des 18. Dezember 1979. Ihre 15-jährige Tochter hatte an der Kolpingschule einen Stenokurs besucht. Sonst war eine Freundin auf dem Heimweg dabei, aber ausgerechnet an dem Abend nicht. Die Mutter wurde immer unruhiger – zu Recht. An jenem Abend, sechs Tage vor Weihnachten, wartete sie vergeblich auf ihr Kind.

    Später – als der Fall auf Seite 1 der "Bild-Zeitung" stand – spekulierten Medien, sie habe auf dem Weihnachtsmarkt ihren Mörder getroffen. Je nachdem, welchen Ermittler man fragt, sagt er heute "Quatsch" oder: Das sei "reine Spekulation" der Sensationspresse.

    Wie kam Christiane zum Frühstückstempel?

    Wie Christiane in den Schlosspark mitten in der Stadt kam, ist unklar. Im Winter ist es ruhiger, im Sommer gehen viele Aschaffenburger hier gerne spazieren, hoch zum romantischen Frühstückstempel, der auf einen 15 Meter hohen Felsen gebaut ist. Und vielleicht war das letzte, was das junge Mädchen in seinem Leben sah, ausgerechnet der "Frühstückstempel".

    Hier am romantischen Frühstückstempel (Mitte) mitten in Aschaffenburg passierte der Mord.
    Hier am romantischen Frühstückstempel (Mitte) mitten in Aschaffenburg passierte der Mord. Foto: Michael Zimmer

    Hier zog ein Mann die 15-Jährige brutal in die Büsche. Er riss ihr die Kleider vom Leib, verging sich an Christiane. Er tötete das Mädchen – und kippte die Leiche über die Mauer, 15 Meter in die Tiefe. Ein Parkwächter fand am Morgen darauf erst ein paar Kleidungsstücke, dann die nackte Leiche, auf eine Schutthalde gekippt wie ein Müllsack. Rasch fanden Rechtsmediziner an der Universität Würzburg heraus, dass sie vergewaltigt und erwürgt worden war.

    Polizeisprecher Michael Zimmer: "Das hat sich tief ins Gedächtnis gegraben."

    "Die Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch Aschaffenburg", weiß Polizeisprecher Michael Zimmer, der selbst von dort stammt, allerdings mit einem Jahr noch zu jung für Erinnerungen war. Er kennt den Fall aus Erzählungen und Akten. So kurz vor Weihnachten eine so fürchterliche Tat – an einem so märchenhaften Ort. "Es kam den Leuten unwirklich vor", sagt er. "Das hat sich tief ins Gedächtnis eingegraben." Die Aschaffenburger können den Fall nicht vergessen. "Das blieb über die Jahre haften, noch nach Jahrzehnten war das Gesprächsthema." Dafür sorgte auch Christianes Familie, die auf den Grabstein unter den Namen der Tochter schreiben lässt: "ermordet 18. 12. 1979"

    Ganz Deutschland gruselt es kurz vor Heilig Abend 1979, als die "Bild" titelte: "Weihnachtsmarkt: Christiane (15) traf ihren Mörder." Das bleibt haften – erst recht, als ein Tag nach dem anderen vergeht, ohne dass man einen Tatverdächtigen präsentieren kann. Die Polizei verfolgt 500 Spuren, es gibt Verdächtige – darunter Norbert B., einen Jungen aus der Nachbarschaft. Aber keiner lässt sich so festnageln, dass es zu einer Verhaftung reicht. Nicht in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren.

    "Mord verjährt nicht" ist kein Trost 

    "Wird ein Mörder nicht binnen 48 Stunden gefasst, ist die Wahrscheinlich mit jedem Tag geringer, ihn zu kriegen", zitiert ein langjähriger Mordermittler eine Binsenweisheit der Branche. In solchen Fällen ist das Credo "Mord verjährt nicht" nur ein schwacher Trost für die Angehörigen der Opfer.

    Aber Wissenschaftler verfeinern indessen ihre Methoden, mit denen Tätern beispielsweise schon winzige DNA-Spuren nachgewiesen werden können. "Die Zeit arbeitet gleichzeitig für und gegen uns", sagen die Kommissare. Zugleich wächst beim Mörder mit jedem Jahr mehr die Hoffnung, ungeschoren davon zu kommen.

    Der Frühstückstempel: Hier warf der Mörder die Leiche über die Mauer, 15 Meter in die Tiefe.
    Der Frühstückstempel: Hier warf der Mörder die Leiche über die Mauer, 15 Meter in die Tiefe. Foto: Patty Varasano

    Noch 2012 – also 33 Jahre nach dem Mord – gibt es im Internet die Aktion "Eine Kerze für Christiane." Ihr wird versichert: "Christiane, auch so viele Jahre nach deiner Ermordung bist du nicht vergessen." Vom Aschaffenburger Stadtarchiv (1990) bis zu Radio Primavera (2018) erinnern immer wieder Beiträge an den ungeklärten Fall. Aber vor allem das in Aschaffenburg erscheinende "Main-Echo" hält die Erinnerung mit seinen Beiträgen lebendig.

    Cold Case lässt Aschaffenburger Mordermittler nicht ruhen

    Vielleicht wäre sie dennoch allmählich verblasst. Aber die Kripo in Aschaffenburg legt ungewöhnlich großen Ehrgeiz an den Tag, sich neben den aktuellen Fällen auch intensiv um die so genannten "Cold Cases" zu kümmern.

