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Das Christkind schreibt aus Himmelstadt

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Das Christkind schreibt aus Himmelstadt

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    Drei Engel für's Christkind: Selina Müller (5), Annalena (7) und Christina Russ (5) nehmen an den Adventssonntagen im Himmelstadter
Weihnachtspostamt Briefe ans Christkind entgegen. Rund 40 000 Briefe wurden vergangenes Jahr von den Himmelstadter Helfern beantwortet.
    Drei Engel für's Christkind: Selina Müller (5), Annalena (7) und Christina Russ (5) nehmen an den Adventssonntagen im Himmelstadter Weihnachtspostamt Briefe ans Christkind entgegen. Rund 40 000 Briefe wurden vergangenes Jahr von den Himmelstadter Helfern beantwortet. Foto: FOTO MARKUS RILL

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    ir wissen nicht, wie lange das Christkind schläft.  Aber
    Rosemarie Schotte, die für's Christkind arbeitet, steht schon früh am Morgen auf. Bereits um 730 Uhr fährt sie an jedem Wochentag im Dezember von Himmelstadt nach Zellingen, um dort körbeweise Post ans Christkind oder den Weihnachtsmann abzuholen.

    Täglich kommen etwa zwei- bis dreitausend Briefe in randvollen gelben Plastikkörben der Deutschen Post im Himmelstadter Weihnachtspostamt an. Aufeinander gelegt ergäben diese Briefe täglich einen etwa sechs Meter hohen Stapel. Darin stecken Briefe, in denen sich Mädchen Puppen und Jungs Computerspiele wünschen, Briefe, in denen Kinder um Frieden bitten, Briefe, bei denen "ein Arbeitsplatz für Papa" auf dem Wunschzettel steht, sowie Briefe, in denen Jugendliche Selbstmordgedanken äußern, Briefe, in denen sich Erwachsene nach einem Partner sehnen und Briefe, in denen sich Philatelisten einen Stempel vom Himmelstadter Weihnachtspostamt auf einer Weihnachtsbriefmarke wünschen.

    "Jeder Brief, der einen Absender hat, wird beantwortet", sagt Rosemarie Schotte. Etwa 40 000 Briefe haben die Mitarbeiter des Weihnachtspostamts im vergangenen Dezember geschrieben. In diesem Jahr werden es nicht weniger sein.

    Rosemarie Schotte bringt die Plastikkörbe voller Briefe hoch in den Sitzungssaal im ersten Stock des Himmelstadter Rathauses, der in diesem Jahr zum dritten Mal zum "Weihnachtspostamt" umfunktioniert wurde. Dort hängen weiß-blaue Styropor-Wolken vor den Fenstern und goldfarbene Sterne von der Decke, die mit einem blauen Netz geschmückt ist. An der Wand steht ein Knusperhäuschen aus Pappmaché neben einem kleinen Weihnachtsbaum. Aus einem tragbaren CD-Player dudelt "Stille Nacht".

    Arbeit unter Sternen

    Doch wer den Raum betritt, sieht erstmal nur sechs zusammengestellte Tische, die über und über mit Briefen bedeckt sind. Dazwischen stehen die gelben Plastikkörbe der Post, Wasserflaschen und Kaffeetassen der Helfer. Sieben ältere Frauen und Männer sitzen um die Tische verteilt, an der Stirnseite nimmt Rosemarie Schotte Platz.

    Die Weihnachtspostamts-Mitarbeiter wissen, was zu tun ist. Die meisten von ihnen machen ihre ehrenamtliche Arbeit schon seit Jahren. Ein Mann und eine Frau sind ausschließlich damit beschäftigt, Briefmarken auf bereits geschriebene und kuvertierte Briefe mit dem Aufdruck "Frohe Weihnachten aus Himmelstadt" aufzukleben. Die anderen Mitarbeiter öffnen jeden einzelnen Brief, lesen ihn und sehen nach, ob eine Briefmarke beigelegt ist. Die üblichen Kinderwunsch-Briefe werden in den Postkörben abgelegt - Briefe mit Rückporto in den einen Korb, Briefe ohne in einen anderen.

