Es zwickt und zwackt Richard Filippi schon seit Jahren, ach was: Jahrzehnten, aber er spielt immer noch Fußball. Zweimal die Woche tritt der Rienecker beim Training an. Ohne Wenn und Aber. Seine Gliedmaßen mussten für den Einsatz am Ball lange von einem Korsett und elastischen Binden zusammengehalten werden, wie Freunde spöttisch behaupten. Das alles hat ihn nicht von seiner Leidenschaft abgehalten. Im Gegenteil: „Das hält mich fit.“ Der „Trimm-Dich-Vater“, wie der Gründer der Rienecker Trimm-Dich-Freizeitkicker genannt wird, wird am 20. Dezember 75 Jahre alt.
Filippi ist ein Lausbub geblieben. Mit spitzbübischem Grinsen sitzt er in seiner „Trimm-Dich-Klause“ hinter seinem Haus, deren Eingang wie bei einer Biberburg gut versteckt ist, und gibt bei einem Feuer im Holzofen eine Anekdote nach der anderen zum besten. Die Klause ist seine ehemalige Holzhalle, ein kleiner Raum mit niedriger Decke und zwei alten, an den Wänden verbauten Küchen, einem offenen Kamin mit eingebauten Bocksbeuteln, vielen Pokalen, Fußbällen und Bildern sowie Tischen und Stühlen in der Mitte. Sein Stuhl ist jetzt markiert: „Da kommt keiner mehr drauf, da kriegen sie in die Angge.“ Die heimelige Klause ist aber nichts für Klaustrophobiker.
Der Trick mit dem Spielerpass
In 45 Jahren „Trimm Dich“ hat Richard Filippi geschätzt 350 Mitspieler gehabt, darunter vielleicht 150 „Eintagsfliegen“, die nur einmal dabei waren, und natürlich auch Freibiergesichter. Treue Weggefährten waren etwa Hilmar Schmitt und Helmut Schmidt. Wie er so viele Spieler zum Mitmachen bewegen konnte? „Die haben gehört, bei uns ist Gaudi.“ So erzählt er etwa von ausländischen Trimm-Dich-Spielern, „Eintagsfliegen“ oft, die, ausgestattet mit dem Spielerpass eines ihnen ähnlich sehenden Spielers, angewiesen waren, nur zu „gnauken“, also zu nicken, wenn „ihr“ Name verlesen wird und Filippi sie anschaut. Aus einem Mohammed oder Mustafa wurde so ein Klaus oder Reinhold, wie sich Hilmar Schmitt erinnert.
Regelmäßig wird bei den Trimm-Dichlern gefeiert, „dass das Zapfhähnle glüht“ (O-Ton Filippi). Nach seinem 1000. Spiel vor ein paar Jahren ist es auch so gelaufen. Bei der Feier waren er und ein Kollege die letzten Mohikaner, zusammen galt es, noch ein Fässle zu leeren. Das Ende vom Lied: Auf dem Heimweg wollte sein Fahrrad bei der Mostkelter anders als er, wenn er nüchtern gewesen wäre, und es haute ihn wieder einmal aufs linke Auge.
Der insgesamt dritte Sturzflug auf das Auge. Filippi: „Da schwillt der ganze Mist ein.“
Kartoffelkochen ging ins Auge
Den Kindergartenkindern, bei denen er wieder Nikolaus war, konnte er diesmal auch eine Geschichte erzählen, die ins Auge ging. Das Christkind habe sich im Frühjahr vom Nikolaus Kartoffeln gewünscht. Der Nikolaus hat also Kartoffeln in den Dampfdrucktopf, aber den Topf dummerweise auf dem Herd vergessen. Als dem Nikolaus irgendwann siedendheiß die Kartoffeln auf dem Herd einfielen, wollte er den Druck im Topf mit einem kleinen Hammerschlag gegen den Griff etwas mindern. Das hat gereicht und ihm flog der Deckel ins Gesicht. Die Nikolausgeschichte hat Filippi natürlich selbst erlebt. So kam es, dass er zum fünften Mal in seinem Leben mit Tatütata ins Krankenhaus kam. Wieder war alles zugeschwollen, drei Tage hat er nichts gesehen.
Der gebürtige Mittelsinner war in seiner Jugend einer der begabtesten Fußballer im Sinngrund. Der ESV Gemünden wollte ihn, kriegte ihn aber nicht. Beim Bahnbetriebswerk Gemünden machte er eine Lehre zum Schlosser. 1963 wurde Filippi zum ersten Mal ins Krankenhaus eingeliefert: Bei einem schweren Autounfall flog er mit dem Kopf durch die Windschutzscheibe. Das war für zehn Jahre das vorläufige Ende seiner Fußballerkarriere.
Selters statt Sekt
Im selben Jahr lernte er auf der Rienecker Kirb seine Hildegard kennen. Als seine spätere Frau mit einer Freundin einmal bei ihm zu Hause im Wohnzimmer saßen, bekamen sie von Richard Sekt serviert. Damit seine Mutter nichts merkt, füllte er Wasser in die Flasche nach. „Der schmeckt gar nichts“, wunderte sich die später, „das ist doch Söhnlein.“ 1964 heirateten die Filippis. Es kamen die Kinder Carmen und Frank und fünf Enkel. 35 Jahre lang arbeitete Filippi beim Landtechnik-Hersteller Mörtl in Gemünden. Anfang der 1970er war er wieder fit genug, um die Trimm-Dich-Mannschaft aus der Taufe zu heben.
Jeden Tag bastelt Filippi in seiner Werkstatt herum. Mitunter kommen recht außergewöhnliche Objekte, oft aus Schrott, dabei heraus. Und nachmittags um drei geht's aufs Fahrrad, entweder Richtung Gemünden oder Richtung Burgsinn. Freunde haben sich schon gewundert, dass er offenbar so versunken fährt, dass er sie im Vorbeifahren nicht erkennt. Nach inzwischen zwei Hüftoperationen ist Filippi froh über den Elektroantrieb. Anfangs dachte er noch, die Schmerzen ließen sich mit Bier betäuben, aber das klappte nicht so richtig. Der Schulterbereich tut ihm auch regelmäßig weh, wohl eine Folge des jahrelangen schweren Hebens auf der Arbeit. Das stoppt ihn nicht. Zwei Jahre hat er sogar einmal mit einem Leistenbruch gespielt, ohne etwas zu merken. Ein Nabelbruch kam auch dazu. Filippi ist wie ein Stehaufmännchen und ein Duracellhase in einem. Er spielt immer weiter. Und immer wieder machen er und seine Spielkameraden lustige Aktionen.
Spielerrekrutierung lief über das Wirtshaus
Früher hatten die Trimm-Dichler zeitweise 50 Spiele im Jahr, er war immer mit von der Partie. Einmal sind sie sogar in Rothenfels angetreten, obwohl die dortige Mannschaft mit Heßdorf gerechnet hatte. Aber Heßdorf wollte nicht, „Trimm Dich“ schon. Früher lief das Rekrutieren fürs nächste Spiel oft so, dass er jemandem auftrug, schnell mal in der Wirtschaft zu fragen, wer dabei ist. Mittlerweile ist er der dienstälteste Trimm-Dichler, der jüngste Mitspieler ist erst 13. Filippi ist heute meistens der „letzte Mann“ auf dem Feld.