    In Unterfranken gibt es pro Jahr um die 50 "Straftaten gegen das Leben" (einschließlich erfolgloser Versuche) – relativ wenig bei 648 in ganz Bayern: Die Aufklärungsquote liegt in der vergleichsweise friedlichen Region mit stabilen sozialen Strukturen bei 96 Prozent. Nur wenige Mörder schlüpfen den Ermittlern durch die Finger – und bleiben gerade dadurch im Gedächtnis haften.

    Schwerpunkt statt Pausenfüller

    Andernorts sind die "Cold Cases" notgedrungen ein Pausenfüller, wenn neben aktuellen Mordermittlungen einmal Luft ist. In Aschaffenburg gibt es sogar eine Soko "Altfälle" – und eine Tagung, bei der die Unterfranken von Erfahrungen der Kollegen in der Kriminalität-Hochburg Hamburg zehren.

    Die Sonderkommision holt die ungeklärten Fälle immer wieder hervor, um sie von neuen Ermittlern aus anderem Blickwinkel betrachten zu lassen. Und sie versucht, die Fortschritte von Medizin und Kriminaltechnik zu nutzen, um – etwa in sichergestellten Kleidungsstücken – winzige Spuren zu finden, nach denen man vorher vergeblich gesucht hatte: Kleiderfasern, Blütenpollen oder winzige DNA-Spuren, die der Täter mit Blut, Speichel oder Sperma hinterlassen haben könnte.

    Zwei Fälle werden nach Jahrzehnten gelöst

    2017 erntet die Soko "Altfälle" die Früchte diese Anstrengung: Sie klärt einen fast 30 Jahre zurück liegenden Mordversuch an einer jungen Frau auf. Die war auf dem Heimweg von der Disko überfallen, vergewaltigt und gerade noch so lebend im Wald vergraben worden.

    Exakte Analysen einer winzigen DNA-Spur überführen den Täter. Er kommt vor Gericht und ins Gefängnis. Das Urteil hält in diesem Jahr auch vor dem Bundesgerichtshof, der Verurteilte muss lebenslänglich hinter Gitter.

    Im Mai 2019 dann der zweite Schlag im Fall Christiane J. – nach fast 40 Jahren: Überraschend wird Norbert B. festgenommen – der als 17-jähriger Nachbarsjunge schon einmal auf dem Radarschirm der Fahnder war. Schließlich habe Christiane, so die Mutter, schon als Kind im Hof mit ihm gespielt. Die Polizisten seien aber dann anderen Spuren nachgegangen, "weil man ihm nichts nachweisen konnte", erinnert sich Mutter Renate J., als sie von der Festnahme hört.

    Indizienprozess mit vielen Gutachten?

    Was nun die Beweislage änderte? Über DNA-Spuren wird spekuliert. Kripo und Staatanwaltschaft wollen darüber erst im Prozess die Karten auf den Tisch legen. Der Festgenommene schweigt. Das Gericht hat zehn Verhandlungstage angesetzt, was auf einen Indizienprozess mit reichlich Gutachtern schließen lässt.

    Der Prozess soll unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, weil der Angeklagte zur Tatzeit erst 17 Jahre alt war.
    Der Prozess soll unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, weil der Angeklagte zur Tatzeit erst 17 Jahre alt war. Foto: Uwe Anspach, dpa

    Am 40. Jahrestag der Ermordung blinkten am Aschaffenburger Schloss wieder die Lichter des Weihnachtmarktes – für Christians Familie vielleicht ein wenig heller als in den 39 Jahren davor. Der Leitende Oberstaatsanwalt Axel Weihprecht hatte gerade wegen Mordes Anklage gegen den einstigen Jungen aus der Nachbarschaft erhoben, der jetzt ein Mann fast im Rentenalter ist.

    57-Jähriger vor der Jugendstrafkammer

    Dann entscheidet das Landgericht kurz vor dem Jahrestag: Der 57-jährige Angeklagte muss sich keinem öffentlichen Verfahren stellen. Weil er zur Tatzeit erst 17 Jahre alt war, soll er sich vier Jahrzehnte später vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts verantworten – unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

    Das Gesetz lässt da wenig Spielraum. Der Pressesprecher des Gerichts soll am Ende eines jeden Verhandlungstages mit der nötigen Zurückhaltung über Details unterrichten – den Journalisten traut man das wohl nicht zu.

    Mutter hielt den Glauben an die Klärung des Mordes wach

    Christianes Mutter Renate ist inzwischen 75 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen. Einmal sagt sie: "Ich habe damit abgeschlossen." Ein anderes Mal versichert sie "Bild" auf Nachfrage zu einem Prozess: "Vielleicht ginge ich hin."

    Die Mutter hat länger an eine Aufklärung des Verbrechens geglaubt als die meisten anderen. Gerade zu prophetisch muten heute ihre Worte an, als die Ermittler vor 15 Jahren die Spur wieder aufnahmen: "Der Täter soll sich nicht in Sicherheit wiegen und bloß nicht glauben, dass niemand mehr an ihn denkt", sagte sie damals ihrer Heimatzeitung "Main-Echo".

    Der Prozess beginnt am 8. Januar. Das Urteil (auch nichtöffentlich) könnte am 6. Februar fallen.

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