    Sammler-Wünsche, Anschreiben, die Bargeld-Spenden enthalten und so genannte Problembriefe werden an Rosemarie Schotte übergeben. 1993 fing die aus Rheinland-Pfalz zugezogene Frau an, im Weihnachtspostamt mitzuarbeiten; 1994 schon übernahm sie die Leitung der ehrenamtlichen Mitarbeiter. "Ich finde es wunderschön, etwas für Kinder zu tun", erklärt Rosemarie Schotte ihre Motivation. "Für mich war Heiligabend bei meinem Opa immer ein ganz besonderes Erlebnis. Nun fühle ich mich manchmal selbst in meine Kindheit zurückversetzt, wenn ich die Briefe und Wunschzettel lese."

    "Bei manchen Briefen geht einem das Herz auf"

    Christa Scheb, Mitarbeiterin im Himmelstadter Weihnachtspostamt

    Sie legt großen Wert darauf, dass alle Kinder einen "ordentlichen Antwortbrief" erhalten. Schotte selbst hat als Standardbrief eine humorvolle Geschichte über die hektische Vorweihnachtszeit im Himmel geschrieben, mit Illustrationen versehen und mit "Dein Christkind" unterzeichnet. "Doch da sollte immer eine persönliche Anrede am Anfang und ein, zwei Sätze, die auf den Brief des Kinds Bezug nehmen, am Ende stehen. Wenn ein Kind einen besonders schönen Brief geschrieben oder etwas gemalt hat, wird der Antwort ein Gedicht oder ein Bild beigelegt", sagt Schotte.

    Die Standardbriefe werden fast ausschließlich von Rosemarie Schottes Mitarbeitern geschrieben. Die kommen im Laufe des Vormittags ins Weihnachtspostamt, liefern Einkaufskörbe oder Plastiktüten voller Briefe zum Verschicken ab und packen sich neue Stapel eingegangener Briefe ein.

    "Seit 15 Jahren arbeite ich im Weihnachtspostamt mit", erzählt Christa Scheb, eine freundliche, ältere Frau. "Bei manchen Briefen geht einem das Herz auf, wenn die Kinder ein liebes Bild von sich beilegen und sich ganz bescheiden ein Geschenk vom Christkind wünschen. Bei manchen Briefen ärgert man sich, wenn ein Kind nur ,Ich will' schreibt und dann eine lange Liste runterrasselt. Und dann gibt es Briefe, die gehen einem unter die Haut. Wenn ein erwachsener 29-Jähriger ans Christkind schreibt und ihm seine Sorgen mitteilt, dann ist das ein armer Mensch."

    Alle der 27 Frauen und Männer, die in diesem Jahr im Namen des Christkinds Post aus Himmelstadt versenden, wissen genau, was Christa Scheb meint. Sie alle haben beim Lesen der vielen Tausend Briefe schon Freude, Ärger und Sorge gefühlt. Diese ehrenamtliche Arbeit lässt keinen kalt.

    "Es ist für mich fast wie eine Sucht", sagt Sabine Sigmund, die seit drei Jahren im Weihnachtspostamt arbeitet. "Wenn ich beim Briefe lesen und schreiben bin, bleibt die Hausarbeit schon mal liegen."

    Rosemarie Schotte weiß, dass sie ihre Arbeit nicht ohne die Hilfe ihrer Mitarbeiter tun könnte. Aber sie hat auch klare Vorstellungen, wie die Briefe vom Himmelstadter Weihnachtspostamt auszusehen haben. Ihren Mitarbeitern hat sie auf einem Merkzettel Standardantworten für Fragen nach dem Christkind und nach dem Weihnachtsmann notiert. Und einer Frau aus den neuen Bundesländern, die sich für ihren Sohn einen Brief vom Weihnachtsmann wünschte, erklärte sie: "Von hier schreibt das Christkind. 15 Jahre nach dem Mauerfall könnten Sie sich doch langsam an das Christkind gewöhnen."

    Überhaupt bringt das Geschäft mit der Weihnachtspost nicht nur Friede und Freude. Die bescheidenen Kinderbriefe sind in der Minderzahl. Stattdessen lernen die Mitarbeiter des Weihnachtspostamts aus den Wunschzetteln viel über Gameboys, Computerspiele und Popmusik. Und Rosemarie Schotte klagt: "Manche Erwachsene lassen sich von uns die Weihnachtspost erledigen. Sie schicken uns eine Liste ihrer Kinder und Enkel und bitten das Christkind, allen zu schreiben."

