„Ich muss mal ein Schild anbringen“, sagt Wolfgang Birnbaum fast geistesabwesend. Es gibt für ihn Wichtigeres als einen Firmenhinweis. Er weiß, dass die wenigsten Menschen, vielleicht noch nicht mal die Thüngener, seine Produkte kennen, die er auf alle fünf Kontinente verschickt. „In der Branche bin ich bekannt“, lächelt der 50-Jährige, stolz darauf, dass seine eigenen Innovationen und die Tüchtigkeit seiner 15 Mitarbeiter den Familienbetrieb in vierter Generation weltweit sichern. Birnbaum ist oft unterwegs, denn Klappern gehört zum Handwerk. Was geschieht in diesen von außen unscheinbaren Räumen mit dem Hof und dem gestapelten Holz in der Augasse an der Wern?
Rattan mit Holzboden
Wolfgang Birnbaum stellt Brotformen her – aus natürlichem Rattan mit einem Holzboden (Erle oder Birke) und aus Kunststoff. Es sind sogenannte Gärgutträger, in denen die Brotteiglinge ruhen und gären, bis sie aus der Form genommen werden und auf dem Backblech im Ofen verschwinden. Die Formen werden mehliert, der Teigling kommt hin-ein, nimmt die Form an – länglich, rund, oval, eckig – und gärt.
Danach wird er ausgekippt, auch das restliche Mehl, der Gärgutträger wird neu mit Mehl bestäubt und gibt dem nächsten Teigling Platz und Form beim Gären. Birnbaum: „Nach zwei bis vier Wochen muss man die Formen säubern. Das reicht.“ Zumindest bei Formen aus dem Hause Birnbaum. Der 50-Jährige bringt die Erfahrungen von vier Generationen Backformern ein und seine eigenen Ideen. Birnbaum: „In den verschiedenen Regionen Deutschlands werden unterschiedliche Brotformen bevorzugt.“ In Berlin, so erzählt er, verkaufen die Bäcker an der Ecke und Großbäckereien längliche Brotstollen und weniger runde Laibe. In Stuttgart und in München sind die Verbraucher dagegen seit Generationen die Laibe gewöhnt und greifen weniger zu Stollen.
Auf diese traditionellen Vorlieben hat sich Birnbaum eingestellt, schon weil seine Kunden in den Regionen ihre Spezialformen ordern. Dazu kommen Wünsche wie Rillen, Ornamente oder in Spiegelschrift der Bäckername, die Birnbaum in die Formen einbringt und die sich im gebackenen Brot beim Verbraucher wiederfinden. Die Kunden bevorzugen die Korbmuster – Rillen im gebackenen Brot, die dem Verbraucher handwerkliche Brotproduktion suggerieren.
Natürlich hat die Thüngener Firma Konkurrenz, vor allem in Ostdeutschland und bei Billigproduzenten in Tschechien und Slowenien. „Doch die sind nicht so gut wie wir“, lächelt Wolfgang Birnbaum. Der Thüngener Unternehmer muss reisen zu Bäckereifachmessen, um neue Kunden zu werben. Messeauftritte in Moskau, Paris und Las Vegas sind ein Muss jedes Jahr.
Neben den Brotformen aus Rattan hat Birnbaum eigene Formen aus Kunststoff entwickelt, die seit Oktober 2006 auf dem Markt sind. „Wir sind nicht die Ersten mit Kunststoffformen, aber die Besten“, sagt Birnbaum selbstbewusst. Der Thüngener scheint der Konkurrenz immer einen Schritt voraus zu sein.
Seine Idee mit exakten Abmessungen zeichnet Birnbaum in sein Computerprogramm. „Für eine Brotform, die sich am Weltmarkt erfolgreich behaupten soll, muss man einige Dinge beachten“, erläutert der Tüftler und zählt auf: Eigenschaften des Teigs, seine Konsistenz, der Korn- und Wasseranteil, die Atmungsfähigkeit in der Form, die den Formenaufbau mit den Seitenrippen und den Belüftungsabständen beeinflusst, sowie die Formhöhe, in der sich der Teigling ausbreitet und die vom Bäcker gewünschte Höhe erreicht. 80 Prozent des Exports machen bei Birnbaum die Brotformen aus, die restlichen 20 Prozent sind Brot- und Gebäckspüher sowie Spezialreinigungsmaschinen und -bürsten. Mit dem Brot- und Gebäcksprüher, von Vater Herbert erfunden und von Sohn Wolfgang weiterentwickelt, beherrscht der Thüngener Betrieb 70 Prozent des Weltmarktes. Birnbaum ist der einzige Hersteller von Brotformen und einem dazugehörigen Maschinenprogramm für Bäcker und Großbäckereien.
Auch seine eigenen Maschinen zur Herstellung der Brotformen hat Wolfgang Birnbaum entwickelt und gebaut. Man darf seine kleine Werkstatt betreten, und er demonstriert auch, wie aus Rattanstangen Gärgutträger werden, aber Fotografieren ist nicht erlaubt. In seinem Computer und in den Maschinen liegt das Know-how, das Birnbaum am Weltmarkt an der Spitze hält.
„Wir sind nicht die Ersten mit Kunststoffformen, aber die Besten“
Wolfgang Birnbaum
Die Liebe zum Brot ist Familientradition. 1847 gründete Urgroßvater Hermann Birnbaum in Wermsdorf bei Leipzig einen Bäckereimarkthandel, den Großvater Ernst Birnbaum erfolgreich weiterführte. Dieser besaß zudem noch ein Rittergut in Pommern. Dessen Sohn Herbert landete nach dem Zweiten Weltkrieg in Thüngen, wo seine Schwester Emma Wagner wohnte.
Entspannung beim Segeln
„Mein Vater wollte den Betrieb nicht in der sowjetisch-besetzten Zone wieder aufbauen. Er entschloss sich 1948, in Thüngen zu bleiben“, erzählt Birnbaum, der 1980 als 22-Jähriger nach dem plötzlichen Tod des Vaters Inhaber wurde. Er hatte nach der Handelsschule Industriekaufmann im väterlichen Betrieb gelernt und setzte den Industriefachwirt oben drauf. Der Familienvater mit drei Kindern entspannt sich beim Segeln mit Hochseepatent und bei der Jagd.
Wolfgang Birnbaum hat seinen Platz als Nischenbetrieb in den Bäckereien dieser Welt gefunden. Ideen, Innovationen und die Flexibilität eines kleinen Betriebes, der es versteht, sich schnell auch auf ausgefallene Kundenwünsche einzustellen, sind die Geheimnisse seines Erfolgs.