Am 7. April hat Günther Rosenkranz dieses Jahr die erste Mehlschwalbe gesehen. Schon seit 1961 schreibt der Höllricher jedes Jahr den Termin der ersten Schwalbensichtung auf. Nachbarn und Bekannte wissen Bescheid und melden ihm, wenn sie die erste sehen. Auf einem Holzbrett, das an einer Seitenwand in der Garage hängt, hat der 82-Jährige lückenlos über all die Jahre den Ankunftstag notiert.
Seit seiner Kindheit ist Rosenkranz ein Vogelfreund. Er hat mehrere Nistkästen rund ums Haus aufgehängt. Aber weil die Elstern ihm laufend die Vogeljungen rauben und vor zwei Wochen obendrein wieder einmal zwei Meisenbruten einfach tot im Nest lagen, reicht es ihm jetzt. Die Nistkästen will er wegwerfen: "Ich hab die Schnauze voll."

Dabei waren die Vögel all die Jahre ein wichtiger Inhalt im Leben von Günther Rosenkranz. Er ist in Kassel aufgewachsen. Seit seinem achten Lebensjahr hatten er und sein Vater Hühner und Brieftauben. "Seitdem bin ich von dem Geflügel nicht losgekommen." Nach sechs Jahren im Bergbau kam Rosenkranz als Kradmelder zur Bundeswehr nach Hammelburg. Bei einer Musikveranstaltung lernte er seine Frau, eine Höllricherin, kennen, blieb und arbeitete ab 1961 bei der Bundesbahn. Seit Anfang der 1960er hielt er in Höllrich 60 bis 80 Brieftauben. "Ein teurer Spaß", erzählt er. Und zeitintensiv sei das Hobby obendrein gewesen. Dazu hatte er zwölf bis 22 Wellensittichpaare mit zwei-, dreimal im Jahr Jungen. Seit etwa 1970 hält er außerdem Hühner. Günther Rosenkranz war 40 Jahre Mitglied der Hammelburger Taubenzüchter, außerdem bei den Vogelfreunden Gemünden.
"Wenn ich rausgehe, geht mein Kopf immer nach oben."
Günther Rosenkranz, Vogelfreund aus Höllrich
"Wenn ich rausgehe", sagt Rosenkranz, "geht mein Kopf immer nach oben." Tiere, vor allem Vögel, haben es ihm angetan. An vielen Häusern in der Nachbarschaft brüten Schwalben, erzählt er. All die Jahre hatte er selbst Schwalbennester in einem Anbau, hat sich an den Tieren erfreut, hat sie beobachtet. Seit drei, vier Jahren hängt das Brett mit den drei selber gebauten und zwei neu zugekauften Nestern außen an der Garage. Seitdem habe er nie wieder Mehlschwalben gehabt; die Tiere nehmen den Ort nicht an.
Heute sehe er "bedeutend weniger" Schwalben als früher. Er glaubt, dass die Tiere zu wenig Nahrung finden. Weil es keine Bauern mehr gebe, gebe es auch weniger Ställe und damit weniger Fliegen. Seine Schwiegereltern hatten Schweine und immer Schwalben. "So, wie ich das seh', sterben die ganzen Vögel." Mauersegler sehe er immer seltener, im Kirchturm brüte auch nur noch ein Paar. Auf der einen Seite gebe es Nahrungsmangel, auf der anderen nähmen Elstern und Habichte überhand. "Das sind die größten Nesträuber."
"Die Leute machen sich Arbeit mit Nistkästen und füttern nur die Elstern."
Günther Rosenkranz über den Ärger mit den Rabenvögeln
Wenn er von den Elstern erzählt, merkt man, wie es in ihm rumort. Vogeljungen, etwa junge Rotschwänze, die aus seinen zahlreichen Nistkästen fliegen, "holen alle die Elstern weg". "Das geht früh um halb vier schon los", da höre man schon das Geschrei der Elstern. "Wie die Wilden schlagen die Elstern zu", hat er beobachtet. Was er beschreibt, klingt nicht appetitlich. Jetzt hat er genug. Er will den Elstern keine Nahrung mehr bieten. "Die Leute machen sich Arbeit mit Nistkästen und füttern nur die Elstern", sagt er resigniert.
Schwalben kommen heute früher
Als Rosenkranz im März einen Aufruf des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) Main-Spessart mit dem Titel "Wer sieht die erste Schwalbe?" las, meldete er sich und überließ dem LBV seine Liste. Was auffällt: Bis in die 1980er Jahre kam die erste Schwalbe sehr konstant Ende April, danach tendenziell eine Woche früher. 2004 dann sah er die erste schon am 12. April, im Jahr darauf gar schon am 26. März und 2005 völlig überraschend erst am 3. Mai, so spät wie noch nie. Früh wie nie kam sie 2013: am 11. März. Ansonsten trudelt sie jetzt meist Anfang oder Mitte April ein. "Vielleicht hat das was mit dem Klimawandel zu tun", mutmaßt der 82-Jährige.
Wenn er die Nistkästen aufgibt, bleiben ihm noch die Hühner sowie das Futterhäuschen für die Singvögel vor dem Küchenfenster und an einem Schuppen. Auch im Urlaub - oft war er mit seiner Frau im Allgäu - schaut er nach den Tieren. Jetzt, wo sie gestorben ist, will er alleine Busreisen unternehmen, zu Hause halte ihn wenig. Ein Fernglas braucht er für seine Beobachtungen nicht, sagt der 16-fache Großvater, der auch schon einen Urenkel hat. "Ich seh noch gut."