    Dann seufzt die Leiterin des Weihnachtspostamts und schüttelt den Kopf, aber natürlich werden die gewünschten Briefe verschickt. "Es ist schade, wenn man den Kindern gar nichts Persönliches schreiben kann", sagt sie.

    Schwere Post

    Doch manchmal wird's auch zu persönlich. "Wenn Kinder schreiben, dass ihre Mami gestorben ist, dass sich die Eltern scheiden lassen oder Papa keine Arbeitsstelle hat, fühlt man sich sehr hilflos", so Schotte. Die 22-jährige Tanja hat dem Christkind geschrieben: "Bitte hilf mir, liebes Christkind, dass ich   eine Psychotherapiestelle bekomme. Außerdem brauche ich eine neue Wohnung und ich würde gerne einen Freund finden. Ich weiß, das ist viel verlangt, aber wenn es nicht klappt, lass' mich bitte sterben." Bei derartigen Briefen bittet Rosemarie Schotte einen Psychotherapeuten um Rat. "Da kann man viel falsch machen, wenn man einer Person mit solchen Problemen als Laie schreibt", weiß die Leiterin des Weihnachtspostamts. Auch der Himmelstadter Pfarrer hat bei der Antwort auf knifflige Briefe an das Christkind schon mitgeholfen.

    Für Rosemarie Schotte und ihre Familie ist die Leitung des Weihnachtspostamts neben dem Betreiben der Himmelstadter Postagentur schon zur Ganzjahres-Aufgabe geworden. Noch bis Mitte Januar beantwortet sie Nachzügler-Briefe ans Christkind, dann wird mit der Post AG abgerechnet, die die Kosten für Kopien, Briefumschläge, Karten und Porto übernimmt. Außerdem verteilt Rosemarie Schotte im Frühjahr die Geldspenden an Hilfsorganisationen und die von sämtlichen Briefen ausgeschnittenen Briefmarken an Behindertenwerkstätten. "Ab Sommer mache ich mir Gedanken um die Dekoration fürs Weihnachtspostamt. Die ist jedes Jahr anders", erklärt Schotte. "Und wenn ich in Stimmung bin, setze ich mich hin und schreibe den Brief für das kommende Weihnachtsfest."

    Diese ganze Arbeit findet Schotte von der Gemeinde nur ungenügend gewürdigt: "Ich finde es schade, wenn das Weihnachtspostamt auf den Plakaten zum Himmelstadter Weihnachtsmarkt nur beiläufig erwähnt wird. Weihnachtsmärkte gibt es überall; unser Postamt ist etwas besonderes." Bundesweit gibt es sieben Weihnachtspostämter, die im vergangenen Jahr insgesamt 350 000 Briefe beantwortet haben; das größte im brandenburgischen Ort Himmelspfort.

    Doch obwohl das Briefe öffnen, lesen, schreiben und frankieren stressig, nervenaufreibend und vielleicht nicht mal gebührend gewürdigt ist, erleben die Mitarbeiter des Weihnachtspostamts immer wieder Momente, in denen ihre ehrenamtliche Arbeit sie glücklich macht. Christa Scheb erinnert sich an zwei Briefe vom kleinen Niklas. "Auf den Wunschzettel im ersten Jahr antwortete ihm das Christkind, dass es seinen Namen schön findet, weil er sie an den Nikolaus erinnert. Im Jahr darauf schickte Niklas einen ganz lieben Brief, in dem er erzählte, dass er wegen seines Namens in der Schule oft gehänselt werde. Früher habe ihm das sehr weh getan, doch seit er weiß, dass das Christkind seinen Namen mag, ist er ganz stolz darauf."

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    Solche Briefe schreibt das Christkind nur aus Himmelstadt. "Aus Himmelspfort werden nur vorgedruckte Briefe verschickt", sagt Rosemarie Schotte. Die 40 000 Briefe, die im Himmelstadter Weihnachtspostamt im Dezember 2004 geschrieben werden, ergäben aufeinander gelegt einen gut 120 Meter hohen Stapel.

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